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Die Europäische Union soll Druck auf die Türkei machen

Ahmed Sik ist türkischer Journalist und wurde ein Jahr lang verhaftet. Er hat ein noch nicht veröffentlichtes Buch darüber geschrieben, dass Polizei und Staat offenbar von religiösen Kräften unterwandert werden. Offiziell wird ihm angelastet, die terroristische Vereinigung Ergenekon zu unterstützen.

Von Katharina Hamberger | 29.03.2012
    Rund 15 Journalisten stehen vor einem Sitzungssaal im Europäischen Parlament. Eine Italienerin fragt die Kollegen nach Ahmet Sik - auf ihn warten sie alle . Dabei ist Sik schon lange da. Er steht ein bisschen abseits, unterhält sich leise mit seiner Frau. Mit seinem braunen Anzug fällt er kaum auf unter den vielen Abgeordneten und Journalisten - von denen er sonst auch einer ist. Heute steht er auf der anderen Seite. Viele wollen Interviews. Davon gibt er jedoch nur wenige - und keines den vielen türkischen Medienvertretern. Seine Frau erklärt, das liege daran, dass die türkischen Medien Sik's Ansicht nach zu wenig über die Fakten seines Prozesses berichtet haben. Dieser begann vor gut einem Jahr und dauert an. Bis vor kurzen saß Sik deshalb in Untersuchungshaft. Die Anklage lautet: Unterstützung einer terroristischen Gruppe.

    "Ich freue mich, jetzt frei zu sein. Ich war für ein Jahr in einem kleinen Raum, der 14 Schritte lang war. Ich konnte den Boden draußen nicht betreten, ich konnte keine Blumen riechen. Ich bin sehr froh, nun draußen zu sein. Und ich will Freiheit für alle."

    Der 41-Jährige geht davon aus, dass er wegen seines noch nicht veröffentlichten Buches verhaftet wurde. Darin beschreibt der türkische Journalist wie die Bewegung um den Prediger Fethullah Gülen Einfluss auf die Sicherheitsbehörden der Türkei nimmt. Darüber spricht er auch an diesem Tag vor der Fraktion der Liberalen im Europäischen Parlament und darüber, wie die beiden politischen Pole - die Gülen-Gemeinschaft und die Regierungspartei AKP - das Leben in der Türkei beeinflussen. Bei seiner Rede wird der sonst so zurückhaltende Sik sehr energisch.

    Eine Stunde lang spricht Ahmet Sik darüber, wie in der Türkei mit denjenigen umgegangen wird, die ihre Meinung frei äußern. Dazu zählten nicht nur Journalisten. Auch Studenten oder Dorfbewohner, die gegen einen geplanten Staudamm protestierten, landeten im Gefängnis. Diese Fälle findet der Journalist Sik nur noch absurd. Für die Türkei wünscht er sich deshalb:

    "Ich will Freiheit für alle und ich will einfach nur Demokratie. Und ich glaube daran und will Frieden."

    Sich selbst beschreibt Ahmet Sik als Journalisten, der Antworten auf die Fragen sucht, die ihn beschäftigen. Zum Beispiel möchte er wissen, wer genau Mitglied in der von ihm kritisierten Gülen-Gemeinschaft ist, wie sie sich finanziert und warum sie versucht, Einfluss auf die Sicherheitsbehörden zu nehmen. Solche Fragen zu stellen, sei aber nicht erwünscht. Seine Arbeit hat Ahmet Sik zum Pessimisten gemacht. Allerdings hofft er auf den Einfluss der Europäischen Union.

    " Ich möchte, dass die Europäische Union weiter Druck auf die Türkei macht, damit demokratische Strukturen gesetzlich verankert werden. Denn das ist eines der großen Probleme in der Türkei. Die Politiker in der Türkei tendieren dazu, die öffentliche Meinung im Land zu nicht aufzunehmen. Ich denke, die Politiker können die Meinung der internationalen Gemeinschaft nicht ignorieren. Deshalb ist das wohl die beste Lösung für uns und die Zukunft der Türkei."

    So zurückhaltend wie Ahmet Sik im ersten Moment wirkt, so entschlossen ist er, in seiner Heimat etwas zu verändern. Dafür würde er auch wieder ins Gefängnis gehen, sagt er in seiner Rede: dann, wenn er damit auf die politischen Probleme in der Türkei aufmerksam machen kann.