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Durchbruch unter Vorbehalt

Medizin. – Eine US-Firma hat nach eigenen Angaben einen Impfstoff gegen Krebs gefunden. In den USA ist er allerdings nicht zugelassen, deshalb ist das Unternehmen jetzt einen anderen Weg gegangen: Es will den Impfstoff in Russland auf den Markt bringen. Die Genehmigung dafür hat man bereits. Auf dem Welt-Impfstoff-Kongress in Washington berichteten Vertreter über Einzelheiten.

Von Arndt Reuning | 24.04.2008
    Eine Schutzimpfung gegen Krebs gibt es bereits: Zwei verschiedene Mittel können verhindern, dass sich Frauen mit humanen Papillomviren infizieren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Der Impfstoff, den die Firma Antigenicsaus New York nun in Russland auf den Markt bringen möchte, funktioniert anders: Er bekämpft die Krankheit, wenn sie bereits ausgebrochen ist – indem er das körpereigene Immunsystem der Krebspatienten dazu anregt, den Tumor zu bekämpfen, sagt Garo Armen, der Geschäftsführer von Antigenics.

    "”Unser Produkt ist auf jeden einzelnen Patienten zugeschnitten. Wir stellen den Impfstoff direkt aus dem Tumorgewebe des Patienten her. Theoretisch eignet es sich daher für jede Art von Krebs. Am weitesten fortgeschritten allerdings sind unsere Programme bei Nierenkrebs und Hautkrebs.""

    Die Krebszellen des Tumors sind gespickt mit kleinen Eiweißmolekülen, die sie von gesunden Körperzellen unterscheiden. Die sind gleichzeitig eine Art Steckbrief, mit dem das Immunsystem die Tumorzellen erkennen könnte, um sie dann abzutöten. Aber meistens finden Krebszellen Wege, sich der Immunabwehr zu entziehen. Deshalb ernten die Mitarbeiter der New Yorker Firma sozusagen diese Eiweißschnipsel und stellen daraus den Impfstoff her, der die körpereigene Abwehr aktiviert. Und weil diese sogenannten Antigene von Patient zu Patient unterschiedlich sind, isolieren die Wissenschaftler die Moleküle direkt aus dem Tumorgewebe. Dabei helfen ihnen biologische Substanzen, die überall im Körper vorkommen. Armen:

    "”Hitzschockproteine, auch bekannt als Chaperon-Proteine. Also die "Anstandsdamen" unter diesen Substanzen. Zu ihren Aufgaben im Körper gehört es, die kleinen Eiweißschnipsel an sich zu binden und zu transportieren. Und dabei sind sie nicht besonders wählerisch. Sie binden alles an sich, was ihnen in die Quere kommt. Und deshalb erwischen wir damit den gesamten Vorrat an Antigenen im Tumor.""


    In einer Studie mit rund 600 Krebspatienten konnte der Impfstoff beweisen, dass er tatsächlich die Lebenserwartung der Betroffenen erhöht. Allerdings wirkt er nur bei solchen Patienten, bei denen die Krankheit noch nicht zu weit fortgeschritten ist, die noch keine Metastasen entwickelt haben. Armen:


    "”Patienten in einem frühen Stadium stellen die beste Zielgruppe dar für Krebs-Impfstoffe. Denn die Belastungen durch die Krankheit sind noch gering. Je weiter die Krankheit voranschreitet, desto mehr Schwierigkeiten ergeben sich für die Behandlung. Zum Beispiel: Große Tumore können sich dem Immunsystem besser entziehen. Und ganz wichtig: Wenn man das Immunsystem aktiviert, und der Tumor schon sehr stark gewachsen ist, dann muss man einen sehr starken Gegner bekämpfen. Das ist sehr viel schwieriger.""

    Wenn Antigenics nun den Impfstoff in den USA zulassen wollte, dann müsste eine neue langjährige Studie nur für diese spezielle Patientengruppe angefertigt werden. Aus diesem Grund hat sich die Firma dazu entschlossen, das Mittel zunächst in Russland auf den Markt zu bringen. Das Gesundheitsministerium in Moskau hat vor wenigen Tagen die Genehmigung erteilt – auf der Basis jener Ergebnisse, die bei den Patienten im frühen Krebsstadium gewonnen worden sind. Armen:

    "”Der nächste Schritt direkt danach wäre es dann, in Europa einen Antrag zu stellen auf eine eingeschränkte Genehmigung. Unter der Hoffnung, auch in Europa eine Zulassung zu erhalten. In den USA wird da wohl weiterhin ein großes Fragezeichen bleiben.""

    Allerdings nicht das einzige Fragezeichen. So bezweifeln zum Beispiel einige Impfstoff-Forscher, dass das Präparat auf lange Frist seine Wirksamkeit behält. Es könnte zum Beispiel zu einer Art Abstumpfungsprozess des Immunsystems kommen, wie bei einer chronischen Viren-Infektion.