Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Die Folgen des Hungers nach Land

Spekulationen mit Agrarrohstoffen oder Lebensmitteln sind umstritten. Die Methoden des Agrobusiness beginnen aber schon mit dem Erwerb von Land. Der britische Journalist Fred Pearce hat diese Mechanismen unter die Lupe genommen und schildert die Folgen in seinem Buch "Land Grabbing".

Von Caspar Dohmen | 12.11.2012
    Weltweit gibt es einen Run in nie gekanntem Ausmaß auf Ackerflächen und Weiden. Dafür gibt es verschiedene Motive: Regierungen wollen die Ernährung ihrer Bevölkerung gewährleisten, Vermögende ihr Geld vor Inflation schützen oder multinationale Konzerne sich Rohstoffe sichern. Über das Ausmaß der Landnahme herrscht Uneinigkeit: Die Weltbank nennt 47 Millionen Hektar für das Jahr 2010, andere Organisationen zählen 80 Millionen Hektar.

    "Die Wahrheit ist, dass es niemand weiß. Es gibt kein Zentralregister, und die Regierungen lassen sich nicht gerne in die Karten schauen. Manche der größten Deals, auf die ich stieß, waren heimlich abgeschlossen worden und auch den intensiv mit dem Thema befassten NGOs nicht bekannt, während andere Schlagzeilen machten, aber nie verwirklicht wurden."

    Schreibt der britische Wissenschaftsjournalist Fred Pearce in seinem lesenswerten Buch: "Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden". Pearce hat genau hingeschaut und mehr als ein Dutzend Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika besucht. Herausgekommen ist ein umfassender und verständlicher Lagebericht, der durch eine Vielfalt an Informationen und überraschender Bezüge überzeugt und ohne reißerische Rhetorik auskommt.

    Der Autor schreibt seit Jahren für Medien wie den "Guardian", den "Independent" oder "Ecologist". Der Leser lernt langfristig denkende Investoren und nachdenkliche Manager von Großfarmen kennen, andererseits begegnet er Regierenden und Unternehmern, die Kleinbauern von angestammten Weidegründen und Feldern vertreiben.

    Welche gravierenden Folgen die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft für Menschen und Umwelt haben kann, schildert der Autor besonders eindrücklich anhand der brasilianischen Cerrados. Ein Großteil des Graslandes ist in den vergangenen 30 Jahren umgepflügt worden. Aus Savanne entstand Sojaland, und die indigene Bevölkerung wurde in kleine Reservate abgedrängt. Manch ein Landbesitzer führte sich auf wie ein feudaler mittelalterlicher Gutsbesitzer. Traurige Berühmtheit erlangten die Verhältnisse auf den Liegenschaften von Ronald Levinsohn, des größten Landbesitzers in den Cerrados.

    "Regierungsstellen prüften Vorwürfe und warfen Aufsehern mehrere Betriebe vor, so etwas wie Sklavenlager zu betreiben. Die Leute griffen in den nahegelegenen Ortschaften und Siedlungen Frauen und Jugendliche auf, die oft kaum 16 Jahre alt waren, und brachten sie zu den Farmen, wo sie zum Unkraut jäten auf den Feldern eingesetzt wurden und durften erst gehen, wenn der Lohn fällig war, von dem noch die Kosten für die überteuerten Lebensmittel und Toilettenartikel abgezogen wurden, die sie im Lager bekommen hatten – offenbar eine Art Schuldhaft."

    Eine besondere Stärke des Buches sind die geschichtlichen Bezüge, welche Pearce bisweilen beiläufig einbaut. Schließlich ist der Kampf um Boden ein wiederkehrendes Phänomen: So bildeten unmenschliche Arbeitsverhältnisse auf einer vietnamesischen Kautschukplantage des französischen Reifenherstellers Michelin den Nährboden für die kommunistischen Widerstandskämpfer des Vietcong, sie vertrieben in den 60er-Jahren erst die Franzosen und dann die Amerikaner aus Südostasien. Heutzutage gibt es vielerorts Konflikte zwischen Großgrundbesitzern und Kleinbauern, ob in Paraguay, Papua Neuguinea oder Äthiopien. Pearce entlarvt auch überzeugend Klischees, wie das von den großen, ungenutzten Landflächen in Afrika. Er zitiert die international renommierte Agrarexpertin Liz Alden Wily:

    "Tatsächlich wird jeder Zoll dieses Kontinents nach überlieferten Normen besessen und auf traditionelle Weise genutzt, sei es für den Wanderfeldbau, als Weideland oder für die Jagd."

    Der Leser lernt, warum fast alle Landkäufer nach Afrika gehen: Über den Kontinent erstrecken sich eben sechzig Prozent des weltweit nutzbaren Landes, und vier Fünftel der Landflächen sind noch in Gemeinschaftsbesitz. Pearce spricht in Anspielung auf die brutalen Folgen der Inbesitznahme von Gemeindeland durch Grundbesitzer während des 18. Jahrhunderts in seiner britischen Heimat von der letzten Einhegung, die wir erleben. Eine gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen führt nach der Meinung der gängigen Ökonomie zu einer Übernutzung, die Rede ist von der Tragik der Allmende. Als Ausweg gilt die Privatisierung des Bodens. Pearce vertritt nach der Lektüre diverser Studien und Erfahrungen vor Ort die gegenteilige Auffassung:

    ""Die Theorie klingt logisch, aber die Faktenlage ist erbärmlich. Viehhaltung ist der beste Weg, um die schwierigen Wetterbedingungen der trockenen Savannen Afrikas und anderswo zu nutzen."

    Und er hält eine Industrialisierung der Landwirtschaft in Afrika für unverantwortlich:

    "Die Entwurzelung einer halben Milliarde Bauern, die 90 Prozent der Nahrungsmittel des Kontinents erzeugen, käme einer global-kapitalistischen Variante der verheerenden sozialistischen Experimente Stalins, Maos und Pol Pots gleich."

    Für notwendig hält Pearce dagegen eine bessere Unterstützung bäuerlicher Mischbetriebe, weil sie – richtig gefördert – genauso produktiv sein könnten wie landwirtschaftliche Großbetriebe mit Monokulturen. Vorbildhaft sei Malawi, welches in die Unterstützung der Kleinbauern sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts investiere. Dadurch sei Malawi vom Importeur zum Exporteur von Lebensmitteln geworden. Überhaupt sind Viehhirten laut dem Autor besonders von der Landnahme betroffen, nutzen sie doch schätzungsweise 45 Prozent der weltweiten Landfläche.

    "Wenn wir die Viehhirten ignorieren, müssen wir womöglich einen hohen Preis zahlen."

    Pearce verweist auf die Tuareg. Nach dem Verlust von Weidegründen hätten sich im Niger und in Mali einige Tuareg den fundamentalistischen Al Qaida angeschlossen. Immer wieder schildert Pearce die Zerstörung ursprünglicher Landschaften. Und wenn dieser Prozess irgendwo auf der Welt einmal zur Ruhe kommt, hat dies ebenfalls häufig beklagenswerte Ursachen, wie den Bürgerkrieg im Kongo oder den Aufkauf eines 90 mal 40 Kilometer großen Waldstückes in den Chacos in Paraguay durch die koreanische Moon-Sekte, die dort, "auf Erden ein himmlisches Leben führen" will. Pearce klärt mit seinem kenntnisreichen Buch in bester Tradition auf. Lesen sollte es auf jeden Fall jeder, der sich für die Land- und Ernährungsfrage interessiert.

    … lautet die Einschätzung von Caspar Dohmen über Fred Pearce Buch "Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden". Verlegt bei Kunstmann, 397 Seiten stark, es kostet 22,95 Euro