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"Die Zeit" wird 60

Wie keine andere Zeitung hat das hanseatisch-liberale Wochenblatt die Zeitungslandschaft der Bundesrepublik mitgestaltet. Als die ZEIT am 21. Februar 1946 in Startauflage von 25.000 Exemplaren erschien, wollte man nach dem Ende des NS-Regimes die pädagogisch-aufklärerischen Möglichkeiten des Mediums nutzen. An die 500.000 Exemplare finden derzeit jede Woche ihre Leserschaft.

Von Michael Marek | 18.02.2006
    "Als das Ende des Hitler-Regimes vorherzusehen war, habe ich mir wie viele meiner Freunde gesagt: ‚Das letzte Mal vor 1933 haben wir andere Leute, die Politik, machen lassen, haben uns unseren Beruf und Gewerbe gewidmet, haben die Politik interessiert verfolgt, haben aber nicht mitgearbeitet. Und dieses hat zum Untergang geführt.’ Deshalb hab' ich mir damals gesagt: ‚Das nächste Mal bist du in der Politik drin, das nächste Mal suchst du in der Presse drin zu sein, um von der Seite her auf die Nation einwirken zu können."

    Zu den zentralen Themen der ersten Nachkriegsjahre gehören Fragen der Demokratie und die Auseinandersetzung mit der NS-Vergan-genheit. In die Schlagzeilen gerät die ZEIT durch ihre düsteren Nachkriegsreportagen, vor allem durch ihre Kritik an den Alliierten. Dabei erscheint in der Berichterstattung die Besatzungspolitik weitaus schlimmer zu sein als die nationalsozialistischen Verbrechen. In den sechziger Jahren begleitet die ZEIT zwei zentrale Weichenstellungen: das Ende der Ära Adenauers und die Hinwendung zur Ostpolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt. Politische Bedeutung erlangt die Wochenzeitung vornehmlich in der Außen- und Sicherheitspolitik. Hier gehört sie zu jenen Kräften, die vor den Folgen des Ost-West-Konfliktes eindringlich warnen. In den Jahren der sozialliberalen Koalition beginnt der Aufstieg der ZEIT als international beachtetes Presseorgan - eine Ära, die mit dem Namen der ersten und einzigen Chefredakteurin des Blattes verbunden ist - Marion Gräfin Dönhoff:

    "Sicherlich haben wir hier nie ein Konzept, das in Paragraphen festgelegt wurde. Das haben wir nie gehabt und hätten wir nie haben wollen, sondern: ... Ich würde sagen Toleranz, Offensein gegen Meinungen aller Art, über Meinungen diskutieren, nicht als Häresie verurteilen von vornherein als irgendwas, weil der anders denkt als es gerade die Regierung möchte, offen sein, Argumente bieten, nicht nur Meinungen, Minderheitenschutz. Das sind so ein paar Werte die man, die man hier pflegt."

    Die Wende von 1989 wird für die Redaktion ein schwieriges Jahr. Lange Zeit hält man die Wiedervereinigung für unmöglich. Der inhaltlichen Krise folgt die wirtschaftliche. Anzeigen gehen verloren, tausende von Lesern haben keine Lust mehr die Grande Dame des Blätterwaldes aufzuschlagen. Zum äußeren Credo der ZEIT gehört noch immer, dass man sich einem modisch-lüsternen Scheck- und Sensationsjournalismus verweigert. Ihre Sache ist eher das mäßigende Abwägen, die moralisch-engagierte Haltung und zu einem international renommierten Meinungsblatt gemacht hat. Zu den Konstanten ihrer Berichterstattung gehört seit nunmehr 60 Jahren der staatstragende Politikbegriff:

    "Das Staatstragende ist, was ich vor allem dem politischen Ressort ankreide oder gar vorwerfen würde. Die sprechen oft mit der Stimme von Staatssekretären. Oder man hat das Gefühl sie berichten über Ereignisse so, dass sie, Gott behüte, im Monat darauf doch wieder in der Kanzlermaschine mit nach Peking fliegen können. Also, sie riskieren nichts."

    Seit einigen Jahren steigt die verkaufte Auflage wieder. An die 500.000 Exemplare sind es derzeit jede Woche. Fast wie in alten Tagen. Fast, denn in der Krise hatte der Holtzbrinck-Konzern, dem der ZEIT-Verlag mittlerweile gehört, einschneidende Veränderungen veranlasst: Es gab interne Umbesetzungen in den Ressorts, Kündigungen von langjährigen Mitarbeitern, junge Autoren wurden in die Redaktion geholt, neue Sektionen geschaffen. Das defizitäre "Zeit-Magazin" wurde zu Gunsten der in Berlin produzierten Lifestyle-Beilage "Leben" entsorgt. Um auf die Veränderungen des Printmedienmarktes zu reagieren gab die Verlagsleitung eine Acht-Millionen-Mark-Image-Kampagne in Auftrag. Heute gäbe es ein zeitgemäßes Layout, sagt Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, ein buntes Unterhaltungsoutfit behaupten dagegen die Kritiker.