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"Endlich mal zukunftsorientierte Gesundheitspolitik"

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat das neue Versorgungsstrukturgesetz der Bundesregierung verteidigt. Der Entwurf schaffe Anreize, damit Ärzte wieder gerne in ländlichen Regionen arbeiteten.

Frank Ulrich Montgomery im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 03.08.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Ich begrüße jetzt Frank Ulrich Montgomery, er ist Präsident der Bundesärztekammer. Schönen guten Morgen, Herr Montgomery!

    Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Die Opposition und die Gewerkschaften werfen Union und FDP vor, ihre Klientelpolitik fortzusetzen, so hat sich zum Beispiel SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles geäußert; die Linke spricht von einem Ärzte-Beglückungspaket. Haben Sie sich denn eigentlich schon bei dem FDP-Gesundheitsminister bedankt?

    Montgomery: Also ich glaube, das sind die üblichen reflexhaften Prinzipien unserer deutschen Gesundheitspolitik, das nehmen wir alles nicht so ernst. Aber ich habe mich natürlich bei Daniel Bahr bedankt und werde das auch bei der ganzen Bundesregierung tun, weil viele Teile dieses Gesetzentwurfes in der Tat richtig sind. Übrigens sollte nicht nur ich mich dafür bedanken, sondern die Patienten sollten sich bedanken, weil hier endlich mal zukunftsorientierte Gesundheitspolitik gemacht wird, statt dass in den alten Denkschablonen von Ulla Schmidt und Horst Seehofer verharrt wird.

    Heckmann: Die Patienten werden sich vor allem dafür bedanken, wie Andrea Nahles es ausgedrückt hat, dass die Ärzte mehr Geld bekommen, noch mehr Geld, und die Versicherten hinterher zahlen müssen.

    Montgomery: Nein, die Patienten werden sich vor allem dafür bedanken, dass sie endlich wieder Ärzte finden auf dem flachen Land, denn das ist ja in der Tat inzwischen zu einem Problem geworden. Und wenn man es einfach mal ganz nüchtern analysiert und betrachtet, dann stellt man fest, dass die Anreize für die Tätigkeit auf dem Land nicht mehr stimmen: Die Menschen wohnen dort, aber die Ärzte sind nicht mehr da, also müssen Sie die Ärzte zu den Menschen bringen. Das versucht dieser Gesetzentwurf. Ob er weit genug geht, darüber kann man trefflich streiten, aber es ist ein vernünftiger Ansatz, und deswegen können sich die Patienten wirklich beim Gesundheitsminister bedanken.

    Heckmann: Der Arbeitgeberverband sagt, es sei die gesetzliche Pflicht der Ärzteschaft, eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen, und wenn die Ärzte dazu nicht in der Lage seien und deshalb der Gesetzgeber aktiv werden muss, dann darf diese Fehlleistung nicht noch mit einem Honorarzuwachs belohnt werden.

    Montgomery: Na ja, man muss nun mal auch wirklich fragen, wen man fragt, der sollte sich mit vielleicht dann auch intelligenteren Äußerungen mal dazu äußern.

    Heckmann: Das heißt, der Arbeitgeberverband ist inkompetent?

    Montgomery: Ja, der Arbeitgeberverband, der ist ja in der Sache nur sekundär beteiligt, ich hoffe, dass die alle gesund sind da. Nein, wissen Sie, die entscheidende Frage ist doch: Mit der Gesundheitspolitik der Vergangenheit ist es nicht gelungen, die Ärzte aufs Land zu bringen. Mit Ärzten, die wir zwangsweise aufs Land schicken, erreichen wir doch keine Verbesserung der Bevölkerung. Niemand möchte von einem Arzt behandelt werden, der unter Zwang irgendwie wie so eine Art Landverschickung aufs Land geschickt worden ist. Wir müssen Anreize schaffen, damit es den Ärzten Spaß macht, auf dem Land zu arbeiten, dass sie das gerne tun, ihre Patienten dort versorgen, und wir haben heute eben die Fehlanreize drin, die darin bestehen, dass ein Arzt, der besonders viele Patienten auf dem Land behandeln muss, weil es keine anderen mehr gibt, dafür auch noch durch geringere Honorare bestraft wird. Das schafft der Gesetzentwurf ab, das ist vernünftig, dafür können sich die Patienten bedanken.

    Heckmann: Wir müssen Anreize schaffen, damit es Spaß macht, sich niederzulassen, sagen Sie, Anreize, die aber dann die Versicherten zu bezahlen haben.

    Montgomery: Ja, selbstverständlich, Gesundheitsversorgung kostet Geld, und in der Bundesrepublik ist es so geregelt, dass die Menschen versichert sind und dann über die Versicherten die Gesundheitsversorgung bezahlt wird. Und wir müssen schlicht und einfach mal wegkommen, zu glauben, dass das ein Sozialgeschenk ist und dass die Ärzte altruistisch irgendwo arbeiten. Die Ärzte wollen auch Geld verdienen, das ist legitim, und wir wollen gute und motivierte Ärzte haben, und dafür müssen wir ihnen dann auch ausreichend Mittel zur Verfügung stellen.

    Heckmann: Die CSU hat in den letzten Tagen gefordert: Wenn es finanzielle Anreize gibt für Ärzte, die sich auf dem flachen Land da niederlassen, dann sollte es auf der anderen Seite dann auch Abzüge geben für Ärzte in überversorgten Ballungsräumen. Aber das haben Sie erfolgreich abgewehrt.

    Montgomery: Wir halten diesen Ansatz auch deswegen für falsch, weil Ihnen viele Patienten bestätigen werden, dass sie in den angeblich überversorgten Ballungsräumen auch nicht so leicht einen Arzttermin finden bei dem Arzt ihrer Wahl, und dennoch stecken in dem Gesetz sehr vernünftige Ansätze drin, dass es nämlich uns Ärzteorganisationen, also den kassenärztlichen Vereinigungen zum Beispiel, möglich gemacht wird, in stark überversorgten Gebieten - Sie haben vorhin den Landkreis Starnberg erwähnt - dann zum Beispiel Ärzte aufzukaufen, wenn ein Arzt in den Altersruhestand geht, und sie an eine andere Stelle zu verlagern, wo ein Mangel besteht. Das ist der vernünftige Weg, über Anreize, und nicht immer diese Orgien von Bestrafung und Geldentzug und Ähnlichem. Das ist eine Gesundheitspolitik der Vergangenheit, die wollten wir doch eigentlich mit der neuen Bundesregierung dann aufgegeben haben, und das tut Daniel Bahr und das ist gut.

    Heckmann: Das heißt, Sie schließen auch nicht aus, dass es dann am Ende Beitragserhöhungen geben wird bei den Kassen?

    Montgomery: Nein, die Beitragserhöhung wird es aus vielen, vielen anderen Gründen auch geben. So lange wir in der Politik ein uneingeschränktes Leistungsversprechen für alle Menschen zu allen Zeiten haben, gleichzeitig aber uns nur aus der gesetzlichen Krankenversicherung, aus den Arbeitseinkommen finanzieren, so lange wird es Beitragssatzerhöhungen in Deutschland geben. Das hat mit dem Arztmangel im Grunde genommen gar nichts zu tun.

    Heckmann: Glauben Sie denn, dass dieser Gesetzentwurf das Ziel, junge Ärzte in die ländlichen Regionen zu locken, dass dieses Ziel erreicht werden wird?

    Montgomery: Ich glaube, dass der noch nicht ganz reicht, das habe ich auch Daniel Bahr immer gesagt, wobei ich glaube, dass das gar nicht an der Gesundheitspolitik liegt, sondern hier muss einfach auch mal kluge Kommunalpolitik gemacht werden. Die Ärzte gehen ja nicht nur deswegen nicht aufs Land, weil sie dort so wenig verdienen, sondern sie gehen auch deswegen nicht dorthin, weil sie dort keine gute Schulinfrastruktur haben, weil sie zum Beispiel sehr viel arbeiten müssen, weil sie alleine auch den Nachtdienst mit versorgen müssen. Ich glaube, hier sind Infrastrukturpolitik und Kommunalpolitik gefragt. Und mit intelligenten Modellen, Zur-Verfügung-Stellung von günstigen Praxisräumen, aber auch mit Aufhebung der Residenzpflicht, dass man also als Arzt nicht in den Dorf, wo man niedergelassen ist, auch wohnen muss, sondern in der nächsten Kreisstadt wohnen darf, weil man dort eben auch die Schulangebote für seine Kinder hat -, mit solchen Infrastrukturelementen kann man sehr viel mehr erreichen als mit Geld allein.

    Heckmann: Sie haben gerade eben von einem uneingeschränkten Leistungsversprechen gesprochen, Herr Montgomery. Das bezieht sich auf Ihren Vorschlag von vor nur wenigen Tagen einer Priorisierung, das bedeutet: In Zukunft sollen ältere Menschen beispielsweise nicht mehr jede medizinische Behandlung bekommen, die sie benötigen?

    Montgomery: Nein, jetzt stecken Sie mich in eine Tüte mit einem CDU-Politiker, der dafür schon böse Prügel bekommen hat und die ziehe ich nun wirklich überhaupt nicht an: Genau das heißt es nicht, denn um das zu vermeiden, was die geschildert haben, nämlich eine Rationierung zum Beispiel alleine vom Alter her, um das zu vermeiden, brauchen wir eine gesellschaftlich faire und ehrliche Debatte: Was wollen wir in unserer Gesundheitsversorgung um jeden Preis, zu jeder Zeit und immer finanzieren, eben zum Beispiel die Behandlung alter Menschen bei schweren Erkrankungen wie Krebs oder Transplantationen, oder die Behandlung am Lebensende? Nur: Wir müssen endlich mal eine ehrliche Debatte in der Gesellschaft darüber führen, was wollen wir uns leisten, was können wir uns leisten, und nicht zufällige Rationierung hinnehmen, die dadurch geschieht, dass die Budgets einfach am Ende eines Quartals oder eines Jahres erschöpft sind.

    Heckmann: Was können wir uns denn nicht leisten?

    Montgomery: Ich glaube, dass es in der gesetzlichen Krankenversicherung eine ganze Reihe von Leistungen gibt, über die man durchaus diskutieren kann. Ich will mal in die Vergangenheit schauen: Sie und ich kennen vielleicht noch die Zeit, wo man die Brille automatisch auf Krankenkassenkosten bezahlte, das war ein zehnjähriger Streit, um diese Bezahlung der Brillen abzuschaffen. Das war klassische Priorisierung, da hat man gesagt: Wir brauchen das Geld dringender für andere Dinge. Heute klagt kein Mensch mehr darüber, dass es das Brillengestell nicht auf Krankenkassenkosten gibt.

    Heckmann: Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery war das, hier im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Montgomery, danke Ihnen für die Zeit, die Sie sich genommen haben, und einen schönen Tag noch!

    Montgomery: Ich danke Ihnen, auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.