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Ein Stiefkind. Noch.

Eine der jüngsten sportwissenschaftlichen Disziplinen ist die Sportpolitologie. Jürgen Mittag, seit 2011 Professur für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule in Köln, will die Theorie und Praxis zusammenführen. Doch die Sportpolitiker zeigen sich noch uninteressiert.

Von Erik Eggers | 04.11.2012
    Zum vierten Mal trafen sich am Wochenende in Hamburg Sportwissenschaftler, Politologen und Historiker zu einem Symposium für Sportpolitik, Anlass war der Hamburger Sportkongress. "Interessenvertretung und Lobbying im Sport", lautete das Thema.

    "Die Sportpolitik ist noch so etwas wie das Stiefkind der sportwissenschaftlichen Forschung,"

    sagt Jürgen Mittag, einer der Organisatoren. Mittag ist seit 2011 Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule in Köln und zählt neben den Sportwissenschaftlern Wolfgang Buss und Sven Güldenpfennig zu den Initiatoren. Die Ziele und Aufgaben des noch informell tätigen Gremiums seien, erklärt Mittag,

    "grundlegende Fragestellungen, politische, politikwissenschaftliche Fragestellungen aufzugreifen und diese systematisch im Kreis von Wissenschaftlern zu behandeln, durchaus im Dialog von Praxis und Wissenschaft, hier sollen beide Vertreter, beide Sichtweisen zusammenkommen, um diese Probleme zu behandeln."

    Die Vereinigung strebt eine institutionelle Einbindung in wissenschaftliche Dachverbände an. Die Bemühungen, eine Sportpolitik-Sektion in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) zu eröffnen, seien bisher aber gescheitert, berichtete Buss am Freitag.

    Sportpolitische Funktionsträger aus den Parteien oder aus Ministerien interessieren sich offensichtlich nicht für die neue Wissenschaft. Eine Ausnahme war hier Thomas Beyer. Der Leiter des Sportamtes Hamburg berichtete anschaulich über die so genannte "Dekadenstrategie" des Stadtstaates, die gemeinsam mit dem Hamburger Sportbund, der Handelskammer und des Olympiastützpunktes umgesetzt wird und hoffnungsvolle Ansätze birgt.

    Zu den Schwerpunkten des Symposiums zählte die sportpolitische Gründungsgeschichte der Fußball-Bundesliga im Jahre 1963. Der Mainzer Historiker Nils Havemann berichtete über die zähen Verhandlungen zwischen den Funktionären des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und den Finanzbehörden, die der Gründung vorausgingen. Dabei entstanden kuriose juristische Konstruktionen. So durften die ersten "Lizenzspieler" wie der Hamburger Uwe Seeler oder der Kölner Hans Schäfer offiziell nicht dem Verein angehören, für den sie aufliefen – weil sie sonst die Gemeinnützigkeit des Klubs gefährdet hätten. Auf dieser Basis entwickelte sich in den Jahren danach, so Havemann, im deutschen Leistungsfußball eine illegale Schattenwirtschaft, die bis zum Bundesligaskandal von 1971 toleriert wurde. Havemann wird über Details dieser Entwicklung im nächsten Frühjahr in einer Buchveröffentlichung berichten.

    Vorträge zu den aktuell brennenden Debatten der Sportpolitik standen nicht auf dem Programm. So gab es keine wissenschaftlichen Antworten auf die Frage, warum die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) bislang keinen Erfolg wie jüngst das amerikanische Pendant USADA verbuchen konnte, das bekanntlich die Dopingaktivitäten von Lance Armstrong entlarvte. Mittag sagt dazu:

    "Nun, das ist ein hoch vermintes Terrain, das nun wirklich sehr sensibel ist: Es geht um die Frage von politischer Einflussnahme, es geht um die Frage von Strukturen, es geht auch um die Frage von Ressourcen. Wenn man allein die Ressourcenfrage sieht, wird deutlich, wie schwierig es ist, doch hier feste, funktionsfähige Strukturen zu etablieren, die in gleichem Rahmen und in gleichem Umfang, wie das jetzt gegenwärtig in den USA gewesen ist, eben entsprechend schlagkräftig handeln."