Donnerstag, 18. April 2024

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Doping in der DDR
"Leistungseugenik einer Diktatur"

Auch heute ist das Staatsdoping in der DDR nicht umfassend aufgearbeitet. Das nahm Ines Geipel, die ehemalige Weltklassesprinterin und heute Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins, in Jena zum Anlass zur Mahnung. Sie kritisiert insbesondere den Umgang des thüringischen Sports und der Stadt Jena mit dem Thema.

Von Henry Bernhard | 07.03.2018
    Die Schriftstellerin und Doping-Expertin Ines Geipel, die Arme verschränkt, an eine graue Betonmauer gelehnt.
    Die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereins Ines Geipel. (Ines Geipel (privat))
    Es war eine kleine, aber explosive Runde in Jena: Der Dopingexperte Thomas Purschke, die Kämpferin für die DDR-Doping-Opfer, Ines Geipel und etwa 40 Besucher, darunter Pharmakologen, Sportlehrer, Eltern von Ex-Leistungssportlern und Dopingopfer.
    Ines Geipel nahm in ihrem Vortrag kein Blatt vor den Mund und resümierte, "dass man schon sagen muss heute, dass es eines der größten pharmakologischen Experimente der Geschichte gewesen ist, vor allem Kinder, Jugendliche. Also, Staatsdoping heißt eben 80% Minderjährige, junge Erwachsene, die in dem Sinne Besten eines Landes wurden pharmakologisch ausgeforscht, virilisiert – das heißt vermännlicht – und ihre Körper wie Seelen enteignet."
    Verquickung von Sport-, Militär- und Weltraumforschung
    Das flächendeckende und durchorganisierte Staatsdoping in der DDR griff, so Geipel, in den vermeintlich kommoderen 80er Jahren am extremsten auf die Sportler zu. Schon auf 10-jährige Schwimmerinnen und 7-jährige Turnerinnen. Dabei wurden Sport-, Militär- und Weltraumforschung miteinander verquickt. Eine Verbindung, die bislang kaum aufgearbeitet sei.
    "Diese Forschung allerdings hatte längst jedes ethische Maß und jede Grenze verloren. Die Sportärzte dieses Militärclusters hatten sich insbesondere einem großen Ziel verschworen: Der Leistungseugenik einer modernen Diktatur", erzählte Ines Geipel.
    Opfer an den Rand gedrängt
    Bis zu 15.000 Sportler, davon die meisten Kinder und Jugendliche, wurden in der DDR gedopt, so Geipel. Die Täter von damals seien zwar teilweise bestraft worden, viele aber noch immer oder wieder in Amt und Würden, gerade in Thüringen, wo ehemalige Stasi-Mitarbeiter höchste Sportämter bekleiden dürfen. Opfer würden noch immer an den Rand gedrängt oder schämten sich gar.

    In der Diskussion meldeten sich Stimmen, die nach dem Doping auch im Westen fragten und nach Körper-Optimierungen heute. Und obwohl in Jena alles zusammenkommt: Pharmakologische Forschung, der frühere Hersteller der Dopingmittel, Jenapharm, ein Sportclub mit zweifelhaften Rekorden, eine Fußballmannschaft mit Doping-Vergangenheit, gebe es heute keine nennenswerte Aufarbeitung in der Stadt – beklagten Geipel und Purschke.
    Der Sportjournalist Thomas Purschke, aufgenommen am 05.02.2014 in der Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden (Sachsen) anlässlich eines Vortrages. 
    Der Sportjournalist und Dopingexperte Thomas Purschke. (dpa-Zentralbild/Arno Burgi)
    Ganz im Gegenteil, wie Susanne Linz berichtete, die als Sprinterin in den 80er Jahren in Jena gedopt wurde und heute mit Folgeschäden kämpft: "Ja, also wie der allgemeine Tenor ist: Dass man das nicht thematisiert oder Leute, die das selber miterlebt haben, kleinreden – eben nicht thematisieren, ja."