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Die Kunst des alten Bootsbaus

Die Krisenjahre haben auch der deutschen Schiffbau-Branche zugesetzt. Unberührt davon steht die Bültjer-Werft in Ditzum an der Ems da. Das Unternehmen hat sich mit Erfolg auf die Reparatur von alten Holzbooten spezialisiert.

Von Godehard Weyerer | 08.10.2010
    "Es ist doch ein bisschen windig, da haben wir noch andere Dinge gemacht. Der will nächste Woche weg mit dem Ding hier. Da muss man den Samstag schon mal mit einplanen."

    Jan Bültjer, 52 Jahre alt, Chef der Bültjer-Werft. In der vierten Generation bauen sie dort Boote. Holzboote. Oder reparieren sie, wenn es sein muss, auch am Wochenende. Wie diesen Fischkutter aus Dänemark, 22 Meter lang, Baujahr 1960.

    "Hat sich jemand umgebaut, Masten haben wir draufgestellt, Segel angeschlagen, Winden draufgebaut."

    Die Bültjer-Werft in Ditzum liegt an der Mündung der Ems, am Ufer des Dollarts. Ditzum, ein altes Fischerdorf, hat ein wenig mehr als 600 Einwohner; die neugotische Kirche ziert ein Kirchturm, der einem Leuchtturm zum Verwechseln ähnlich ist; rot geklinkerte, einstöckige Häuser; im gleichen Farbton sind die engen Gassen gepflastert. Ditzum liegt am Ende eines schmalen Landzipfels, dem Rheiderland, eingebettet vom Fluss, den man erst 16 Kilometer südlich queren kann, und von der deutsch-niederländischen Landesgrenze. Um so leichter ist es, die Werft von See zu erreichen.

    "Mindestens die Hälfte Arbeit haben wir von den Niederlanden. In unserer Sparte und in der Größe sind wir ziemlich alleine. Da sind in Norwegen, Dänemark und auch Holland noch vereinzelt welche, aber nicht in dieser Größe."

    Mit uns, sagt Jan Bültjer, arbeiten 20 Bootsbauer auf der Werft – acht Lehrlinge, acht Gesellen, er und sein Bruder, beide leiten den Betrieb sowie ihre ältesten Söhne. Auch sie haben schon den Meisterbrief. Die fünfte Generation. 112 Jahre ist der Betrieb alt. Angefangen hat es im Dorf, eine Stellmacherei – Speichenräder, Leiterwagen, Heurechen, Pferdedeichseln:

    "Da sind sie mit angefangen. Weil es mit den Pferden und den Wagen weniger wurde und die Maschinen eben mehr durchkamen, hat sich das so langsam verschoben. Und dann sind sie mit kleinen Booten angefangen, dann immer größer und größer. Und irgendwann ging es nicht mehr im Ort, dann sind wir hier zum Hafen, ich sag immer wir, gegangen. Da war ich noch nicht da. Ich glaube, 1928 sind sie zum Hafen gezogen. Ein Teil ist noch im Ort geblieben, da sind die dann so hin und her. Im Ort haben einige noch Stellmacherei weitergemacht, was da noch anfiel, in der Mühle die Speichen für die Zahnräder und so. Das ist dann weniger geworden, irgendwann waren sie dann ganz am Hafen."

    Jan Bültjer ist hinüber gegangen in die Halle. Ein wenig erhöht liegt sie, hochwassergeschützt auf dem Fuß des früheren Deiches. Die Boote werden auf Schienen und per Seilwinde aus dem Hafen herauf gezogen. 28 Meter lang und geschätzte 100 Jahre alt ist der frühere Heringskutter, der die Halle in ganzer Länge und Höhe ausfüllt und demnächst im Emdener Hafen als Museumsschiff zu begehen und zu bestaunen sein wird.

    Innenausbau, Lackieren, Elektroarbeiten, Schweißen - all das muss beherrschen, wer ein Bootsbauer ist. Und fräsen, hobeln, sägen, polieren, schleifen. Schleifen, schleifen und immer wieder schleifen. Gut geschliffen, ist halb lackiert. Der Bootsbaumeister schmunzelt und nimmt ein Stück Hanf in die Hand. Es ist präpariert und konserviert, damit es nicht so schell verrottet, und wird in mühsamer Handarbeit zwischen die Holzplanken an der Außenhaut des Schiffes gepresst:

    "Da haben wir so ein Stück Eisen hier, Zentimeter für Zentimeter wird das in diesen Schlitz geschlagen. Das kann dauern, da kommen bei 27 Metern und 20 Nähten und auf der anderen Seite auch noch einige Meter zusammen. Das ist eine langwierige, aber auch eine gewissenhafte Arbeit. Wenn es nachher im Wasser ist, dann muss es natürlich dicht sein. Ist dann natürlich auch ziemlich langweilig irgendwann"

    Heute ist die Bültjer-Werft größter Arbeitgeber am Ort. Obwohl die Werft so gut wie keine neuen Boote baut, um so mehr aber repariert sie. Der alten Kunst des Bootsbaus ist die Werft über all die Jahre treu geblieben. Jan Bültjer steht vor dem Holzofen, achteinhalb Meter lang, einen Meter hoch und ebenso breit. Hierin werden die Holzbohlen, die an die geschwungene Form des Schiffsrumpfs angepasst werden, aufgekocht – mit heißem Wasserdampf. Nach eineinhalb Stunden ist das Holz weich. Nun muss jeder Handgriff sitzen, erklärt der Werftchef. In zwei, drei Minuten ist das Holz abgekühlt und lässt sich nicht mehr biegen:

    "Mit dem Brett gehen wir direkt ans Schiff. Darum haben wir ihn ziemlich mittig hier, damit man nicht so lang rennen muss. Direkt ans Schiff und dort mit Zwingen angebracht, kühlt dann ab, kann man dann auch wieder abnehmen, um noch was nachzuarbeiten. Aber normalerweise passt das dann."

    Von Hektik hält Jan Bültjer nicht viel. Allemal nicht beim Bau von Holzbooten. Gutes Bootsholz muss lange lagern und gut abgetrocknet sein. Die Faustregel gilt: pro Zentimeter ein Jahr. Ein sieben Zentimeter dickes Brett muss also sieben Jahre liegen. Minimum. Je länger, desto besser. Einige Planken, die er verarbeitet, hat noch sein Vater gekauft. Der Schiffsrumpf ist seit jeher aus Eichenholz, das Deck und die Aufbauten aus tropischen Harthölzern – vorneweg Pitch-Pine und Burma-Teak. Manche der 25 Schiffe, die im Moment auf der Werft aufgebockt sind, liegen hier seit einem Jahr, manche, deren Eigentümern das Geld knapp geworden ist, auch länger, erzählt der Chef. Jan Bültjer legt das Werkzeug aus der Hand, schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt ins Dorf nach Hause. Für heute ist erst einmal Feierabend.