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Die Zeit ist reif

Züchtungsforschung. - Das Treibhausgas Kohlendioxid ist für Pflanzen ein wichtiger chemischer Baustein. Im Zuge der Photosynthese bauen sie daraus ihre organische Masse auf. Der steigende CO2-Gehalt in der Atmosphäre kann wachstumsfördernd wirken. Reis und anderes Getreide liefern mehr Ertrag. Bisher haben sich Pflanzenzüchter kaum darum gekümmert, bei neuen Sorten diesen CO2-Effekt gezielt auszunutzen. Forscher fordern nun ein Umdenken.

Von Lucian Haas | 28.09.2012
    Viele Entwicklungen der Zukunft lassen sich schwer vorhersagen, doch eine ist ziemlich klar: Der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigt weiter an. Was Klimaschützer beunruhigt, könnte für Pflanzenzüchter interessante Perspektiven bieten. Denn das zusätzliche CO2 wirkt auf viele Pflanzen wie ein kostenloser Dünger. Von daher wäre es interessant, neue Sorten zu züchten, die besonders stark auf CO2-Zugaben reagieren. Doch in der Praxis spielt diese Strategie bisher keine Rolle.

    "Wir haben keine laufenden Züchtungsprojekte gefunden, die auf das wachsende CO2 in der Atmosphäre ausgerichtet sind. Es gibt keine systematischen Versuche – weder von der Saatgut-Industrie, noch von Universitäten oder sonstigen Stellen –, Pflanzen auf dieses Merkmal hin zu selektieren."

    Lewis Ziska erforscht im Auftrag des US-Agrarministeriums die Folgen des Klimawandels für die Landwirtschaft. Gemeinsam mit einer internationalen Gruppe von Kollegen hat er kürzlich eine Studie erstellt, die nahe legt, dass der CO2-Düngeeffekt als Selektionsmerkmal in der Pflanzenzucht schon viel zu lange vernachlässigt wird.

    "Die Züchter haben Pflanzen auf viele gute Eigenschaften hin gezüchtet, die die Erträge rund um die Welt sichern, aber nicht gezielt auf CO2. So bleibt die Frage: Sind die aktuell genutzten Sorten auch am besten angepasst an CO2-Veränderungen?"

    Die Forscher machten eine Reihe von vergleichenden Versuchen. Unter anderem ließen sie moderne Reissorten und ein Dutzend Wildreisarten in Klimakammern wachsen. Dabei stellten sie die CO2-Konzentration der Luft einmal so niedrig ein, wie sie vor rund 100 Jahren herrschte, und dann um rund ein Drittel höher, wie heute üblich. Am Ende gab es eine Überraschung: Die meisten Wildreisarten reagierten auf den CO2-Anstieg mit größeren Ertragszuwächsen als die Zuchtsorten. Die Unterschiede lagen bei 10 bis 20 Prozent. Ziska:

    "Wenn die wilden Arten das schaffen, sollten wir das auch bei den gezüchteten Sorten erreichen können. Wir müssen nun herausfinden, welche Eigenschaften der wilden Arten dahinter stehen. Dann hoffen wir, diese in Kultursorten übertragen zu können, um auch dort mit mehr CO2 mehr Ertrag zu erzielen."

    Um Züchtungsprogramme im großen Stil auf CO2 als Selektionsfaktor auszurichten, gibt es allerdings ein logistisches Problem. Kreuzungsexperimente werden normalerweise mit Tausenden von Pflanzen gemacht. Klimakammern sind dafür zu teuer und zu klein. Im Freiland wiederum fällt es schwer, großräumig erhöhte CO2-Gehalte zu simulieren. Lewis Ziska hat eine Idee. Er schlägt vor, Versuchsflächen in die Nähe großer Städte zu legen.

    "Die CO2-Konzentration ist nicht überall gleich hoch. Im Umfeld von Städten ist sie häufig höher als in ländlichen Regionen. Wir könnten also anfangen, auf die gesteigerten CO2-Gehalte hin zu züchten, in dem wir jene Getreidesorten auswählen, die in urbanen Regionen besonders gut wachsen."

    Zuerst gelte es aber, überhaupt mehr Züchter dafür zu gewinnen, die Wachstumseffekte des CO2 genauer zu erforschen und zu nutzen, meint Lewis Ziska. Seinen Erkenntnissen nach finden sich die besten Ansätze bisher abseits der Mainstream-Wissenschaft.

    "Wenn man im Internet nach Marihuana und CO2 sucht, sieht man, dass Marihuana-Züchter ihre Pflanzen schon gezielt auf den CO2-Effekt hin getrimmt haben. Leider publizieren nur wenige Marihuana-Züchter in der wissenschaftlichen Literatur. Aber was sie abseits des Mainstreams getan haben, könnten Züchter nun mit Getreidesorten tun."

    Die Zeit ist reif für solche Ansätze. Am Internationalen Reisforschungsinstitut IRRI auf den Philippinen sowie am Internationalen Mais- und Weizenzuchtzentrum CIMMYT in Mexiko gibt es erste Überlegungen, neue Zuchtprogramme auf den CO2-Düngereffekt hin auszurichten.