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Draht gegen Sucht

Neurologie. - Die tiefe Hirnstimulation wird bisher vor allem in der Therapie der Parkinson-Krankheit eingesetzt. Die Elektroimpulse, die per Draht in die Gehirnregion gesandt werden, unterbrechen dort krankhafte Rhythmen, in denen die Nerven feuern. Ein Kölner Neurochirurg behandelt mit dieser Methode jetzt auch Suchtkranke.

Von Kristin Raabe |
    Mit einem Spezialbohrer bohrt der Neurochirurg ein etwa acht Millimeter großes Loch in den Schädel seines Patienten. Darunter schimmert rosa die Hirnhaut. Nachdem er auch diese stark durchblutete Haut geöffnet hat, liegt jetzt die Hirnoberfläche vor ihm. An dem Schädel ist ein System von Kunststoffringen mit feinen Skalierungen festgeschraubt. Durch Drehen einer Schraube kann der Chirurg die Elektrodendrähte immer tiefer in das Gehirn schieben. Später wird er sie mit einem im Bauchraum implantierten Schrittmacher verbinden, der dann Tag und Nacht Impulse in das Gehirn sendet.

    Bei einer genauen Vorbereitung sind Komplikationen bei solchen Operationen selten. Die guten Erfahrungen mit der tiefen Hirnstimulation bei Tausenden von Parkinsonpatienten haben den Neurochirurgen Volker Sturm ermutigt, die Methode auch bei psychisch Kranken einzusetzen.

    "Möglich wurde die Anwendung der Hirnstimulation bei psychiatrischen Erkrankungen nur dadurch, dass es ein absolut reversibles Verfahren ist. Das schlimmste, was passieren kann ist, abgesehen von sehr, sehr geringen direkten Operationsrisiken, die natürlich bei allen Operationen bestehen, auch bei Operationen am Gehirn. Das größte Risiko ist, dass man nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Im schlimmsten Falle nützt es halt nichts. Dann muss man das Gerät abschalten, man kann jederzeit die Elektroden wieder rausnehmen, aber passieren, das ist ganz entscheidend, tut den Zellen, die man stimuliert, das sind nur wenige Kubikmillimeter von Hirngewebe, nichts."

    Erst vor wenigen Jahren begannen die Kölner Neurochirurgen damit, bei psychisch Kranken Hirnelektroden zu implantieren. Sie wählten dazu eine Struktur im so genannten Nucleus accumbens. Hier befindet sich das Belohnungszentrum. Die Nervenzellen feuern dort beispielsweise bei krankhaften Angstzuständen nicht im richtigen Rhythmus. Als Volker Sturm einem Angstpatienten die Elektroden einsetzte, erlebte er allerdings eine Überraschung. Sturm:

    "Da hatte ich einen ganz ganz interessanten Patienten, den ich vor knapp zwei Jahren implantiert habe, wegen schwerster Angsterkrankung, das geht auch bei Angsterkrankungen, im Nucleus accumbens. Und dieser Patient war schwerer Alkoholiker und hatte viele Entziehungsversuche hinter sich, war alles ineffektiv, man konnte das alles auch nachweisen an Blutwerten, an bestimmten Enzymen, die bei Alkoholkonsum massiv erhöht sind. Da war also an dem Alkoholismus überhaupt nichts zu tun. Nun hat die Hirnstimulation im Nucleus accumbens die Angsterkrankung leider nicht gebessert, aber sofort den Alkoholismus."

    Bei Alkoholkranken ist der Nucleus accumbens an der Ausbildung des so genannten Suchtgedächtnisses beteiligt. Das Suchtgedächtnis sorgt dafür, dass ein trockener Alkoholiker auch nach Jahren der Abstinenz schon beim Anblick einer Flasche Bier den Drang verspürt zu trinken. Nach dem ersten Schluck kann er dann nicht mehr aufhören. Deswegen müssen abstinente Alkoholabhängige unbedingt auf jeden Tropfen Alkohol verzichten, denn sonst würde ihr Suchtgedächtnis sie sofort wieder in die Abhängigkeit führen. Sturm:

    "Bei diesem Patienten ist das anders. Er hat keine spezifische Therapie. Wenn der Lust hat, geht er zum Kiosk und kauft sich eine Dose Bier und trinkt die, aber dann ist auch Schluss, dann macht er nicht weiter. Das ist ganz ganz, interessant. Das passt auch ganz gut mit der körpereigenen Funktion des Nucleus accumbens im körpereigenen Belohnungssystem zusammen."

    Offenbar blockieren die Impulse der Hirnelektroden im Nucleus accumbens das Suchtgedächtnis. Dadurch geben sie dem Patienten von Volker Sturm die Kontrolle über seinen Alkoholkonsum wieder zurück. Dieser Erfolg hat den Kölner Arzt motiviert, weiter zu forschen. Zusammen mit der Universität Magdeburg hat er mit einer Studie begonnen, die den Einsatz von tiefen Hirnelektroden bei Süchtigen untersucht. Die Mechanismen, die im Gehirn zur Entstehung einer Suchterkrankung führen, sind übrigens bei allen Drogen gleich. Deswegen könnten die Hirnelektroden in Zukunft auch bei Kokainabhängigen oder starken Rauchern eingesetzt werden.