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"Eine veraltete Mentalität, die in unserer Gesellschaft einfach nicht mehr adäquat ist"

1. November 1987: Der Soziologe Niklas Luhmann im Gespräch mit Walter van Rossum.

    van Rossum: Herr Luhmann, anfangs klang eine Kritik am Intellektuellen an. Sie sagten, das ist jemand, zu dem Sie deshalb nicht unbedingt gezählt werden möchten, weil das Leute sind, die sich eben oft so benehmen, als ob sie wüssten, wo es lang ging. Und dazu gehörten Sie nicht und wollten Sie nicht zugehören.

    Niklas Luhmann: Diejenigen, die wissen, wo es lang geht, die wissen, was der Fall ist, und die damit die Ansicht verbinden, das sei der Zugang zu der Realität, wo andere dann ebenfalls folgen oder zuhören oder die Autorität annehmen müssten – das ist, glaube ich, eine auch veraltete Mentalität, die in unserer Gesellschaft einfach nicht mehr adäquat ist. Wir haben verschiedene Weisen, Gesellschaft-Welt-Verhältnisse zu beobachten, die nicht auf einen Nenner reduzierbar sind. Es gibt einen sehr schönen Text von William James, "On a certain blindness in human beings", ein Vortrag vor Studenten, wo er sagt: Jeder ist Beobachter, jeder sieht mit größter Schärfe und viel besser als irgendjemand anderer etwas, aber er braucht einen blinden Fleck.

    Sendezeichen aus 50 Jahren DLF
    50 Jahre Deutschlandfunk