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Eine filmische Reise ins Innere der russischen Oligarchie

Seit 2003 ist Michail Chodorkowski, der ehemalige Manager des Ölkonzerns Yukon, in Sibirien inhaftiert. Der Deutsche Cyril Tuschi zeichnet in seinem Dokumentarfilm die Geschichte des einstigen Vertrauten Putins nach und sprach dafür unter anderem mit Oligarchen im Exil und mit Joschka Fischer.

Von Michael Meyer | 16.11.2011
    Eine schneebedeckte Landschaft irgendwo im fernen Osten Russlands. Drei Jugendliche stehen am Fuß eines weißen Hügels: "Kennt ihr Michail Chodorkowski?" werden sie gefragt. Ein Mädchen antwortet "Nein", ihr Freund sagt: "Den kenne ich. Der Mann hat Russland doch eine Menge Geld gestohlen."

    Mit dieser Szene beginnt der Film "Der Fall Chodorkowski" des Regisseurs Cyril Tuschi, und stellt damit gleich am Anfang klar, dass Chodorkowskis Ruf in Russland deutlich schlechter ist als im Westen:

    "Ich war am Anfang geschockt, als ich gehört habe, wie viele Leute ihn entweder nicht kennen oder ihn schlimm finden","

    erzählt Regisseur Tuschi, der die Begründung dafür gleich selbst mitliefert: Kapitalisten seien in Russland grundsätzlich erstmal verdächtig – und die Propaganda des Staatsfernsehens sorge für entsprechende Vorurteile in der Öffentlichkeit. Die Dokumentation ist eine Art Reise ins Innere der russischen Oligarchie – die Korruption, die gegenseitigen Abhängigkeiten und der Aufstieg und Fall einiger Magnaten – all das beschreibt der Film in detailgenauer Rekonstruktion. Seine mühsame Recherchearbeit hat Regisseur Cyril Tuschi in den Film integriert:

    ""Fast verständlich war schon, aber habe ich nicht akzeptiert, dass die Staatsseite nicht sprechen will, dass die Oligarchen, die Reichen, die noch im Land sind, nicht sprechen wollen, deswegen habe ich auch mich selber, was vorher nicht geplant war, mit eingebaut, um zu zeigen, wie viele Versuche ich gemacht habe, auch die andere Seite zu sprechen. Überrascht war ich am Anfang, dass die Chodorkowski-Seite am Anfang auch nicht sprechen wollte, also viele. Dass viele so, die bei Yukos gearbeitet haben, wollten auch nicht sprechen, dass also viel Angst im Raum war."

    Chodorkowskis Karriere zum reichsten Mann Russlands beginnt in den 80er-Jahren: Als sich unter Gorbatschow die Auflösung der Sowjetunion abzeichnet, profitiert er davon. Er betreibt einen schwunghaften Import-Export-Handel sowie Devisenspekulationen. In kürzester Zeit wird Chodorkowski reich und gründet 1988 die Menatep, eine der ersten Privatbanken in der UdSSR.

    Chodorkowski bleibt bescheiden, verzichtet auf pompöse Partys und protzige Autos – und wird dennoch als Chef des Ölkonzerns Yukos trickreich bald zum reichsten Mann Russlands. Irgendwann um die Jahrtausendwende vollzog sich bei Chodorkowski ein Sinneswandel. Woher der kam – darauf weiß auch der Film keine genaue Antwort. Chodorkowski waren plötzlich Medienfreiheit und Zivilgesellschaft wichtiger; damals gründete er die "Open Russia"-Stiftung. Mit ihr finanzierte er Künstlerprogramme, Bildungsprojekte und fördert den unabhängigen Journalismus. Gleichzeitig unterstützte er die Opposition. Chodorkowski missachtet alle Signale und tritt umso häufiger in der Öffentlichkeit auf. Selbst nach der Festnahme seiner engsten Mitarbeiter lehnt er ein politisches Exil ab. Am 25. Oktober 2003 wurde er von einer Sondereinheit in seinem Flugzeug in Nowosibirsk verhaftet.

    Zu den Gründen, warum Chodorkowski verhaftet wurde, und warum ihm sogar zweimal der Prozess gemacht wurde, kann der Film auch nur eine Reihe von Mutmaßungen anstellen. Hans-Henning Schröder Russlandexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, der den Regisseur Cyril Tuschi bei der Recherche beraten hatte, sieht vor allem drei Gründe: Erstens war Chodorkowski der reichste Mann Russlands, zweitens war er …

    "… auf dem Schritt transnational zu agieren, also sich der Kontrolle der nationalen russischen Führung zu entziehen, weil er weltweit unterwegs war. Und drittens hat er relativ viel Geld reingesteckt in alle möglichen Stiftungen und hat von Jabloko bis hin zu den Kommunisten oppositionelle Parteien unterstützt. Und das alles zusammen, hat dann dazu geführt, dass man ihn in der Kremladministration als Problem wahrgenommen hat und möglicherweise als politische Gefahr."

    Am Ende des Films gelingt es Cyril Tuschi und seinem Team, Zugang zum Gerichtsgebäude zu erlangen, in dem 2009 der zweite Prozess gegen Chodorkowski stattfand. Allein das ist schon eine kleine Sensation – normalerweise sind dort Filmaufnahmen streng verboten, und erst recht für ein ausländisches Team. Tuschi fragt den Angeklagten unter anderem, ob er sich vorstellen könne, dass er eine Schachfigur im Machtspiel zwischen Putin und Medwedew geworden sei:

    "Ich wäre ungern so eine Schachfigur, die man einfach so ausspielen kann. Dennoch ist diese Gerichtsverfahren symbolisch sehr wichtig, und zwar für beide Seiten. Denn unabhängige Gerichte sind für Russland wohl der entscheidende Punkt. Wir haben bislang keine unabhängige Justiz, aber ich hoffe sehr, dass es sie bald geben wird."