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Die verschlungenen Wege des Nordseeschnäpels

Ökologie. Nordseeschnäpel sollen im Rhein wieder heimisch werden. Die Wiederansiedlung funktioniert und bringt neue Erkenntnisse über das Wanderverhalten des Fisches zwischen Süß- und Salzwassergebieten.

Von Kristin Raabe | 23.05.2007
    Das friedliche Plätschern des Rheins täuscht: Der Fluss ist eigentlich ein ziemlich lebensfeindliches Revier für die meisten Fischarten. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum der Nordseeschnäpel seit 30 Jahren dort ausgestorben ist. Denn der Rhein ist heute mehr ein Schifffahrtskanal als ein Lebensraum. Seine Ufer sind begradigt und die Seitenarme und Auenbereiche trockengelegt. Die Folge: Es fehlen geschützte Flachwasserbereiche für Jungfische.

    Vor Jahrzehnten war der Rhein vor allem für die kleinen Nordseeschnäpel ein wichtiger Lebensraum. Sie schlüpfen gewöhnlich Mitte Dezember aus ihren im sandigen Untergrund des Flusses gelegenen Eiern. Und von da lassen sie sich bis zur Nordsee treiben. Unterwegs ernähren sie sich von Wasserflöhen und ähnlich kleinem Getier. Wenn sie die Nordsee erreichen, haben sie eine Größe von etwa dreieinhalb Zentimetern. Richtig groß werden sie dann allerdings erst in der Nordsee.

    "Die Wachstumsbedingungen im Meerwasser sind halt sehr viel besser, weil über das ganze Jahr gesehen eine sehr viel größere Menge an Futterorganismen zur Verfügung steht, die wachsen einfach besser."

    Jost Borcherding von der Universität Köln hat sich so viel Wissen wie möglich über den Nordseeschnäpel angeeignet. Und das war nicht sehr viel. Denn weil der Fisch schon so lange ausgestorben ist, war über sein Wanderverhalten wenig bekannt. Der Süßwasserökologe war zunächst auch nicht besonders zuversichtlich, als er vor sieben Jahren begann, Schwärme von kleinen Nordseeschnäpeln im Rhein auszusetzen. Inzwischen ist jedoch klar: Das Projekt war ein Erfolg, die Nordseeschnäpel vermehren sich gut im Rhein. Fischer im Ijsselmeer haben Tausende von ihnen gefangen. Aber die Biologen wollten, die Wanderbewegung des Nordseeschnäpels besser verstehen und haben deswegen die Schuppen der Tiere analysiert.

    "Die Schuppe ist wie die Lebensringe eines Baumes, man kann daran ablesen, wo war der Fisch gewesen? War er im Süßwasser gewesen oder war er im Meerwasser gewesen? Und das kann man dann auch entsprechend den Wachstumsringen auf der Schuppe genau sagen: Als der Fisch ein Jahr war, war er im Süßwasser, als er zwei war, war er im Nordseewasser."

    Bislang gingen alle Experten davon aus, dass die erwachsenen Schnäpel in der Nordsee für gewöhnlich in den nahen Uferbereichen leben. Dort finden sie ausreichend Nahrung, Wasserinsekten und kleine Krebse. Schließlich können die Schnäpel 40 bis 50 Zentimeter groß werden. Für ihre Vermehrung wandern sie dann allerdings in den Fluss, wo sie im sandigen Untergrund ablaichen. Dass nicht alle Nordseeschnäpel wie erwartet vom Süßwasser zum Salzwasser und wieder zurück wanderten, zeigte allerdings die Analyse der Schuppen.

    "Ungefähr 20 bis 30 Prozent waren nur in der Nordsee gewesen. Die anderen waren nur im Süßwasser."

    Es ist gut möglich, dass die Nordseeschnäpel den Weg in die Nordsee nicht gefunden haben, denn das Rheindelta ist völlig verbaut. Überall versperren Schleusen den Wanderfischen den Weg. Vielleicht haben sie es aber auch gar nicht erst probiert, denn auch den Fischen, die es nicht in die Nordsee geschafft hatten, ging es ausgesprochen gut.

    "Was wir allerdings sagen können ist, dass die Fische, die nur im Süßwasser gelebt haben, genauso gut gewachsen sind, wie diejenigen, die im Meerwasser gelebt haben. Da konnten wir keine Unterschiede feststellen. Das heißt, dass die Wachstumsbedingungen, die die Tiere im Ijsselmeer vorfinden, sehr, sehr gut sind, so dass möglicherweise auch der Antrieb, ins Meer zu wandern, nicht mehr in der Form vorhanden ist."

    Die Forschungsergebnisse zeigen, wie wenig bisher über den Nordseeschnäpel bekannt war. Es ist gut möglich, dass die Fische auch zu früheren Zeiten, nur dann in die Nordsee wanderten, wenn sie im Süßwasser nicht genug Nahrung fanden. Weil der Nordseeschnäpel sich im Rhein inzwischen so gut vermehrt, haben die Forscher nun die Chance diese Wanderfischart genau zu studieren. Deswegen haben sie auch etliche Fische mit Sendern ausgestattet, die es ermöglichen jede Wanderungsbewegung zu verfolgen.