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Dumbos Vater

Nach dem Ende der Kreidezeit folgte der Siegeszug der Säugetiere. Wie sich die einzelnen Gruppen entwickelt haben, können Paläontologen nur schwer rekonstruieren, da es aus dieser Zeit nur wenige Fossilien gibt. Jetzt haben französischen Paläontologen eine wichtige Lücke im Stammbaum geschlossen: Sie entdeckten einen der ersten Vorfahren heutiger Elefanten.

Von Michael Stang | 23.06.2009
    Auch wenn Elefanten heutzutage mehrere Tonnen Gewicht auf die Waage bringen können, sind ihre Wurzeln eher bescheiden. Der Urahn der Rüsseltiere war kaum größer als ein Hase, hatte noch keine Stoßzähne, auch der Rüssel fehlte und die Stirn war nicht gewölbt. Ob der kleine Urelefant aus Afrika vielleicht auch wie die heutigen Nager ausgesehen hat, wisse er leider nicht, sagt der französische Paläontologe Emmanuel Gheerbrant vom Naturhistorischen Nationalmuseum in Paris.

    "Wir wissen nicht sehr viel über dieses Tier. Was wir aber sagen können ist, dass es ein sehr kleines Rüsseltier war, wahrscheinlich nur vier bis fünf Kilogramm schwer. Die Schädelmorphologie ist sehr primitiv und erinnert stark an heutige Klippschliefer. Wenn wir uns alle Merkmale anschauen kommt unser Fund definitiv als gemeinsamer Vorfahre von Klippschliefern, Seekühen und Rüsseltieren infrage."

    Obwohl Elefanten, Seekühe und die Kaninchengroßen Klippschliefer - die überwiegend in Afrika vorkommen und äußerlich Murmeltieren ähneln - auf den ersten Blick kaum eine Verwandtschaft vermuten lassen, könnte der neue Fund ihr letzter gemeinsamer Vorfahre sein. Emmanuel Gheerbrant entdeckte das 60 Millionen Jahre Fossil in den Phosphatlagerstätten von Ouled Abdoun in Marokko, hundert Kilometer östlich von Casablanca. Aus der Abfolge der Gesteinsschichten in Marokko schließt er, dass die Fossilien rund fünf Millionen Jahre älter sind als die des bislang urtümlichsten Rüsseltiers, des 55 Millionen Jahre alten Phosphatheriums. Obschon nur 15 Fundstücke des neuen Urrüsseltiers erhalten sind, lasse sich Eritherium azzouzorum dennoch problemlos in die Frühzeit der afrikanischen Säugetiere einordnen.

    "Von dem Schädel ist nur der vordere Teil erhalten, so wie einige, aber aussagekräftige Zähne. Bei dem Tier handelt es sich vermutlich um einen äußerst primitiven Vertreter aus der Ordnung der Rüsseltiere, von denen heute nur noch die Elefanten leben. Zu unserer Überraschung sahen wir, dass es die urtümlichsten Merkmale und Ähnlichkeiten aufweist, die wir je bei einem Fossil aus dieser Gruppe gefunden haben."

    Erst nach der Trennung von Klippschliefern und den Seekühen wurden die Rüsseltiere im Laufe der Evolution immer größer. Während sich ihre Kiefer mit der Zeit verkürzten, wölbten sich allmählich die Schädel auf, die Schneidezähne im Oberkiefer wurden länger und entwickelten sich alsbald zu Stoßzähnen. Schließlich verlängerte sich auch ihre Nase zu dem geschickten Tast- und Greiforgan, das den Rüsseltieren ihren Namen gab. Die Entdeckung des vermutlichen Urahnen aller Elefanten verrate aber noch mehr, sagt Emmanuel Gheerbrant:

    "Das besondere an diesem Fund ist, dass er eine primitive Stufe in der Evolution darstellt, die bislang nicht bekannt war. Wenn es vor 60 Millionen Jahre also noch solche urtümlichen Tiere gegeben hat, ist es erst weit nach dem Ende der Kreidezeit zu einer plötzlichen Vielfalt dieser Tiere gekommen. Das widerspricht bisherigen molekularen Hochrechnungen, die davon ausgehen, dass sich diese Säugetiere schon viel früher spezialisiert hatten."

    Das Fossil bestätigt demnach die These, dass sich neue Säugerordnungen in Afrika erst mit Beginn des Tertiärs vor 65 Millionen Jahren schlagartig entwickelt hätten. Das bedeutet nicht nur, dass diese Säugetiere erst nach dem Aussterben der Dinosaurier ihren Siegeszug antraten, sondern auch, dass sie überhaupt erst nach dem Verschwinden der Urzeitgiganten entstanden sind.