Donnerstag, 18. April 2024

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Erste Hausproduktion nach Dercon-Desaster
Die Stasi als Theater

Die Volksbühne hat sich unter der Leitung von Klaus Dörr wieder zum Publikumsliebling entwickelt. Auch, weil hier Theater wie zu Zeiten von Frank Castorf gezeigt wird. Nun hatte Leander Haußmanns Stück "Staatssicherheitstheater" Premiere - ein sonderbarer Abend mit schönen und berührenden Momenten.

Von Michael Laages | 15.12.2018
    Drei Männer lesen einen Stadtplan Berlin, den sie auf den Rücken eines vierten Mannes gelegt haben, der vor ihnen sitzt.
    Szene des Stücks "Haußmanns Staatssicherheitstheater" (Harald Hauswald/Volksbühne Berlin)
    Zum Finale bekommt die Premiere sozusagen Besuch - Alexander Scheer, neulich noch "Gundermann" im Kino, stakst im schwarz-transparenten Transen-Outfit und mit der roten Haartolle, die er derzeit als David Bowie in Hamburg trägt, um "Die Tute" herum, die nachgebaute Underground-Kneipe aus DDR-Zeiten, die eigentlich "Posthorn" hieß und in den Rathaus-Passagen ehedem Heimstatt von schrägeren Teilen der eingemauerten Gesellschaft war.
    Detlev Buck folgt ihm als Volkspolizist. Und während Leander Haußmanns Volksbühnen-Ensemble vorn ziemlich viel Jubel einsammelt, sitzen Buck und Scheer hinten an der Bar unter der "Tute" - einem umgedrehten Posthorn als Dunstabzugshaube - und schauen dem Trubel zu. Es gibt eine Handvoll solch wirklich schöner, großer und berührender Momente an diesem wirklich sonderbaren Abend über "die Staatssicherheit".
    Haußmann ist wirklich kein Dramatiker
    Die Highlights haben allerdings nicht wirklich viel mit dem Plot zu tun, in der Haußmann als Autor vom "Operativen Vorgang 'Virus'" erzählt - da wird eine vermutlich oppositionelle Künstlerin von einer Menge Stasi-Schranzen als Ziel der Beobachtung ausgewiesen. Und der junge Ludger Fuchs, Maler mit bislang nicht sehr viel Zukunft, entwickelt sich zum Lover der schönen Dame. Amüsanterweise ersetzt er in dieser Rolle den eigenen Papa, den bei der Begegnung mit dem erotischen Stasi-Sprössling der Herzkaschperl dahinrafft. Dem jungen Fuchs von damals begegnen wir zu Beginn schon als altem Mann, der gerade die eigene Stasi-Akte in der Behörde abgeholt hat und von der Gattin - eben jener Oppositionellen von damals - bei allerlei Lügen ertappt wird.
    Im Übrigen hockt der alte Fuchs zusammen mit Kumpeln von damals, die sich vor allem über den Verlust der "Firmen"-Rente beklagen, die nur ihnen - nicht Polizisten, nicht Justiz- und anderen Beamten - nach der Wende radikal gekürzt worden sei. Und der Vorgang von damals entwickelt sich mit den Kollegen von damals als Rückblende; und in einem ziemlich hanebüchenen, unordentlichen Theater-Text. Haußmann ist wirklich kein Dramatiker.
    Übervater der DDR-Klamotte
    Dafür haut er mächtig auf den Putz als eine Art Übervater der DDR-Klamotte. Wer sich trotzdem einlässt auf all die schrägen Schrate, gerät möglicherweise in ein Dauer-Wechselbad der Theater-Gefühle - ständig hin und her zwischen "Donnerwetter!" und "Das darf doch nicht wahr sein". So allerdings wird holterdipolter die ja nicht ganz abgelegene Frage umschifft, ob dieses "Staatssicherheitstheater" wirklich ein zielführender Beitrag ist zum demnächst beginnenden 30-Jahre-Wende-Jubiläum. Vielleicht aber ist ja der Satz von Erich Mielke aus dem Programmheft tatsächlich immer noch wichtig: "Wenn man anfängt, über uns zu lachen, dann geht unser schönes Land unter."
    Aber schnell noch zurück zu den Highlights. Für die ist mehrfach Bühnenbildner Lothar Holler zuständig. Nicht nur der Nachbau der "Tute"-Kneipe mit dem Posthorn drin zum Schluss ist ein Knüller, auch die komplette Szenerie. Gleich zu Beginn werden auf die leere Bühne zwei Zimmer-Segmente gerollt von den eindrucksvollen Bühnen-Arbeitern des Theaters. Und dann fährt unter dieser kleinen Wohnlandschaft die abgesenkte Vorderbühne herauf, zwei Stockwerke hoch, bis ein komplettes Haus mit reichlich Zimmern und Treppen zwischen den Etagen die Bühnenhöhe komplett füllt. Alles übrigens fest im Blick von Überwachungs-Kameras, deren Bilder rechts und links im Saal hängen.
    Die Revoluzzer von damals spielen jetzt die Gegner von damals
    Diese Bühne ist eine Verbeugung vor diesem Theater. Und Haußmanns Kumpel von früher sind auch ein Ereignis. Nicht nur Scheer und Buck aus der "Sonnenallee". Die Schauspieler Uwe-Dag Berlin und Norbert Stöß gehörten mit Haußmann zur widerständigen Bande, die im Juni 1987 Sprüche wie "Die Mauer muss weg" an die Wände am Weg zur Kantine vom Theater in Gera schrieben. Sie spielen jetzt die Gegner von damals, die Deppen von der Sicherheit. Ein privater Spaß mag das sein, der niemanden mehr interessiert. Aber unter die Haut geht er doch.