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Einstein auf dem Prüfstand (4)
Und es expandiert doch ...

Eine Folgerung aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie lautet: Das Universum dehnt sich aus. Trotz mathematischer Beweise wollte Einstein an die Expansion des Alls lange Zeit nicht glauben. Bis der Astronom Edwin Hubble einen tiefen Blick ins rote Licht der Galaxien warf.

Von Eva Raisig | 23.06.2015
    Eine neue Aufnahme des Weltraumteleskops "Hubble", die am 9.3.2004 veröffentlicht wurde. Sie zeigt etwa 10000 Galaxien, einige von ihnen in chaotisch wirkender Formgestaltung. Die Aufnahme erfasst nur einen äußerst kleinen Teil des Himmels unterhalb des Sternbilds Orion, bezeichnet als "Hubble Ultra Deep Field" (HUDF).
    Die Rotverschiebung beim Licht der Galaxien überzeugte schließlich auch Einstein (picture-alliance/dpa/dpaweb)
    Die Begegnung mit Albert Einstein muss eine niederschmetternde Erfahrung für den jungen belgischen Priester und Astrophysiker Georges Lemaitre gewesen sein. Er hatte Einstein 1927 auf einer Tagung getroffen und ihm gezeigt, wie sich aus der Allgemeinen Relativitätstheorie ein mathematisches Modell entwickeln ließ, das ein Universum beschreibt, das sich ausdehnt. Für Einstein war Lemaitres Ergebnis eines dynamischen Universums allerdings nur eine mathematische Spielerei - ohne Bezug zur Natur. Eine Sichtweise, die er Lemaitre unumwunden mitteilte: "Ihre Berechnungen sind zwar mathematisch richtig, aber Ihre Physik ist schrecklich."
    Einstein hielt die Expansion für einen Rechenfehler
    "Einstein hat diese Gleichungen 1915 aufgestellt, und er hat selber erst mal geglaubt, dass sie nur statische Lösungen haben, zumindest mal vernünftige", sagt Jürgen Renn, Einstein-Experte und Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. "Dann haben ihm andere gezeigt, dass sie auch dynamische Lösungen haben. Einstein hat das zunächst mal für einen Rechenfehler gehalten. Und dann gab es aber immer mehr Leute, die einfach schon rein mathematisch zeigen konnten, dass die Lösung von Einsteins Gravitationsgleichungen auch solche dynamischen Modelle zulassen. Also, dass es eine theoretische Möglichkeit war, wurde dann offensichtlich."
    Aber was ist schon eine theoretische Möglichkeit gegen die Jahrtausende alte Vorstellung eines unveränderlichen Kosmos? Um am statischen Weltbild festzuhalten, hatte Einstein sogar im Nachhinein noch die "kosmologische Konstante" in seine so eleganten Gleichungen eingefügt - einen Zusatzterm, um rechnerisch ein stationäres, also zeitunabhängiges Universum zu erreichen.
    Doch schon Jahre vor Lemaitres Zusammentreffen mit Einstein hatte der russische Mathematiker Alexander Friedmann diesen Zusatzterm für überflüssig befunden - wenn man denn die Forderung nach einem stationären Universum fallen ließe. Friedmann war einer der ersten, die sich mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie beschäftigten, und er war zu ähnlichen Resultaten wie Lemaitre gelangt, ohne dass dieser davon wusste. Friedmann habe die komplizierten Gleichungen aus einer anderen Perspektive betrachtet als viele andere, sagt Pedro Ferreira, Astrophysiker an der Universität Oxford:
    "Er hat sich gefragt, was passiert, wenn man Einsteins Theorie auf das gesamte Universum anwendet und nicht nur auf ein kleines Stück. Wenn man über die größten Dinge nachdenkt, die schwer zu fassen sind, macht es oft Sinn, die Gleichungen zu vereinfachen. Genau das hat Friedmann gemacht - er hat die Randbedingungen vereinfacht und herausgefunden, dass das Universum nicht statisch ist, sondern sich entwickelt - genauer gesagt: Es expandiert."
    Die Erkenntnisse, die Lemaitre 1927 vorlegte, hatten aber den entscheidenden Vorteil, dass sie eine Vorhersage machten, die mit Teleskopen tatsächlich beobachtbar sein sollte. Sie stellten eine Verbindung her zwischen der Expansion des Universums und dem Licht von Galaxien. Wenn sich der Kosmos ausdehnt, dann müssten sich die anderen Galaxien von uns entfernen, so wie sich Filzstiftpunkte auf einem Luftballon voneinander entfernen, wenn man ihn aufbläst. Das Licht der Galaxien würde auf seinem Weg zu uns gedehnt, die Wellenlängen gestreckt und das ankommende Licht wäre ins Rote verschoben.
    Aus Theorie wird Experiment
    Diese Rotverschiebung des Galaxienlichts müsste sich nachweisen lassen - und genau das tat Ende der 1920er-Jahre der amerikanische Astronom Edwin Hubble. Zusammen mit einem Kollegen untersuchte er in mühevoller Arbeit das Licht Nutzender Galaxien am Mount-Wilson-Obervatorium in Kalifornien und veröffentlichte die Ergebnisse 1929. Und tatsächlich: Das Licht der Galaxien war rotverschoben. Ferreira:
    "Er hat ihre Geschwindigkeiten bestimmt und dabei herausgefunden, dass sie sich fast alle von uns wegbewegen. Außerdem waren sie umso schneller, je weiter sie weg waren. Genau das ist eine der Vorhersagen eines expandierenden Universums. Objekte, die weiter weg sind, bewegen sich schneller."
    Ein expandierendes Universum also, nicht nur theoretisch, sondern praktisch beobachtbar. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre. Der am schwersten zu ertragende Teil eines expandierenden Universum war aber die Konsequenz, die sich zwangsläufig ergab: Ein solches Universum müsste einen Anfang gehabt haben und alles um uns herum aus einem winzigen Punkt heraus entstanden sein. Ur-Ei oder Ur-Atom hatte Lemaitre diesen Beginn von Raum und Zeit liebevoll genannt, erklärt Ferreira:
    "Es gab viel Widerstand gegen das, was heute als Urknall bekannt ist. Es gab eine richtige Bewegung von Astronomen in den 50er-Jahren, die eine alternative Theorie entwickelt haben ohne Urknall, für ein ewig bestehendes, unveränderliches Universum. Es nannte sich Steady-state-Universum. Aber leider hat dieses Modell des Universums überhaupt nicht zu den Daten gepasst, es hat also nicht funktioniert."
    "Die größte Eselei meines Lebens"
    Einstein gestand seinen Irrtum schon viel früher ein, kurz nach Hubbles bahnbrechenden Beobachtungen. Er hatte den eigenen Gleichungen und ihren Lösungen nicht vollends vertraut. Die Rotverschiebung der Galaxien aber war eine an den Nachthimmel geworfene Bestätigung seiner allgemeinen Relativitätstheorie. Eine kosmologische Konstante zu seinen Gleichungen hinzugefügt zu haben, sei die größte Eselei seines Lebens gewesen, sagte Einstein später - und Lemaitres Ur-Ei und Hubbles Beobachtungen die schönste und befriedigendste Erklärung der Schöpfung, die er je gehört habe.