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Geologie. - Japan wird immer wieder von starken Erdbeben erschüttert, denn vor seiner Küste stoßen mehrere Erdplatten zusammen. Deshalb hat das Land ein gigantisches wissenschaftliches Bohrprojekt angeregt: Die Störungszone selbst soll angebohrt und mit Instrumenten versehen werden. Die ersten wurden jetzt verlegt.

Von Dagmar Röhrlich | 27.08.2009
    Vor der Küste Japans bohren Wissenschaftler mit der "Chikyu" in ein geologisches "Monster": in den Nankai-Trog, eine der aktivsten Störungszonen der Welt. Dort taucht die Philippinische Ozeanplatte mit einer Geschwindigkeit von vier Zentimeter pro Jahr unter die Eurasische Kontinentalplatte ab - an einer "Subduktionszone":

    "Wenn man die Geschichte von diesem Erdbeben anschaut, lernt man, dass diese Störungen an dieser Subduktionszone so alle 100 bis 150 Jahre in einem großen Erdbeben ihre aufgeladenen Kräfte wieder entlassen."

    Michael Strasser vom Marum-Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen. Die "Chikyu" ist das größte Bohrschiff der Welt: Bei den Arbeiten wird der Koloss mit dem 121 Meter hohen Bohrturm, acht starken Dieselmotoren und sechs Propellern genau auf Position gehalten. Selbst in 4000 Metern Wassertiefe kann die Chikyu noch sieben Kilometer weit in den Meeresboden eindringen. Der sieht zunächst einmal unspektakulär aus. Strasser:

    "Ich habe da Tausende von Metern grüngrauen Schlamm gesehen, und je tiefer man bohrt, desto fester wird das, bis er dann zu Gestein wird."

    In diesem Jahr stand unter anderem eine mit rund 500 Meter vergleichsweise kurze Bohrung auf dem Programm - aber sie ist die erste der Serie, die mit eigens dafür entwickelten Messinstrumenten bestückt worden ist: Zwei Jahre lang sollen sie trotz Druck, Hitze und aggressiven Flüssigkeiten im Untergrund arbeiten und nach Warnsignalen suchen: Vor einem Beben sollen sich Druck und Temperatur verändern, so die Theorie. Die Instrumente zu platzieren war eine sehr schwierige Operation, erklärt Achim Kopf, der an Bord der Chikyu weit vor der Küste Japans per Internet über die Arbeiten erzählt:

    "Nachdem wir ein Loch gebohrt haben, wird dieses Loch mit einer Metallhülse stabilisiert. Und oben kommt dann wie eine Art Trichter drauf, etwa zwei Meter im Durchmesser mit einem Loch in der Mitte von circa 30 Zentimeter."

    Dann wird das Bohrgestänge erneut herabgelassen, diesmal mit den Instrumenten - und das Ganze wird in das 30 Zentimeter kleine Loch eingefädelt: vom Schiff aus, über 2500 Meter Wasser hinweg, nur mit der Hilfe eines Tauchroboters und von Positionsgebern und obwohl starke Strömungen das Gestänge samt Instrumenten vibrieren lassen. Dann kommt auch noch die schwierige Installation im Bohrloch selbst. Kopf:

    "Also wahnsinnig, dass es überhaupt funktioniert…"

    Ob alles geklappt hat, wird sich erst 2011 zeigen, wenn die Instrumente herausgeholt werden. Im nächsten Stadium des Projekts sollen Tiefseekabel die Daten dann direkt an Land übertragen. Wenn am kommenden Montag die Bohrsaison zu Ende geht, steht wieder die Auswertung im Zentrum des Interesses. In den Bohrkernen haben die Forscher inzwischen einen der Tsunami-Herde entdeckt: Eine 60 Meter dicke Störungszone, die sich durch einen besonderen Keil aus Sedimenten zieht und der von der Meereskrustenplatte abgeschabt wird, wenn sie unter die Kontinentalplatte abtaucht. Michael Strasser:

    "Man kann sich das vorstellen wie einen Schneepflug."

    Zwischen beiden Krustenplatten steckt der Sedimentkeil wie in einer Zange - und durch die Bewegungen zerbricht er. Dabei entstehen in ihm Störungen, die Megasplay-Störungen genannt werden. An denen ist das Gefährliche, dass sie die Bewegungen, die ein kilometertiefer Bebenherd auslöst, wie durch einen Kanal bis nahe an die Oberfläche übertragen. Strasser:

    "Das heißt, dass während Erdbeben entlang von diesen Splayfaults der Seeboden gegeneinander versetzt werden kann, und das ist eigentlich der Hauptmechanismus, wie Tsunamis entstehen."

    Die Bohrkerne der Chikyu erlauben erstmals Einblicke in diesen gefährlichen Störungstyp. Strasser:

    "Wir haben dabei herausgefunden eigentlich, dass diese Megasplay-Störung seit etwa 2 Millionen Jahren aktiv ist, und dass die Aktivität von dieser Verwerfung nicht konstant ist über die Zeit, sondern dass deren Aktivität pulsiert eigentlich, also es gibt immer wieder Phasen, wo das mehr aktiv ist, und solche Phasen, wo's weniger aktiv ist."

    In welcher Phase sich die Störung derzeit befindet, ist Gegenstand von Debatten, denn es gibt unterschiedliche Signale: Wahrscheinlich zerfällt sie in verschieden aktive Abschnitte - wie die Hauptstörung tief im Untergrund wohl auch, an der sich die beiden Platten aneinander vorbei bewegen. Die soll 2012 angebohrt werden: Auch das wird eine Premiere. Dann geht es ins Herz einer Subduktionszone - die wohl schwierigste Aufgabe für die "Chikyu" überhaupt.