Montag, 13. Mai 2024


Die »lyrix«-Gewinner im April 2015

Der April stand bei »lyrix« ganz im Zeichen der Freundschaft. Zusammen mit dem Erkenbert-Museum in Frankenthal haben wir nach euren Freundschaftsmomenten gefragt. Inspirieren lassen konntet ihr euch dabei von Freundschaftsbüchern aus dem 18. Jahrhundert und von Monika Rincks Gedicht FREUNDSCHAFT. Hier sind eure Gewinnertexte.

17.05.2015
    Die zwei Bilder zeigen den Schriftsteller Eric Carle (r), Autor von "Die kleine Raupe Nimmersatt", und seine Freundin Florence im Jahr 1932 in Syracuse, USA. Die Kinderbuchlegende hat seine Freundin aus Kindertagen nach 82 Jahren wiedergefunden.
    Die zwei Bilder zeigen den Schriftsteller Eric Carle (r), Autor von "Die kleine Raupe Nimmersatt", und seine Freundin Florence im Jahr 1932 in Syracuse, USA. Die Kinderbuchlegende hat seine Freundin aus Kindertagen nach 82 Jahren wiedergefunden. (dpa / picture alliance)
    "denn ich weiß / wenn ich Fehler mache / bin ich nie allein", heißt es in dem Gedicht eines Monatsgewinners. In euren Texten schreibt ihr von der starken Verbundenheit zwischen Freunden, von Seelenverwandtschaft und von Freunden als Retter und Beschützer. Freunde sind für euch "Regenschirme", die Gefahren fernhalten und Sicherheit geben: "Seit Jahren trafen wir uns hier / Nachmittags im morschen Dickicht / Unsere Namen ins Holz geritzt / Schien mir alles so stabil." Darum ist es umso schmerzhafter, wenn Freundschaften zerbrechen: "Ich lebte weil du mich liebtest". Weil man in einer engen Freundschaft so viel von sich preisgibt, braucht es schnell ein neues Schutzschild, wenn der Freund als Beschützer wegbricht: "Und ich trug den neuen Regenmantel / Er schützte mich vor deinen leeren Worten."
    Wir sagen danke für eure Einsendungen!
    Die Monatsgewinner im April 2015:
    Viele Freunde?
    ich habe viele freunde;
    459 sagt facebook,
    459 profilbilder,
    459 fremde
    ich habe freunde, die mit mir lachen,
    ich habe freunde, die mit mir feiern,
    ich habe freunde, die ich nie gesehen hab,
    ich habe freunde, die ich nicht kenne.
    ich habe wochenendfreunde,
    ich habe schulhoffreunde,
    ich habe chatfreunde,
    ich habe quatschfreunde.
    und doch ist da dieses gefühl;
    wenn ich lache, dann lache ich allein,
    wenn ich feier, dann feier ich allein,
    Du fehlst.
    Du warst da, als ich weinte,
    Du warst da, als ich schrie,
    Du warst da, als ich stolperte,
    Du warst da, als ich fiel.
    ich sehe Deine hand:
    augestreckt, um zu geben -
    um zu nehmen?
    Unwichtig.
    Leonie Buderus, Jahrgang 1997
    Das Poesiealbum
    auf dem Speicher
    in einer alten Truhe
    längst vergessen
    zwischen blinden Fotos
    altem Hochzeitsschleier
    löchrigem Zylinder
    verbognen Ehrennadeln
    in Staub geschmiegt
    viele Monde lang
    Kriege, Leben, Tode,
    Träume überdauert
    liegt ein Büchlein
    braun genarbtes Leder
    golden eingestanzt
    schwach zu lesen
    POESIE
    zaghaft möchten meine Hände
    die Vergangenheit berühren
    Sonne fällt durch kleine Ritzen
    goldgerändert sind die Seiten
    vergilbt und stockig das Papier
    1887
    mein Herz ist aufgeregt
    ein Büchlein voller Freundschaft
    in einer Schrift
    die ich nicht richtig lesen kann
    liebevoll gemalte Bilder
    Schatten von gepresstem Klee
    zerbröselt – Reste fallen mir entgegen
    zurück fliegt meine Phantasie
    zurück zu Mädchen – Freundinnen
    in Kleidern hell und duftig
    mit Rüschenschürzen aufgehübscht
    seh ich sie Kränzlein winden
    mit roten Mündern reifen Kirschen gleich
    schaukeln sie mit ondulierten Locken
    Liebreiz färbt die zarten Wangen
    Liebste Freundin
    das Leben müssen wir überstehen
    wir alle müssen es tragen
    mit Glück, Leid und Schuld
    wir werden hoffen, suchen, wagen
    bis unser Vorhang fällt
    zur ewigen Erinnerung
    im Wonnemonat Mai 1887
    Deine Katharina
    Marie-Celestine Cronhardt-Lück-Giessen, Jahrgang 2000
    Tränen aus verblassten Träumen
    Großes Mädchen schau mich an
    Geh nicht weg ohne einen
    Letzten tränengetränkten Abschiedskuss
    Still und heimlich
    Als hättest du mich nie gesehen
    Als hättest du mich nie gekannt
    Weißt du nicht mehr
    Wie ich bei dir war
    Und dir stumm zuhörte
    Als alle andren dich verließen
    Wie du mir die Grausamkeit der Welt erklärtest
    Obwohl du sie noch nicht gespürt hattest
    Weißt du nicht mehr
    Wie du mir schworst immer für mich da zu sein
    und ich stumm den Schwur erwiderte
    Weißt du nicht mehr
    Wie ich es stumm ertragen habe
    dass du mich mit bunten Pinseln bemalt
    Mit klebrigen Küssen bedeckt
    Und in den kalten Teich geworfen hast?
    Deine Fantasie war mein Verstand
    Deine Hände waren mein Skelett
    Ich hörte durch deine Ohren
    Ich sah durch deine Augen
    Ich lebte weil du mich liebtest
    Heute schaust du mich an- stumm
    Nicht weil es nichts zu erzählen gibt
    Sondern weil du weißt
    dass ich nicht antworten werde
    Großes Mädchen geh nicht weg
    Wenn du den Glauben in mich verlierst
    Verliere ich mich
    Wenn du aufhörst, mir deine Geschichten zu erzählen
    Werde ich dich nicht mehr hören
    Wenn du aufhörst mich anzuschauen
    Werde ich erblinden
    Wenn du mich nicht mehr berührst
    Werde ich erschlaffen
    Kraftlos und leblos möchte ich
    Tränen aus verblassten Träumen weinen
    Doch ich kann nicht weinen, nicht schreien, dich nicht festhalten
    Weil du aufgehört hast
    mich zu lieben
    Mich, deinen stummen Freund
    deinen Teddybär
    Mareen Kraft, Jahrgang 1998
    Der Regenmantel
    Gestern hatten wir gesprochen
    Ich trug den neuen Regenmantel
    Gelb war er
    Er schütze mich vor dem Regen
    Seit Jahren trafen wir uns hier
    Nachmittags im morschen Dickicht
    Unsere Namen ins Holz geritzt
    Schien mir alles so stabil
    Doch irgendwann kamst du nicht mehr
    Das Geäst verfaulte mit der Zeit
    Unter meinen Sohlen knarrte das Holz
    Und so verwucherte unsere Freundschaft
    Du hattest gesagt, dass alles gut werden würde
    Das hattest du mir versprochen.
    Gestern war es
    Und ich trug den neuen Regenmantel
    Er schützte mich vor deinen leeren Worten.
    Miriam-Sofie Linke, Jahrgang 1999
    o.T.
    Brandnarben zieren den Rücken
    einer desillusionierten Atmosphäre, öffnen sich
    unter Peitschenhieben der Elektrostatik
    fallen bluttropfend und du
    bist Regenschirm, breitest dich aus
    über Abgründen meiner deplatzierten
    Jugend ohne eingebaute
    Kindersicherung, Anker oder Wissen
    dass jede Grenze überschreiten
    zahlen heißt.
    Splitter dorniger Eintagslieben paaren sich mit
    zufälligen Nahtoderfahrungen und du
    flanierst schon wieder auf gläsernen Dächern
    einsturzgefährdeter Neubauten, Adrenalin
    macht herrlich vergesslich
    wir brechen
    die Äste Yggdrasils, statt
    hochzuklettern wie Chamäleons, die
    mit gesenkten Lidern und Karriereaussichten
    befremdete Blicke schweifen lassen auf Mahnmale
    unserer postpubertären Bedeutungslosigkeit.
    Ich jage Chimären die mich quälen im Permafrost
    immer schattiger werdender Zukunftsaussichten, denn ich weiß
    wenn ich Fehler mache
    bin ich nie allein.
    Vladimir Schadrin, Jahrgang 1996
    Und hier ein Beitrag "außer Konkurrenz":
    (Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)
    Lux (2015)
    Öffne deine Venen weit
    damit ich darin schlafen kann,
    ich möchte aus dir trinken
    auch
    wenn ich nicht durstig bin,
    ich gieße meinen Atem
    aus
    in deinen weiten Lungen,
    ich brauche dich,
    drum halte mich,
    ich falle,
    darum falle nicht,
    und setzte meine Füße auf
    wenn ich sie nicht mehr finden kann,
    fülle mich mit Leben an,
    bis ich lebendig bin
    und
    finde meine Worte
    auch
    wenn ich sie nicht verlier',
    dann
    stütze dich auf meinen Arm
    wenn ich die Adern lasse,
    nur
    halte die Gedanken stets
    im Auge
    deiner Zeit,
    und
    trage meine Stimme
    auch
    wenn ich vergangen bin.
    Julia Fourate, Jahrgang 1994