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Durchs Leben geschlagen

Wenn junge Frauen boxen, geht es ihnen meist nicht ums Kämpfen - sie wollen ihr Selbstbewusstsein stärken. So wie die Mitglieder des Vereins Boxgirls Berlin. Neben dem Training für Leistungs- und Freizeitsportlerinnen werden auch Workshops an Schulen angeboten.

Von Jutta Heeß | 26.12.2009
    In einer kleinen Turnhalle in Berlin-Kreuzberg bereiten sich zehn junge Frauen auf ihr Boxtraining vor - mit Seilspringen und Liegestütze. An der Wand hängt ein großes Filmposter von Sylvester Stallones "Rocky Balboa", Boxhandschuhe liegen im Ring. Die Frauen sind Freizeitsportlerinnen und trainieren regelmäßig bei den Boxgirls, mit 60 Mitgliedern der größte Frauenboxverein Europas.

    Sarah Bitterling gibt die Kommandos. Sie ist eine von fünf Trainerinnen der Boxgirls. 2001 wurde der Verein von der US-amerikanischen Boxerin und Integrationspädagogin Heather Cameron gegründet. Drei Athletinnen trainieren für Wettkämpfe im Ring, die anderen kommen aus Spaß am Sport hierher. Wie die 32-jährige Sandra:

    "Boxen ist ja kein aggressiver, sondern ein sehr technischer Sport. Ich muss ja meine Gegnerin durchschauen, also wenn ich aggressiv in einen Kampf gehe, werde ich immer verlieren. Weil ich nicht aufpassen kann. Und das ist halt was schade, was beim Boxen unterschätzt wird, dass viele denken, die hauen sich nur die Schnauzen blutig, aber eigentlich hat es damit zu tun, dass man seine Gegnerin durchschaut und dann zuschlägt."

    Die Boxgirls wollen Frauen und Mädchen einen Freiraum bieten, in dem sie einen für Frauen ungewöhnlichen Sport ausüben können. Der ihnen aber – im Gegensatz zu anderen Sportarten – zugleich die Möglichkeit bietet, sich im Leben zu behaupten.

    "Boxen ist ein Kampfsport zum einen, du bist für dich selbst verantwortlich, das heißt, du kennst deine Leistung, du kennst deine Stärken, du kennst deine Schwächen, das kannst du auch in Alltag übertragen, du kannst also noch mal eine andere Art von Selbstbewusstsein erfahren, du gehst an deine Grenzen und kannst die auch immer weiter nach hinten pushen. Und das lässt sich auch wunderbar in den Alltag transferieren, und ins Arbeitsleben, oder wenn du studierst, oder generell bei Sachen, die du bewältigen möchtest, leisten möchtest."

    Der Einsatz der Boxgirls geht somit über das rein Sportliche hinaus. Sie sind zudem Initiatorinnen des Projekts "Starke Mädchen. Sicher im Kiez". Die Trainerinnen besuchen hierbei Berliner Schulen an sozialen Brennpunkten und arbeiten in Workshops mit Schülerinnen zwischen zehn und 16 Jahren. Auslöser des Projekts war der Wunsch der Boxgirls-Initiatorinnen, möglichst vielen jungen Mädchen ein stärkeres Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Mitte Januar werden die Workshops fortgesetzt.

    "Bei dem Projekt 'Starke Mädchen. Sicher im Kiez' ging es uns darum, mit den Mädchen über Sicherheit zu sprechen, wann fühlen sie sich sicher, wann fühlen sie sich unsicher. Das haben wir natürlich mit Boxen verbunden, weil es da auch um die eigene Sicherheit geht, du achtest darauf, dass du nicht getroffen wirst, du weichst aus, du erlernst Reaktionsschnelligkeit, du lernst aber auch, wo deine Grenzen sind, du solltest dich nicht unsicher fühlen durch Selbstüberschätzung, gerade diese Nähe und Distanz, Boxen hat viel mit Distanz zu tun und gerade dieses Distanzgefühl kannst du dann auch auf der Straße einsetzen, um dich sicher zu fühlen."

    Die Frauen in der Kreuzberger Halle trainieren an den Punching-Bällen. Energisch schlagen sie auf die Säcke ein, sie ducken sich, die Füße sind ständig in Bewegung. Boxen kann äußerst elegant sein. Und obwohl Boxen ein Kampfsport ist, kann es verbindend wirken. Zumindest bei den Boxgirls:

    "Ich habe auch viele muslimische Mädchen hier, zwei kommen mit Kopftuch in die Halle und die Eltern sind damit einverstanden. Ich habe auch zwei Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund, wo die Eltern sie aus Dahlem hierher fahren, die Mutter selber so interessiert war, dass sie selbst schon zum Boxen gekommen ist und dem ganz offen gegenüber stehen."

    Die Berliner Boxgirls leisten Pionierarbeit in doppelter Hinsicht: Sie setzen den Sport als Instrument für Integrations- und Sozialarbeit ein. Und sie sorgen dafür, dass Boxen nicht mehr als reiner Männersport wahrgenommen wird. Auch damit liegen sie voll im Trend: Frauenboxen wird 2012 erstmals olympisch sein.