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"Er ist weniger eine geopolitische, religiöse Leader-Figur"

Mit Benedikt XVI. seien die inneren Probleme der Kirche nicht gelöst worden, sagt der Buchautor Marco Politi. Auch die Rolle des Heiligen Stuhles auf internationaler Ebene sei nicht so stark, wie sie zur Zeit von Papst Johannes Paul II. gewesen war.

Marco Politi im Gespräch mit Matthias Gierth | 28.12.2012
    Matthias Gierth: Die Schwächen des Pontifikats Benedikts XVI. schildern Sie vor der Folie eines von Ihnen sehr positiv beurteilten Pontifikats von Johannes Paul II. Übersieht das nicht, dass viele Probleme der heutigen katholischen Kirche letztlich in Karol Wojtylas Entscheidungen grundgelegt sind: von dessen abschließendem Nein zur Frauenordination bis hin zu seinem auf den Ruf der Institution Kirche bedachten Umgang mit Missbrauchsfällen durch Kleriker?

    Politi: Ich habe einmal gesagt: Am Ende der Abenteuer von Napoleon hatte Frankreich dieselben Grenzen wie am Anfang. Die Probleme, die es schon nach dem Konzil in der katholischen Kirche gab und die heute noch größer sind, hat es schon in der Zeit von Papst Wojtyla gegeben. Er hat sie auch nicht gelöst. Aber Johannes Paul II. hatte ein dynamisches Pontifikat. In den letzten 70 Jahren hatten wir immer in der katholischen Kirche sehr große Päpste, ganz unterschiedliche, aber Päpste, die ihre Rolle auf dynamische Weise gespielt haben. In diesem Falle mit Papst Benedikt aber ist die katholische Organisation aus geopolitischer Sicht in eine Art Stagnation geraten. Weder die inneren Probleme sind gelöst worden, noch ist heute die Rolle des Heiligen Stuhles auf internationaler Ebene so stark, wie sie zum Beispiel zur Zeit Wojtylas war. Es hat den Arabischen Frühling gegeben, seit zwei Jahren, und es gibt keine weitgreifende Rede des Papstes, zu diesem Phänomen, das das wichtigste ist nach dem Mauerfall. Wir sehen, dass auch vor den großen Weltproblemen ist immer die Präsenz des Heiligen Stuhles in diesem Pontifikat sprunghaft. Es kann eine Reise geben, zum Beispiel ins Heilige Land des Papstes, wo sehr interessante Reden gehalten werden, und dann gibt es einen Stillstand, der kann monatelang dauern oder jahrelang dauern.

    Gierth: Aber woran liegt das, dass Benedikt auf diese zentralen politischen Fragen keine Antworten gibt? Dass er auch politische Reden halten kann, hat er beispielsweise im Deutschen Bundestag bei seiner Deutschlandreise im vergangenen Jahr ja gezeigt.

    Politi: Ganz bestimmt. Er hat auch sehr interessante Reden gehalten in Paris, in London über Demokratie und Christentum, in Prag über Freiheit und Christentum. Er ist aber weniger eine geopolitische, religiöse Leader-Figur. Er ist mehr auf seine theologische Arbeit konzentriert. Und vor allem hat er sich auch als engsten Mitarbeiter, als Staatssekretär, nicht einen Mann ausgewählt, der aus der vatikanischen Diplomatie kommt oder der die Maschinerie der Kurie gut kennt, also der auch mit den Weltproblemen sehr auf dem Laufenden ist, sondern mehr einen Theoretiker, wie Kardinal Bertone, der auch Sekretär in der Glaubenskongregation war. Papst Pius X., der sich so auf die religiöse Reorganisation der katholischen Kirche vor mehr als 100 Jahren konzentriert hat, der den Kampf gegen den Modernismus geführt hat, hat sich aber als Staatssekretär einen Diplomaten, mit allen Wässern gewaschen, ausgewählt, wie Kardinal Merry del Val. In diesem Falle funktionierte es, also das Flugzeug hatte zwei Flügel.

    Gierth: Das heißt, die Schwäche des Papstes Benedikt XVI. ist auch eine Schwäche seines Umfeldes?

    Politi: Ganz bestimmt. Es ist die Schwäche des Managements und der Führung auch der römischen Kurie. Die ganze Vatileaks-Affäre ist doch auch in einem Umfeld entstanden, in dem ein großer Teil der Kurie unzufrieden ist mit der Führung des Kardinalstaatssekretärs. Also es ist nicht so, dass es in der Kurie eine Pro-Ratzinger-Strömung gibt, die gegen eine Anti-Ratzinger-Strömung agiert. Viele Leute in der Kurie, die unzufrieden sind, sind absolut papsttreu

    Gierth: Benedikt XVI. ist es ja nicht gelungen, eine Kurienreform vorzunehmen. Ist der Vatikan überhaupt reformierbar - oder einmal anders gefragt: Wie lange kann ein solches System überleben, wenn es sich keiner Reform unterzieht?

    Politi: Der ehemalige Ministerpräsident Italiens Giulio Andreotti, ein Christdemokrat, der den Vatikan immer sehr gut kannte - und auch die Päpste, hat einmal gesagt, es gibt gewisse Pontifikate, die sind so wie die Autobahnkehren und Autobahnkreuzungen, dass man von einer Richtung in die andere geht. In diesem Falle kann man sagen, dass das Pontifikat von Benedikt XVI. zeigt, dass die Kirche nicht mehr auf monarchische Weise regiert werden kann. Das Problem heute ist nicht mehr eine Reform der Kurie sondern eine Reform des Papsttums. 500 Jahre lang nach dem Konzil in Trient war das Papsttum eine absolutistische Monarchie. Selbst Kardinal Ratzinger hat gesagt, wenige Wochen vor seiner Wahl, die Kirche kann nicht mehr in dieser Zeit in monarchischer Weise regiert werden. Aber er hat nichts getan, um die Kollegialität in der Kirche zu entwickeln. Und das bedeutet, dass die Bischöfe und vor allem auch die Kardinäle in die Regierung der Kirche mit einbezogen werden müssen. Heute sieht man, dass eine so große Weltkirche nicht mehr von einem einzelnen Mann und auch einem - sei er noch so gut organisiert - Kurienapparat regiert werden kann. Und in diesem Moment ist auch der Kurienapparat nicht auf der Höhe seiner Aufgaben.

    Gierth: Aber warum hat Benedikt, wenn er dieses Manko erkannt hat, seiner Ankündigung keine Taten folgen lassen?

    Politi: Ich kann da keine Erklärung geben. Ich kann das nur erzählen. Papst Benedikt hat auch gesagt, wenige Stunden nach seiner Wahl, es ist der Ehrgeiz des neuen Papstes konkrete Schritte auf dem Feld der Ökumene zu machen. Es ist aber nicht geschehen. Und er hat auch nicht den Ansatz weiterentwickelt, der schon in der Enzyklika von Johannes Paul II. war - Ut unum sint, damit alle einigt seien, in dem der Papst Wojtyla sagte: es ist die Zeit gekommen, die Führer der anderen christlichen Kirche an einen Tisch zu bringen, um zusammen über die Rolle des Bischofs von Rom nachzudenken. Das ist alles steckengeblieben.

    Gierth: Wenn die Zeichen nicht trügen, dann stehen wir im letzten Abschnitt des Pontifikats von Benedikt XVI. Sie kennen die das Kardinalskollegium aus Ihrer langjährigen Arbeit. Welche Gruppen und Personen werden das nächste Konklave prägen, welche Namen sollte man im Kopf behalten?

    Politi: Der sogenannte letzte Abschnitt eines Pontifikats kann oft sehr lang sein und auch mit sehr vielen Überraschungen. Aber ganz bestimmt diskutiert man schon in Rom von Zeit zu Zeit auch über die Zukunft. Es gibt natürlich viele Stimmen, die wieder einen italienischen Papst wollen, indem man sagt, ein italienischer Papst kennt die Kurie besser und deswegen weiß er auch, wie man die Kurie managen kann. Und in diesem Sinne ist der Kardinal von Mailand, Angelo Scola, sehr bekannt und sehr geschätzt. Ein Mann, der auch sehr für den Dialog mit anderen Kulturen ist, mit dem Islam, mit den Kulturen des Orients und auch mit der Orthodoxie. Aber es gibt auch eine starke Strömung, die weiter mit der Internationalisierung des Papsttums voranschreiten will. Und in diesem Fall ist zum Bespiel auch ein starker Kandidat der Kardinal aus Kanada, Marc Ouellet. Er ist Präfekt der Bischofskongregation. Für mich ist es aber interessanter zu sehen, wie heute in der katholischen Kirche sozusagen unter der Decke wieder sich eine Reformbewegung im Episkopat belebt. In der letzten Bischofssynode über die Neuevangelisierung hat man sehr viele Stimmen gehört - von Lateinamerika aber auch von Asien und von Europa, die davon gesprochen haben, dass sich die Kirche wieder einer neuen Gewissensprüfung unterziehen muss, dass die Kirche nicht arrogant sein soll zu der modernen Gesellschaft, dass die Kirche auch lernen muss zuzuhören und nicht mehr immer vom Katheder zu reden. Also es gibt wieder sozusagen ein Strömung, die eine neue Art von Aggiornamento möchte, wie es vor dem Konzil war. Wir wissen nicht wie stark diese Strömung im Kardinalskolleg sein wird, aber andererseits können wir nie vergessen, dass das Kardinalskolleg, das von Pius XII. geformt war, dann einen Papst wie Johannes XXIII. gewählt hat. Und dass dasselbe Episkopat, das von Pius XII. ausgewählt worden war, dann im Zweiten Vatikanischen Konzil so viele Neuigkeiten gebracht hat, die man vor dem Konzil sich gar nicht vorstellen konnte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Den 1. Teil des Interviews mit Marco Politi können Sie HIER nachlesen

    Marco Politi:
    Benedikt. Krise eines Pontifikats, Rotbuch-Verlag, 541 Seiten, 19,99 Euro.