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Ein NPD-Verbot "muss sehr genau geprüft werden"

Dass es "ein organisiertes Netzwerk gibt und die Strafverfolgungsbehörden und der Verfassungsschutz das gar nicht sehen wollten", sei erschreckend, sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland im Hinblick auf den rechten Terror. Präses Nikolaus Schneider sieht durchaus gute Gründe für ein Verbot der NPD.

Nikolaus Schneider im Gespräch mit Rüdiger Achenbach | 18.12.2011
    Achenbach: Herr Schneider, zurzeit sorgt in der Evangelischen Kirche im Rheinland ein Finanzskandal für einige Aufregung. Ein Unternehmen der Kirche ist durch zweifelhafte Anlagegeschäfte in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Landeskirche musste jetzt 20 Millionen Euro bereitstellen, um eine Insolvenz zu vermeiden. Muss dies Geld jetzt in den Kirchengemeinden eingespart werden?

    Nikolaus Schneider: Nicht aktuell. Das Geld wird voll aus den Rücklagen der Landeskirche genommen, sodass es das Handeln der Gemeinden nicht beeinträchtigen wird. Aber es ist trotzdem bitter für uns alle. Hier muss ich allerdings sagen: Offensichtlich ist es so, dass wirklich ein massives kriminelles Vorgehen auf diese Firma gerichtet war, und ihr wurde ein bestimmter Betrag vermutlich schlicht und ergreifend geklaut durch Manipulation. Allerdings gibt's auch offensichtliche Schwächen in der Aufsicht. Und dieses Zusammenspiel – das ist wirklich ausgesprochen bitter für uns.

    Achenbach: Was sollte man denn nach Ihrer Meinung nun tun, dass so eine Spekulation in Unternehmen der Kirche zukünftig vermieden werden kann?

    Schneider: Eigentlich sind unsere Regularien völlig klar. Es gibt ethische Standards, und was da an Anlagegeschäft gemacht wurde, spricht allem Hohn. Das heißt, was wir hier brauchen, ist eine funktionsfähige Aufsicht, die so etwas erst gar nicht zulässt. Das ist das Wesentliche. Das Zweite, was wir als Kirchenleitung sicher machen werden, ist, dass wir aktiv die Beteiligungen der Evangelischen Kirche im Rheinland überprüfen und uns berichten lassen. Bisher ist es so, dass wir Menschen in die Aufsichtsorgane entsenden und darauf vertrauen, dass sie uns berichten, wenn es Probleme und Schwierigkeiten gibt – also die Kirchenleitung auf dem Laufenden halten. Wir vertrauen darauf, dass das funktioniert. Das werden wir in Zukunft ändern. Wir werden nach dem berühmten Satz "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" ein Kontrollsystem einführen, sodass also solche Dinge in Zukunft nicht mehr möglich sein werden – alleine durch die Systematik der Überwachung.

    Achenbach: Stellt sich hier nicht auch grundsätzlich die Frage, ob die Kirche ein Unternehmen haben muss als Inhaberin, das über den eigenen Kernbereich hinausgeht und auch Dienstleistungen nach außen anbietet?

    Schneider: Ja, die Frage stellt sich, die muss man natürlich diskutieren. Es gibt sicher Fälle, wo Kirche gut beraten ist, wenn sie nicht in dieser Weise wirtschaftlich tätig wird. Aber es gibt auch Bereiche, wo es eine gute Expertise in den Kirchen gibt, und in der wir dann diese Expertise offen anbieten können und sie denn auch noch dazu hilft, dass das, was wir für die eigene Leistung aufbringen müssen, dadurch mit gedeckt wird oder einen Deckungsbeitrag erhält. Dann ist das ja auch ein schonender Umgang mit dem Geld, das den Kirchen anvertraut ist. Also, das kann man nicht mit einem klaren "Ja" oder "Nein" beurteilen, sondern wichtig scheint mir zu sein - kirchliche Expertise, dass wir wirklich genau wissen, was wir tun, und den Anforderungen des Geschäftes gewachsen sind. Da, wo wir diesen Anforderungen nicht gewachsen sind, da sollte man es besser bleiben lassen.

    Achenbach: Denn auch die Kirche ist darauf angewiesen, Kapital anzulegen.

    Schneider: Die Kirche legt ständig Kapital an. Aber die Kirche hat ja auch in ihren Reihen Menschen, die etwas davon verstehen und denen sie dies anvertrauen kann.

    Achenbach: Die beiden großen Kirchen sind nach dem Staat in unserem Land die beiden größten Arbeitgeber. Dabei sehen die Kirchen sich nicht im Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer, sondern sie verstehen sich als Dienstgemeinschaft. Warum?

    Schneider: Erstens, weil die Kirchen keine Renditen erwirtschaften wollen. Wir haben keine Kapitalgeber, denen wir Gewinne abführen müssen, damit dort deren Eigentum bereichert wird. Das ist überhaupt nicht unser Ziel. Unser Ziel ist eine schwarze Null, das heißt, die Investitionen sollen verdient werden, aber das ist es. Zweitens – weil das so ist, sind wir im Ansatz nicht in der Situation, durch das Drücken von Löhnen möglichst viel an Geld, an Gewinn für das Unternehmen herausschlagen zu müssen. Das ist überhaupt nicht unsere Geschäftsidee. Sondern die Geschäftsidee ist, den Leuten so viel wie möglich auch zu geben, sie so gut wie möglich zu bezahlen, denn die Arbeit hat ja auch nun ihren Wert, und wir wollen die Menschen nicht ausbeuten. Und wir wollen das Verhältnis zwischen oben und unten auch in einem verträglichen Maß halten. Das heißt, die Geschäftsführung soll nicht übermäßig viel mehr bekommen als die dort normal Beschäftigten.

    Achenbach: Vielleicht sollten wir noch darauf eingehen: Es gibt ja im Arbeitsrecht zwei klassische Modelle, einmal den sogenannten ersten Weg, bei dem der Arbeitgeber allein die Arbeitsbedingungen festlegt. Dann den sogenannten zweiten Weg, bei dem der Arbeitgeber und die Gewerkschaften Tarifverträge aushandeln. Und die Kirchen nehmen für sich einen eigenen Weg in Anspruch.

    Schneider: Den dritten Weg.

    Achenbach: Das heißt, den sogenannten dritten Weg. Was ist das Besondere?

    Schneider: Das Besondere dieses dritten Weges ist, dass die Arbeitsrechtssitzung in voller Parität erfolgt, also das ist eine echte Parität. Da sitzen Arbeitgebervertreter wie Arbeitnehmervertreter oder Dienstgebervertreter wie Dienstnehmervertreter am Tisch, die sich verständigen müssen. Da, wo sie sich nicht verständigen können, gibt es eine sogenannte "Zwangsschlichtung", die beide Seiten bindet. Und dieses Organ ist paritätisch besetzt, hat allerdings dann so zusagen einen neutralen Mann oder eine neutrale Frau, deren Stimme dann am Ende entscheidend sein kann, wenn es um die Schlichtung geht, und die Schlichtung ist dann verpflichtend.

    Achenbach: Aber die Arbeitskampfmaßnahmen sind ausgeschlossen?

    Schneider: Arbeitskampfmaßnahmen sind in unserem Arbeitsrecht ausgeschlossen, ja.

    Achenbach: Nun hat in diesem Jahr ein Landesarbeitsgericht entschieden, dass ein generelles Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen nicht zulässig sei. Die Begründung: Nicht alle Arbeiten könnten als "Dienst am Nächsten" definiert werden, wie zum Beispiel Zulieferbetriebe oder der Bereich der Kostenabrechnung. Kann dieses Urteil bedeuten, dass man künftig die Tätigkeiten im kirchlichen Dienst differenzierter sehen muss?

    Schneider: Wir werden sehen, wohin die Entwicklung führt. Aber es ist schon beachtlich, dass ein solches Arbeitsgericht meint, anders entscheiden zu können, als es das Bundesverfassungsgericht festgelegt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass die Kirchen aufgrund unseres Grundgesetzes das Recht haben, ihre Angelegenheiten selber zu regeln und dass die Regeln des Arbeitsrechtes dazugehören. So. Und das ist etwas, was auch die Arbeitsgerichte zu respektieren haben. Das Zweite, was man sagen muss, ist: Es ist schon merkwürdig, wenn ein Arbeitsgericht anfängt zu definieren, was verkündigungsnah und verkündigungsfern ist. Diese Art von Durchgriff in die inneren Angelegenheiten der Kirche – diese Art von Durchgriff möchten wir nicht erleben. Wir möchten selber definieren, wie wir unseren Verkündigungsauftrag verstehen, was also nah und fern ist.

    Achenbach: Also Verkündigung in Tat und in Wort.

    Schneider: Verkündigung in Tat und in Wort, in der Tat. Das ist unser Verständnis. Und deshalb gehört die Diakonie auch zur Verkündigung. Martin Luther konnte mal sagen: Die Magd im Stall lebt Gottesdienst in ihrer Arbeit. Also, wir haben da einen anderen Begriff von Verkündigung, nicht zu einem religiös verengten. Und es kann wirklich nicht das religiöse oder theologische Verständnis eines Arbeitsrichters oder einer Arbeitsrichterin sein, dass sie das Verständnis der Kirche definiert. Das kann nicht sein.

    Achenbach: In den letzten Monaten ist am kirchlichen Arbeitsrecht von mehreren Seiten Kritik geübt worden. Die Parteien Bündnis 90/Die Grünen und die Linke hinterfragen zum Beispiel, ob denn innerhalb des dritten Weges die Interessen der Mitarbeiter ausreichend zur Geltung kommen, denn in den arbeitsrechtlichen Kommissionen seien die Mitarbeitervertreter in der schwächeren Position, zum Beispiel bei juristischen Fragen. Sehen Sie das auch so, dass hier eine Schieflage in der Parität entstehen kann?

    Schneider: Ja, das ist so die Behauptung, wir hätten zwar die Parität, aber es sei eben keine inhaltliche Parität, weil die andere Seite durch das Know-how viel stärker sei. Hier kann ich nur sagen, jedenfalls in dem Bereich, den ich überblicke, stellen wir entsprechend Geld zur Verfügung, sodass sich die Arbeitnehmervertreter, die Dienstnehmervertreter, auch juristischen Rat und Sachkunde einkaufen können. Das zahlen wir, damit sie das können. Im Übrigen sind durchaus auch Verbandsvertreter eingeladen, um die Arbeitnehmervertreter zu unterstützen. Und es gibt die kirchlichen Selbstorganisationen, die sich beteiligen. Verdi könnte das auch, aber Verdi ist nicht dazu bereit.

    Achenbach: Es gibt ja gerade auch von Verdi immer wieder den Vorwurf und die Kritik, dass einige Einrichtungen der Diakonie sich mit Outsourcing und Lohndumping Wettbewerbsvorteile erwirtschaften würden.

    Schneider: Ich will nicht bestreiten, dass es schwarze Schafe gibt, dass outgesourct wird und dann jenseits irgendeines Tarifes bezahlt wird. Aber hier muss ich doch deutlich sagen: Die diakonischen Unternehmen sind sehr bewusst in einen Wettbewerb hineingestellt worden. Das sind Veränderungen im gesetzlichen Bereich, das hat die Politik mit betrieben, dass da nun Wettbewerb herrscht in einem Arbeitsbereich, der zu 80 Prozent und mehr von Personalkosten bestimmt ist. Da kann man sich an drei Fingern abzählen, was Wettbewerb dann heißt.

    Achenbach: Im Pflegebereich.

    Schneider: Vor allen Dingen im Pflegebereich. Also da kann man nur sagen, das ist nicht unsere Logik gewesen, die zu diesen Verhältnissen geführt hat. Das haben wir sehr bedauert und wir haben auch deutlich dagegen Stellung genommen. Nun ist es aber so. Und wenn Sie Tarife zahlen, die etwa am öffentlichen Dienst orientiert sind, und Sie haben einen Wirtschaftsbetrieb in der diakonischen Einrichtung, der im gärtnerischen Bereich tätig ist oder im Hauswirtschaftsbereich, und Sie haben Konkurrenzunternehmen, die zahlen nach dem, was die Gewerkschaften an Tarifen abgeschlossen haben in diesen Bereichen, und diese Tarife sind sehr viel niedriger, dann kriegen Sie ein Problem. Und wenn dann diakonische Unternehmen hingehen und sagen: Wir wollen Wettbewerbsgleichheit erreichen, indem wir diese Bereiche ausgliedern und dann den Tarif von MTG zahlen oder ähnlich, aber einen ordentlich ausgehandelten Tarif, dann habe ich dafür Verständnis. Ich finde es nicht toll, weil Dienstgemeinschaft heißt für mich etwas anderes. Aber dann ist das nachvollziehbar und dann ist es kein Wettbewerbsvorteil, dann ist es Gleichheit im Wettbewerb, wenn man sich das anguckt. Es gibt eine Variante dabei, die ist unseriös, die dann nicht an Tarifen orientiert bezahlt. Die gibt es auch. Und das kann auf keinen Fall sein, das ist etwas, was wir überhaupt nicht dulden.

    Achenbach: In den letzten Wochen erleben wir in Deutschland auch eine lebhafte Diskussion über den Rechtsextremismus. Was meinen Sie, wurde diese politische Richtung in den letzten Jahren unterschätzt?

    Schneider: Ja, absolut. Ich meine, das ist doch erschreckend zu sehen, dass es dort offensichtlich ein organisiertes Netzwerk gibt und die Strafverfolgungsbehörden und der Verfassungsschutz das gar nicht sehen wollten, sondern im Ansatz der Beobachtung und im Ansatz der Verfolgung davon ausgeht, das seien jeweils Einzeltäter und Einzeltäterinnen, und das bei dieser hohen Zahl von Morden. Das ist schon verwunderlich.

    Achenbach: Als eine notwendige Maßnahme wird ja das Verbot der NPD gefordert.

    Schneider: Das muss sehr genau geprüft werden, denn wenn man ein solches Verfahren nun anstrengt, muss es klappen. Und wir haben ja bestimmte Erfahrung. Es ist schon einmal gescheitert. Dass es damals gescheitert ist, hatte damals damit zu tun, dass V-Leute der Verfassungsschutzbehörden, auch hochrangig, bei der NPD eingesetzt waren. Also eine Voraussetzung ist offensichtlich, dass diese Art des Versuchs, den rechten Sumpf zu verstehen und zu durchdringen, dass diese Art nicht dazu führen darf, dass das Verfahren scheitert. Was dafür spricht, ist, dass erstens die Parteienfinanzierung der NPD nicht mehr zur Verfügung steht. Das muss man sich ja einmal klar machen: Staatsgeld in nicht unerheblicher Höhe dient dazu, rechte Propaganda zu finanzieren, und, wenn die das geschickt weiterleiten, im Zweifelsfall auch noch rechten Terror zu finanzieren. Das ist eigentlich ungeheuerlich, ein Skandal ist das. Zweitens, wenn dann Abgeordnete der NPD im Parlament gewählt werden, genießen sie eine entsprechende Bühne und sie genießen auch die Immunität, die damit verbunden ist. Sie haben also die Möglichkeit, sich öffentlich zu artikulieren.

    Achenbach: Und in den Medien darzustellen.

    Schneider: Und sich in den Medien darzustellen. Drittens: Das Signal, dass diese Partei gewählt wird und in Parlamenten vorkommt, heißt doch, das ist legitim, das gehört ins Spektrum der Parteien, die in unserer Gesellschaft sich bewegen können. Und auch das ist ein völlig falsches Signal. So, also man muss alles dafür tun, dass diese Möglichkeiten nicht mehr gegeben sind. Das alles spricht sehr für ein Parteienverbot. Und es kommt noch etwas Weiteres hinzu. Dieses Problem anzusiedeln alleine auf der Ebene juristisches Verbieten oder erlauben, ist viel zu wenig, sondern man muss fragen, was ist eigentlich hinter diesem Gedankengut, das zum Rechtsextremismus führt. Also was ist da an Rassismus, an Antisemitismus? Und da muss man sich erstens fragen, aus welchen Wurzeln wird das gespeist und wie gehen wir mit diesen Wurzeln um? Wie diskutieren wir mit den Leuten? Was bieten wir in gesellschaftlichen Bereichen, in denen Arbeitslosigkeit da ist, Verwahrlosung von Jugendlichen? Was bieten wir da an Jugendarbeit? Und schließlich auch: Wie ist das etwa mit der Arbeitslosigkeit junger Menschen? Also es ist ja offensichtlich so, dass vor allen Dingen arbeitslose junge Männer dort anfällig sind. Ich kann nur sagen, mich wundert das nicht. Ich hatte einen ziemlich guten Geschichtsunterricht. Da haben wir schon über 33 gelernt, dass die hohe Arbeitslosigkeit und die Arbeitslosigkeit junger Leute einer der Gründe dafür war, dass die Nazis sich etablieren konnten neben der allgemeinen gesellschaftlichen Unterschätzung und des Paktierens eines großen Teils des Bürgertums mit den Nazis. Also, das habe ich schon im Geschichtsunterricht gelernt. Dass hier ein kritischer Punkt ist, wie gehen wir mit der Arbeitslosigkeit um, was investieren wir in Jugendarbeit, das war mir schon längst klar. Und das ist auch nun wiederum eine Unterschätzung der Situation und auch ein Versagen, wenn wir dafür nicht die nötigen Mittel bereitstellen, dass die, die sich dort in der Jugendarbeit engagieren wollen, dass die das auch können, dass wir die entsprechenden Stellen und die Ausstattungen bezahlen. Wir haben uns ja häufig aus diesen Gebieten völlig zurückgezogen. Und das geht nicht und Arbeitslosigkeit ist eben auch ein Hauptthema. Die Leute brauchen Arbeit, und wenn es so was ist wie ein gut organisierter zweiter Arbeitsmarkt, für den die Diakonie schon länger eintritt, für den ich auch schon seit 20 Jahren plädiere.

    Achenbach: Wie geht man denn innerhalb der Kirche damit um, wenn zum Beispiel haupt- und ehrenamtliche Vertreter der Kirche rechtsextremes Gedankengut vertreten?

    Schneider: Manifest haben wir das Problem so nicht. Ich kenne keine Vertreter der Kirche, die dem Rechtsextremismus zuzuordnen wären oder die massiv rechtes Gedankengut vertreten. Wir haben bei denjenigen, die kirchliche Ämter wahrnehmen, ja die Möglichkeit der Wahl oder der Nichtwahl durch entsprechend Befragung. Ich bin sehr sicher, dass es Synoden oder auch Presbyterien – also rechtsextremes Gedankengut – nicht wählen werden. Durch entsprechendes Offenmachen haben wir die Möglichkeit. Da, wo es allgemein um Gemeindemitglieder geht, sind wir schwach.

    Achenbach: Da gibt es wenig Möglichkeiten.

    Schneider: Da gibt es wenig Möglichkeiten. Da gibt es nur die Möglichkeit, die wir auch ansonsten in der Jugendarbeit haben: Aufklären, argumentieren, Gründe nennen, tapfer widersprechen.

    Achenbach: Zum menschenverachtenden Gedankengut des Rechtsextremismus gehört vor allem auch der Antisemitismus. Sie haben das vorhin schon angesprochen. Gerade in diesen Tagen hat die Bundesregierung ihren Antisemitismusbericht veröffentlicht. In diesem Bericht wird auch ausdrücklich betont, dass die beiden großen Kirchen sehr deutlich jede Form des Antisemitismus verurteilen. Grundsätzlich kann man ja feststellen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg hier auch eine Umorientierung in der evangelischen Theologie stattgefunden hat. Gerade die Rheinische Landskirche, deren Präses Sie sind, hat dabei ja eine besondere Vorreiterrolle eingenommen.

    Schneider: Wir haben also eine entsprechende Arbeitsgruppe eingesetzt, an der auch Jüdinnen und Juden beteiligt waren. Das war schon etwas sehr Besonderes. Dann hat unsere Synode im Jahre 1980 einen Beschluss gefasst zur Erneuerung des Verhältnisses zwischen Christen und Juden. Dieser Beschluss hatte eine theologische Grunderkenntnis, und diese theologische Grunderkenntnis hieß: Es ist nicht so, dass Gott sein Volk verworfen hat, dass der Bund Gottes mit seinem Volk Israel zu Ende ist und dass der neue Bund mit der Christenheit an die Stelle des alten Bundes getreten ist. Das ist irrig, eine völlig falsche Lehre, sondern der Bund Israels bleibt und er gilt auch heute. Und das Verhältnis dieses Bunds Gottes mit Israel zum Bund Gottes mit seiner Kirche ist so, dass diese Bünde durch Jesus Christus zusammengehalten werden. Jesus Christus war Jude und ist Jude, und er hat den Bund Gottes zur Völkerwelt hin geöffnet. Das haben wir theologisch erkannt, beziehungsweise diese Erkenntnis gibt es auch schon in der Heiligen Schrift. Der Apostel Paulus hat das vor allen Dingen in den Kapiteln IX bis XI des Briefes an die Römer so ausformuliert. Aber es gibt natürlich in der gesamten Heiligen Schrift auch durchaus Stellen, die sind ausgesprochen judenkritisch oder judenunfreundlich.

    Achenbach: Zum Beispiel auch im Johannesevangelium.

    Schneider: Im Johannesevangelium, Synagoge des Satans. Das ist in Johannes VIII zu finden. Und jetzt ist immer die Frage, welche Passagen der Heiligen Schrift sind besonders wirksam in der jeweiligen Zeit. Und man muss schon sagen, es war auch dieser zivilisatorische Zusammenbruch in unserem Lande, dass hochgebildete Menschen zu schlimmsten Verbrechen in der Lage waren und dass eine Kulturnation wie Deutschland nicht in der Lage war, diesen Naziterror zu beenden, erst gar nicht aufkommen zu lassen und die fabrikmäßige Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden, das war Barbarei pur. Also diese Erfahrung hat dazu geführt, dass die Bibel dann auch anders gelesen wurde, auch in unserer Kirche, denn es gab – Gott sei's geklagt – auch genügend evangelische Christinnen und Christen, die sich daran beteiligt haben. Und es gab in der Nazizeit auch eine Theologie, die im Grunde dem Judentum die Urkunde ihres Glaubens geraubt hat.

    Achenbach: Eine wichtige Konsequenz aus diesen Überlegungen ist dann ja auch, es soll keine Judenmission mehr geben.

    Schneider: Also, wir haben im Rheinland gesagt, dass wir unseren Glauben voreinander und gemeinsam vor der Welt bekennen. Aber ich meine, wozu wollen wir die Juden missionieren? An den Gott, an den wir glauben, glauben die auch. Und da haben sie vorher dran geglaubt. Dass Jesus der Messias ist, das ist der Punkt, der uns trennt. Und das können wir ihnen nur bezeugen. Paulus hat da selber das Bild dazu gefunden, dass er gesagt hat, dass nun aus den Heiden so viele in diesen Bund mit Gott eintreten, das soll jetzt die Juden dazu anreizen, ihre Position zu überdenken – soll sie anreizen, nicht erschlagen – also, ihre Position zu überdenken, und am Ende der Zeit werden wir dann alle zusammenkommen. So, da kann ich nur sagen, darauf lasst uns auch warten. Ich bin der Meinung, dass uns diese Form der Judenmission auch nicht erlaubt ist, nicht geboten ist, weil Gott selber am Ende der Zeit dies heraufführen wird. Und das, was Gottes Sache ist, sollen wir bitte ihm überlassen und nicht selber in die Hand nehmen. Also, einem Juden gegenüber bekenne ich auch meinen Glauben an Christus und ich bin auch der Meinung, dass er auch der Messias Israels ist. Das verschweige ich nicht. Aber dass der Bund Gottes mit seinem Volk ungekündigt ist, das ist gar keine Frage, das bleibt.

    Achenbach: Die theologische Umorientierung wäre ja dann, es gibt keine zwei unterschiedlichen Heilswege.

    Schneider: Ja. Wir glauben auch, dass auch für Jüdinnen und Juden der Weg sozusagen über Christus führt, über ihren Messias führt. Aber ob er unbedingt über die Kirche führt, das ist die Frage. Und das muss man auseinanderhalten.

    Achenbach: Hier ist die letzte Entscheidung dann auf das Eschaton aufgeschoben.

    Schneider: Genau. Das wird sich im Eschaton dann am Ende der Zeit dann genau erweisen. Also, das wäre so meine Position, nicht unbedingt zwei Wege, sondern schon ein Weg, der über Jesus schon führt, aber der nicht unbedingt Jesus an die Kirche bindet, sondern der Sohn Gottes, Jesus Christus, ist ja nicht nur derjenige, der dazu führte, dass dann Paulus und die ihm nachfolgten, eine Kirche gründeten, sondern er bleibt auch Jude und seinem Volk verbunden.

    Achenbach: Der Antisemitismusbericht der Bundesregierung stellt in diesem Zusammenhang die skeptische Frage, ob der christlich-jüdische Dialog auch wirklich an der Basis bei den Kirchenmitgliedern angekommen ist. Wie ist da Ihre Einschätzung?

    Schneider: Die Frage ist berechtigt. Man ist in diesem Dialog nie fertig. Also nach 1980 haben wir in unserer Kirche intensiv daran gearbeitet. Es gibt in jedem Kirchenkreis einen oder eine Beauftragte für dieses Gespräch. Wir haben das in den Gemeinden intensiv thematisiert. Aber man merkt auch, man muss immer wieder neu anfangen. Es kommen neue Generationen von Pfarrerinnen und Pfarrern, es kommen neue Generationen von Presbyterinnen und Presbytern und auch in die Landessynode hinein, und sie sind in der Aufgabe, dieses Wissen und diese Einstellung auch durch die Zeit zu tragen, und müssen immer wieder neu dran arbeiten. In der gesamten EKD hat sich das auch sehr ausgebreitet und ich glaube, auch da ist das mehr oder weniger Standard geworden. Aber es gibt durchaus noch Stimmen, sowohl in der wissenschaftlichen Theologie als auch in unseren Gemeinden, die die Akzente anders setzen möchten.

    Achenbach: Man hat also da durchaus eine Herausforderung durch dieses negative Kulturerbe in der Theologie?

    Schneider: Absolut. Wir haben diese Herausforderung, und ich bin der festen Überzeugung, die Herausforderung wird uns bis zum Eschaton erhalten bleiben.

    Achenbach: Herr Schneider, am nächsten Wochenende feiern die Christen in aller Welt Weihnachten. Mit welchem besonderen Wunsch gehen Sie denn in diese Feiertage?

    Schneider: Ich wünsche mir, dass diese alte Weihnachtssehnsucht 'Friede auf Erden', dass diese Sehnsucht wieder neu angefacht wird, dass Menschen zu diesen Wurzeln der Sehnsucht, nämlich der Botschaft des Evangeliums, Zugang finden, damit diese Sehnsucht nach Frieden auch erhalten bleibt und nicht versickert, zynisch wird oder dass man gleichgültig wird. Das ist mein Wunsch für Weihnachten.

    Achenbach: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Schneider: Bitte schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.