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Die Havarie und das Meer

Umwelt.- In den ersten Wochen nach der Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima wurden die Meere kaum beachtet - alle Bemühungen konzentrierten sich auf die außer Kontrolle geratenen Reaktoren. Dabei wurde auch der Ozean radioaktiv belastet. Inzwischen hat sich das kontaminierte Wasser jedoch stark verdünnt.

Von Dagmar Röhrlich | 05.09.2011
    Einen Monat war das Forschungsschiff Hakuho Maru unterwegs gewesen, bevor es am Ende der Ausfahrt für 20 Stunden in den Gewässern vor Fukushima gemessen hat. Die Forscher nahmen Wasser-, Plankton und Sedimentproben, setzten Sedimentfallen aus: Die sollen verraten, wie viel Radionuklide auf welchem Weg in die Tiefsee gelangen. Diese Messungen sind Teil von Phase 2 der Forschung, die sich mit der Auswirkung der Reaktorhavarie von Fukushima auf die Ozeane beschäftigt:

    "Zunächst hatte die Regierung ab dem 23. März Forschungsschiffe wie die Hakuho Maru für die Notfallmessungen gechartert. Es ging um die Abschätzung der Gesundheitsgefahr. Ende März, Anfang April war die Belastung so hoch, dass man die Wasserproben einfach nur in die Detektoren stecken musste. Inzwischen ist sie auf dem offenen Meer dafür viel zu gering, denn das kontaminierte Wasser hat sich stark verdünnt und ist über ein sehr viel größeres Gebiet verteilt",

    erläutert Mitsuo Uematsu vom Atmosphären- und Meeresforschungsinstitut der Universität Tokio. Während Tepco direkt am Kernkraftwerk misst und das Wissenschaftsministerium MEXT etwa 30 Kilometer entfernt, kreuzen einmal im Monat Forschungsschiffe wie die Hakuho Maru 50 und 100 Kilometer vor der Küste:

    "Die Belastungen im offenen Meer sind sehr gering, aber sie gehen nicht noch weiter zurück. Zum einen gibt es in Fukushima immer noch einige Leckagen. Zum anderen spült das Regenwasser Kontaminationen ins Meer, und die Flüsse schleppen teilweise stark belasteten Schlamm heran."

    Die Berechnungen, welche Mengen an Radionukliden von Fukushima ins Meer gelangen, sind noch nicht abgeschlossen.

    "Derzeit gehen die Abschätzungen der Regierung davon aus, dass 0,95 Billiarden Becquerel Cäsium direkt in den Ozean geflossen sind."

    Aber das ist nach Meinung vieler Wissenschaftler zu wenig. Michio Aoyama vom Japanischen Meteorologischen Forschungsinstituts:

    "Wir haben für unsere Abschätzung die Messwerte bei Fukushima Daiichi mit denen weiter draußen verglichen. Die Daten lassen sich nur in Einklang bringen, wenn wir davon ausgehen, dass durch die Havarie 3,5 Billiarden Becquerel Cäsium 137 ins Meer direkt geflossen sind."

    Plus dem, was an Spaltprodukten direkt aus der Luft auf das Wasser gerieselt ist, vielleicht um die 7,5 Billiarden Becquerel - nach einer sehr vorläufigen Schätzung:

    "Das macht zusammen rund zehn Billiarden Becquerel Cäsium 137. Das entspricht rund drei Prozent des Cäsiums 137, das noch von den oberirdischen Atomwaffentests in den 50er- und 60er-Jahren im Pazifik übrig geblieben war."

    Dazu kommt dann noch einmal fast genauso viel - nämlich 8,5 Billiarden Becquerel Cäsium - die mit dem Regen und den Flüssen ins Meer gespült worden sind und noch weiterhin geschleppt werden:

    "Aufgrund meiner bisherigen Forschungen dazu, wie sich das Cäsium 137 aus den oberirdischen Atomwaffentests im Pazifik verteilt hat, lässt sich das Verhalten der Radionuklide aus Fukushima vorhersagen. Es wird lange in den oberen Wasserschichten bleiben und mit den Meeresströmungen treiben. So verteilt es sich um den Nordpazifik und bewegt sich dann ins Innere des Meeresbeckens. Dazu braucht es einige Jahrzehnte."

    Ehe das Radiocäsium aus den Atomwaffentests den Äquator erreichte, waren 30 Jahre vergangen. Von da aus fand es seinen Weg in den Südpazifik und den Indischen Ozean. Das Signal aus Fukushima könnte in 20 bis 50 Jahren den Atlantik erreichen, prophezeit Michio Aoyama - allerdings in so geringen Konzentration, dass es im dann immer noch vorhandenen Radiocäsium der Atomwaffentests wohl untergehen wird.

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