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Eine Art Cyber-Western

Cyber-Angriffe können die Infrastruktur ganzer Länder lahmlegen. Der Amerikaner Mark Bowden hat sich in seinem Buch "Worm. Der erste digitale Weltkrieg" den Gefahren aus dem Internet gewidmet. Es erzähhlt die wahre Geschichte einer Gruppe von Computerexperten, die den Kampf gegen den Wurm aufnehmen.

Von Katja Ridderbusch | 16.07.2012
    Barack Obama: "The Cyberspace is real, and so are the risks that come with it…"

    Der Cyberspace ist real, und so sind auch die Gefahren, die dort lauern - für die nationale Sicherheit ebenso wie für die globale Wirtschaft. Kaum eine Woche vergeht, in der US-Präsident Barack Obama nicht vor den Risiken der vernetzten Welt warnt. Terroranschläge, so Obama weiter, könnten heute nicht mehr nur von Selbstmordattentätern mit Sprengstoffwesten verübt werden, sondern von wenigen Klicks auf einer Computertastatur.

    Barack Obama: "…but from a few keystrokes on a computer."

    Amerika rüstet auf: gegen Viren und Würmer, gegen Cyber-Angriffe von kleinkriminellen Hackern und globalen Verbrechersyndikaten, von feindlichen Staaten und fanatischen Amokläufern. Im vergangenen Jahr richtete das Pentagon ein eigenes Cyber-Kommando ein. Insgesamt geben die USA rund 12 Milliarden Dollar für Cyber-Sicherheit aus.
    Jetzt hat der Journalist Mark Bowden Amerikas Feldzug gegen Cyber-Attacken in einem spannenden Doku-Drama verarbeitet. "Worm" beschreibt die reale Geschichte eines gefährlichen Computerwurms mit dem Namen "Conficker", der seit Ende 2008 in den USA und weltweit immer wieder für Schrecken sorgt.

    Mark Bowden: "Das ist ein teuflisches Stückchen Software, das in Millionen von Computern eindringt, die Kontrolle übernimmt und die infizierten Computer zu einem Netzwerk verknüpft."

    Dieses Netzwerk – im IT-Jargon heißt es: Botnetz – liefert die digitale Infrastruktur für kriminelle Machenschaften: Geldwäsche, Schutzgelderpressung, Raub, Spionage oder Terrorangriffe. Im vergangenen Jahr zweigte ein Verbrecherring aus der Ukraine über ein Botnetz, das vom Conficker-Wurm geschaffen wurde, 72 Millionen Dollar von amerikanischen Bankkonten ab. Anfang 2012 soll ein Computerwurm mit dem Namen Ramnid 45.000 Facebook-Konten befallen und ausgespäht haben.
    Im schlimmsten Fall, schreibt Mark Bowden, könne ein Computerwurm aber auch einen globalen Cyber-Gau auslösen:

    "Ein Botnetz wäre zudem in der Lage, so gut wie jedes Computernetzwerk zu zerstören, darunter auch solche, die für das Funktionieren der modernen Zivilisation unerlässlich sind: Systeme, die den Geldverkehr, die Telekommunikation, die Energieversorgung, den Luftverkehr und das Gesundheitssystem kontrollieren, und letztlich sogar das Internet selbst."

    Ein Computerwurm könnte also - theoretisch – Börsen zum Einsturz bringen, Atomkraftwerke fehlschalten, Krankenhäuser vom Stromnetz abkoppeln oder Flugzeuge in der Luft kollidieren lassen. All das ist bislang nicht passiert. Der Autor will in seinem Buch keine Panik schüren und auch nicht einem "Cybergeddon", einem globalen Showdown im Cyberspace, das Wort reden. Er will vielmehr eine Geschichte erzählen: Die wahre Geschichte einer kleinen Gruppe von Computerexperten, die den Kampf gegen den Wurm aufnehmen. Tüftler, die an Universitäten und in Unternehmen quer über die USA verstreut arbeiten, die Besten ihres Fachs, von denen viele sich nicht einmal persönlich kennen. Sie schließen sich – ohne offiziellen Auftrag von Regierung oder Privatwirtschaft - zu einer unabhängigen Eingreiftruppe zusammen. Aus Washington ernten sie zunächst Kopfschütteln, von den Medien Spott.

    Mark Bowden erzählt die klassische Geschichte vom Kampf der Guten gegen die Bösen, der Underdogs gegen die Übermächtigen, eine Art Cyber-Western.

    Mark Bowden: "Es ist ein Schachspiel zwischen den guten Jungs, jenen Computer-Experten, die den Wurm stoppen wollen, und den bösen Jungs, die auf jeden Schritt dieser Experten reagieren. Das hat eine fesselnde Dramaturgie. Mehr kann man sich als Autor kaum wünschen."

    Die Truppe gibt sich den klingenden Namen: "Kabale". Die Experten sezieren den digitalen Schädling. Es gelingt ihnen, den Wurm teilweise auszuschalten und Schutzprogramme zu entwickeln. Dennoch ist "Worm" eine Geschichte mit offenem Ende. Denn: In der sonst so schnelllebigen Welt des Internets hat Conficker, der Computerwurm, überlebt. Er hat Nachfahren gezeugt und Hacker in aller Welt inspiriert.

    Mark Bowden: "Das Botnetz existiert bis heute - und es ist noch immer sehr stark."

    Trotz des reißerischen Untertitels – "Der erste digitale Weltkrieg" – ist "Worm" ein optimistisches Buch. Denn der ehrgeizige Einsatz der Computer-Experten trägt am Ende politische Früchte. So hat die Obama-Administration mittlerweile einige Mitglieder der "Kabale"-Truppe angeheuert. Als Experten für Cybersicherheit helfen sie nun, Strategien der Politik im Kampf gegen Cyberangriffe zu entwickeln.

    Bowdens Buch ist auch ein Lehrstück in Sachen Pragmatismus. So hält es der Autor für unwahrscheinlich, dass die kriminellen Schöpfer von Conficker und Co. das gesamte Internet kollabieren lassen. Er ist überzeugt: Ein totaler Cyber-Crash ist nicht in deren Interesse:

    "Diese Leute nutzen die Botnetze, um sich zu bereichern oder auch, um ihre Feinde anzugreifen. Sie sind auf die Infrastruktur des Internets angewiesen."

    Wahrscheinlicher, schreibt Bowden, seien regional begrenzte, chirurgisch präzise Cyber-Attacken, mehr Skalpell als Streubombe. So wie im Fall von Stuxnet, jenem Computerwurm, mit dem angeblich, die USA und Israel die iranischen Atomanlagen infizierten:

    "Stuxnet, der unverkennbar auf den bei Conficker so erfolgreich eingesetzten Techniken aufbaute, dürfte nur die erste einer Vielzahl akribisch inszenierter Cyberattacken gewesen sein."

    Der Autor kerniger Doku-Dramen, schreibt die "New York Times", erzähle die abstrakte Technologie-Saga wie ein "Computer-Zivilist". Tatsächlich hat Mark Bowden kein Lehrbuch über Computerwürmer, sondern einen höchst originellen Thriller geschrieben. IT-Interessierte mögen in "Worm" deshalb wenig neue Fakten finden. Aber auch sie dürften eine süffig erzählte Geschichte genießen, eine Geschichte, in der sich verschrobene Tüftler zur Rettung der Welt aufschwingen, einsame Cyberkrieger im Kampf gegen den Superwurm. Ob Hollywood sich die Filmrechte schon gesichert hat, ist nicht bekannt.

    Marc Bowden: Worm. Der erste digitale Weltkrieg.
    Aus dem Amerikanischen von Thomas Pfeiffer
    Berlin Verlag, 288 Seiten, 19,90 Euro