Dienstag, 19. März 2024

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Erster Weltkrieg in den Dolomiten
Der Tod in Fels und Eis

Bis heute finden Wanderer und Kletterer in den Dolomiten Karabiner und Granatsplitter aus dem Ersten Weltkrieg. Zwischen Paternkofel und den Drei Zinnen lieferten sich Österreicher und Italiener tödliche Gefechte und belagerten gegnerische Forts. Jetzt sollen die Funde ausgestellt werden.

Von Frank Hollmann | 16.11.2014
    Beobachter stehen an der Straße zwischen Toblach und Cortina, die mit Fernrohren die drei Bergsteiger bei deren Aufstieg an der Nordwand der Großen Zinne verfolgen können. Im Hintergrund sieht man die aufragende Nordwand der Drei Zinnen (undatiertes Archivbild vom Januar 1963).
    Beobachter an einer Straße unterhalb der Nordwand der Drei Zinnen in den Dolomiten. (picture alliance / dpa / Georg Goebel)
    Mittagspause am Wahrzeichen der Dolomiten. Die drei Zinnen leuchten in der Frühlingssonne, die knapp 3.000 Meter hohen Felsen locken Dutzende von Wanderern an. Viele packen ihre Ferngläser aus und verfolgen die Routen der Kletterer durch die senkrechten Wände.
    Hugo Reider kennt hier jeden Stein – und das, was sich noch immer darunter verbirgt: metallene Relikte des Ersten Weltkriegs, der hier bis ins Hochgebirge wütete.
    "Da ist viel. Ich hatte eine ganze Sammlung von Granaten, einige habe ich immer noch. Wo die stehen, darf ich nicht sagen. Da war ein Kommando hier. Jemand hat eine Granate gefunden, hat das gemeldet, ganz offiziell. Dann ist die ganze Maschinerie ins Laufen gekommen. Man hat vermutet, das sei eine Gasgranate und sie sind eigens aus Rom angeflogen, die zu entschärfen. Die mussten dreimal nachladen, um die Granate zu sprengen."
    Hugo Reider greift in die Tasche seiner Lederweste und kramt ein kleines Stück Metall heraus, eine deformierte Gewehrpatrone. Noch in den 70er Jahren – erzählt der Wirt der Drei Zinnen-Hütte - kamen immer wieder Altmetallsammler und suchten die Gegend ab. Das Hochplateau versprach reiche Beute. Zwei Jahre standen sich hier Italiener und die Verbände Österreich-Ungarns und des verbündeten deutschen Kaiserreichs gegenüber. Im Mai 1915 – nachdem Italien in den Ersten Weltkrieg eingetreten war – eilte ein hastig aufgestelltes bayerisches Alpenkorps den Tirolern zu Hilfe – auch um zu verhindern, dass die Italiener bis in die bayerischen Alpen vorstoßen.
    "Das ist genau die Frontlinie. Die Front lief zu Kriegsbeginn über die Gipfel. In den beiden Jahren hat sich nicht sehr viel bewegt. Die Österreicher mussten zwar ein Stückchen zurückweichen, weil diese Frontlinie war nicht verteidigbar. Da sind die Italiener nachgerückt und haben den Paternkofel erobert. Der war dann nicht mehr zurückzuerobern."
    Der Paternkofel liegt nur ein paar Schritte von der Drei Zinnen-Hütte entfernt, wie eine Burg erhebt er sich über dem karstigen Plateau. Durch den ganzen Berg hatten die Italiener 1915 bis 1917 einen Stollen gegraben, um den Nachschub aus dem Sichtfeld der österreichischen Scharfschützen zu bringen. Ein Teil ist noch immer begehbar.
    Viele heutige Touristenstraßen wurden im Ersten Weltkrieg als Nachschubwege für die Soldaten angelegt
    Und viele Straßen, über die heute die Touristen einst entlegene Täler und Hochebenen der Dolomiten bequem erreichen können, wurden im Ersten Weltkrieg als Nachschubwege angelegt.
    "Wenn man schaut, von der Auronzohütte hinauf und dann weiter zum Paternsattel, ist immer noch die Straße, die 1915 gebaut wurde. Wenn der Krieg nicht gewesen wäre, sicher hätten die Drei Zinnen die gleich große Popularität, weil sie einfach einzigartig sind. Aber die ganzen Relikte aus dem Krieg sind natürlich auch inzwischen zu einer Sehenswürdigkeit geworden, die ausgehöhlten Berge, die Kavernen."
    Hugo Reider hat darüber ein kleines Buch geschrieben. "Kampf um die Drei Zinnen" heißt es. Darin ist auch ein Bild aus dem Juni 1915 aus den Anfangstagen des Dolomitenkrieges. Es zeigt die in Flammen stehende Drei Zinnen-Hütte.
    "Die Italiener vermuteten da ein Munitionsdepot, aber die Hütte wurde als solche nicht genutzt. Die Geschütze waren wahrscheinlich von Misurina aus, unten im Misurinabecken, das hinter der westlichen Zinne liegt, weil zu Kriegsbeginn hatten auch die Italiener noch nicht sehr viele Geschütze oben. Man muss es ja so sehen: Wenn damals die Italiener gleich mit Kriegsbeginn am 23. Mai einmarschiert wären, dann hätten sie nur unten durchs Tal durchmarschieren können und wären bis nach Innsbruck gekommen. An Verteidigung war ja nichts mehr da. Die wehrfähigen Männer waren alle in Galizien oder auf der russischen Front."
    Mit einem Angriff aus Süden hatten Österreichs Militärs nicht gerechnet. Erst fast ein Jahr nach Beginn des Ersten Weltkriegs unterzeichnete Italien in London ein Abkommen. Der Lohn: würde Italien in den Krieg gegen Deutschland und Österreich eintreten und den Mittelmächten nach Frankreich und Russland eine dritte Front im Süden aufzwingen, bekäme es dafür die K und K-Gebiete bis zum Brenner, Südtirol, das Trentino, Venetien.
    "Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird das Hochgebirge von einer beispiellosen Materialschlacht erschüttert. Ab 1915 verläuft eine Frontlinie des Ersten Weltkrieges mitten durch die Dolomiten."
    Der Dolomitenkrieg kam den Kaisern Berlin und Wien ungelegen

    Majestätisch erhebt sich der Monte Cristallo über Cortina d'Ampezzo. Der Ort im Herzen des UNESCO-Weltnaturerbes Dolomiten ist vor allem als beliebter Skiurlaubsort bekannt,
    Idylle in Venetien: Der Monte Cristallo in den Dolomiten. (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Ich bin hinabgestiegen, vom Hochplateau an den Drei Zinnen, nach Nordosten ins Pustertal. Im alten Schulhaus von Sexten informiert eine Ausstellung über den Krieg vor einem Jahrhundert. Schwarz-Weiß-Fotos, Karten, historische Uniformen, Dokumente, Filme.
    Italien war nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 zunächst neutral geblieben und hatte erst am 24. Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg erklärt. In Südtirol – damals Teil der Habsburger Monarchie – stehen zu diesem Zeitpunkt nur schwache Kräfte des Tiroler Landsturms und wenige Truppen des deutschen Alpenkorps. Mit ihnen kann die Grenze nicht gehalten werden. Die österreichischen Truppen räumen die tief liegenden Gebiete und ziehen sich ins Gebirge zurück. Dort bauen sie eine rund 700 Kilometer lange Verteidigungslinie – vom Stilfser Joch bis zum Kaarst am Isonzo auf.
    Der Dolomitenkrieg kam den Kaisern in Wien und Berlin mehr als ungelegen – der Großteil der österreichischen Truppen kämpfte an der Ostfront, die deutsche Reichswehr stand tief in Belgien und Frankreich. Rom sah eine günstige Gelegenheit, seine Nordgrenze auszudehnen. Als letztes Aufgebot stellten sich die Tiroler Standschützen den Italienern entgegen, verstärkt durch Freiwillige, unter ihnen halbe Kinder und über 70 Jahre alte Veteranen.
    Im Pustertal war praktisch jede Familie betroffen, auch die von Christian Innerkofler. Der Familienname ist berühmt in Südtirol. Sepp Innerkofler war vor dem Ersten Weltkrieg ein bekannter Bergführer und Hotelier. Als die Italiener den Krieg erklärten, wurde Christian Innerkoflers Urgroßvater Soldat und kämpfte in den Sextener Dolomiten.
    "Er war der Erbauer vom Dolomitenhof 1905 und auch Pächter von der Drei-Zinnen-Hütte und dem Helmhaus und ist dann mit der fliegenden Patrouille am Paternkofel ums Leben gekommen. Der Leichnam wurde von den Italienern geborgen und am Gipfel begraben und erst Ende es Krieges wurde er wieder ausgegraben und am Ortsfriedhof von Sexten bestattet."
    Noch viele Fotos und Filmaufnahmen erhalten
    Sepp Innerkofler ist im Pustertal unvergessen. Noch immer – erzählt sein Urenkel – werden am Grab Kränze niedergelegt. Christian Innerkofler steht in einer holzgetäfelten Stube des Dolomitenhofes und öffnet eine Vitrine.
    "Ja das ist die Sepp Innerkofler-Stube. Das ist noch von der damaligen Zeit. Hier haben wir versucht, Gegenstände und Dokumente auszustellen, die mit Sepp Innerkofler zu tun haben, wie eine Liste von den wichtigsten Erstbegehungen, so ein kurzer Lebenslauf. Zum Beispiel hier in der Vitrine, das ist noch die Originalplakette, die die Italiener am Kreuz am Gipfel angebracht hatten. Die haben sie aus einer ausrangierten Konservendose, da haben sie aufgeschrieben Sepp Innerkofler, Guida, was Bergführer heißt. Auf italienischer Seite waren ja auch viele Bergführer, die da gekämpft haben und die kannten sich vor dem Krieg auch schon. Mein Großvater hat immer gesagt, untertags haben sie sich gegenseitig bekämpft und abends haben sie ein Glas Rotwein zusammen getrunken, an der Front. Es wird ein bisschen übertrieben sein, aber ein Funken Wahrheit ist sicherlich dabei, denke ich."
    Die Wahrheit aus allen Legenden herauszufiltern, ist die Aufgabe von Sigrid Wisthaler. Die Südtiroler Historikerin ist vor allem an der Alltagsgeschichte dieser Zeit interessiert, dem Leben der einfachen Bauern und Handwerker.
    "Es gibt noch viel Originalmaterial. Das meiste liegt in Wien im Kriegsarchiv. Aber auch in privater Hand gibt es noch einiges aus dieser Zeit, vor allem Fotobestände oder auch Briefe oder Tagebücher. Wir haben in den letzten Jahren zwei wichtige Tagebücher von Soldaten gefunden, die an dieser Front gekämpft haben. Ein Kriegstagebuch ist beispielsweise von meinem Urgroßvater. Er hat hier 1915, als der Krieg begonnen hat, im Juli als die ersten Stellungen aufgebaut wurden, mitgekämpft als Soldat und erzählt sehr genau, wie das Alltagsleben der Soldaten oben im Gebirge ausgesehen hat."
    Dafür interessieren sich auch viele Touristen, berichtet Sigrid Wisthaler. Immer noch kommen Besucher auch aus Teilen der ehemaligen K und K-Monarchie, Ungarn, Tschechen, Slowaken – auch ihre Vorfahren kämpften hier an der Seite der Tiroler Standschützen.
    "Also, es gibt in Sexten einen historischen Verein seit dem Jahre 2005. Der nennt sich Bellum aquilarum, das heißt übersetzt, der Krieg der Adler. Das Ziel des Vereins ist es, ein Freilichtmuseum rund um das Rotwandmassiv aufzubauen."
    Das Rotwandmassiv ist ein Teil der Sextener Dolomiten, im äußersten Nordosten von Südtirol, kurz vor der heutige Grenze zu Österreich. Auch hier standen sich Soldaten gegenüber, gruben, bohrten und sprengten Schützengräben und Kavernen in Fels und Eis.
    "Was mir immer wieder auffällt, ist, dass hier in den Dolomiten in den höchsten Lagen sehr gut erhaltene Kavernen erhalten sind. Ich war beispielsweise auf einem Nebengipfel von der Roten Wand, da gab es eine Kaverne, die war gleichzeitig auch die Bergstation einer Materialseilbahn, und die ist noch vollständig erhalten, dort ist noch die Holztäfelung drinnen, sind noch die hölzernen Stockbetten drinnen, ein Tisch, ein Ofen, so wie zurzeit als diese Kaverne verlassen worden ist. Ich bin viel im Gebirge unterwegs, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie man es damals geschafft hat, dort oben zu überleben. Es gibt Quellen, die davon sprechen, dass es gerade in diesem extremen Winter 16/17 bis zu zehn Metern Schnee gehabt hat ganz oben. Was man immer wieder liest in den verschiedenen Quellen, dass zwei Drittel der Soldaten im Gebirge umgekommen sind aufgrund von Lawinen, von Steinschlag oder Erkrankungen.
    Allein im Dezember 1915 starben an der Gebirgsfront rund 100.000 Mann, nicht durch Kugeln oder Granaten, sondern durch Lawinen und eisige Kälte. 100.000 von über neun Millionen gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs.
    Spuren des Kriegs ziehen sich quer durch die Dolomiten
    Die Spuren des Krieges ziehen sich noch heute quer durch die Dolomiten, vom fast 3.900 Meter hohen Ortler bis an das Nordufer des Gardasees, vom Etschtal bis ins heutige Drei-Länder-Eck zwischen Italien, Österreich und Slowenien. Manche Stellungen können nur erfahrene Alpinisten und versierte Kletterer erreichen, andere liegen direkt an der Straße oder an leichten Wanderwegen – so wie am Falzarego-Pass zwischen Alta Badia und Cortina d´Ampezzo.
    Das alte von Granateinschlägen zerfurchte österreichische Fort Tre Sassi direkt an der Passstraße ist heute ein Kriegsmuseum. Hier treffe ich Bergführer Walter Frenademez, unser Ziel ist der Col di Lana, der Blutberg.
    "Der Weg geht hinunter, ein Abstieg von ungefähr 100 Metern, und dann fängt man an, langsam zu steigen in Richtung Cirfscharte über den Kamm rüber in Richtung Gipfel hinauf."
    Oder was von diesem Gipfel übrig geblieben ist. Hier standen sich Österreicher und Italiener in Rufweite gegenüber, drei Mal versuchten sie sich gegenseitig aus dem Berg zu sprengen.
    "Also, die erste Sprengung ist oben zwischen den zwei Gipfeln. Die war die größte. Und dann auf dem Kamm eine zweite und noch eine dritte Sprengung."
    Heute wirkt der Col di Lana wie ein ruhender Vulkan, der bei seiner letzten Eruption seine Spitze weggeschleudert hat. Die Krater und die gewaltige Schutthalde haben wir fast auf dem gesamten Anstieg vor Augen. Sein Vater – erzählt Bergführer Walter – hat das als Kind erlebt.
    "Die Sprengungen, die waren wie Erdbeben. Also, da hat die ganze Erde gezittert."
    Allein am Col di Lana fielen rund 8.000 Soldaten – Col di Sangue – Blutberg - nannten ihn die italienischen Alpini. Nach zwei Stunden sind wir fast wieder an unserem Ausgangspunkt. Noch einmal führt der Weg durch österreichische Stellungen, von Freiwilligen sorgfältig restauriert.
    "Das ist eine Unterkunft von den Tiroler Landesverteidigern vom 2. Regiment, von dem 3. Regiment von den Landesschützen. Verteidiger gegen die Verräter, die Welschen. Ja das ist Geschichte, keine Legende."
    Heute kümmern sich Tiroler und Italiener gemeinsam um die Museen
    Heute opfern Tiroler – wie Franz Botzi aus Sulden – und Italiener gemeinsam ihre Freizeit, um die Stellungen als Freilichtmuseum zu erhalten. In den letzten Jahrzehnten kamen immer wieder Freiwillige der ehemaligen Kriegsparteien nach Südtirol, um dabei zu helfen – auch junge Soldaten der Bundeswehr. An einem Tisch lehnen unschädlich gemachte Karabiner, an einem Hacken hängt eine Uniform. Vor einem Jahrhundert trug sie Franz Botzis Großvater – im Krieg in den Dolomiten.
    "Gegen die ersten italienischen Angriffe im Juni 1915 – Juni bis Oktober – da waren hier nur Tiroler Standschützen über 40 Jahre alt und unter 18 Jahre alt. Die jüngsten und die ältesten Tiroler Landesverteidiger. Das letzte Aufgebot. Wie Andreas Hofer."
    Zurück am Parkplatz verabschiedet sich Walter. Ich aber gehe weiter, über die Straße zum gegenüberliegenden Berg dem Lagazuoi. Oben – in der Hütte auf dem Gipfel - bin ich mit italienischen Historikern verabredet. Ich könnte, wie sie, die Seilbahn nehmen. Doch der Kaiserjägersteig ist lohnender. Zwei Stunden Aufstieg durch die früheren österreichischen Stellungen, ein Kriegsfreilichtmuseum mit rekonstruierten Stellungen und zahlreichen Erläuterungstafeln.
    Kurz nach dem Ausstieg aus dem Kaiserjägersteig verschwindet das Grauen des Krieges. Familien bestaunen die grandiose Aussicht, junge Mädchen in Flip-Flops schießen Selfies zur Erinnerung, ein Rentnerehepaar genießt Kaffee und Kuchen. Sie alle sind mit der Seilbahn heraufgeschwebt, ohne Anstrengung und ohne Blicke für die Kriegsrelikte. Vor der Lagazuoi-Hütte begrüßt mich Guido Pompanin, der Wirt.
    "Was hier wichtig ist, ist die Lage. Das Panorama ist einmalig. Man sieht die ganzen Dolomiten praktisch, von den Geislerspitzen bis Tofana, Sellagruppe, Marmolada,Civetta, Pelmo, Sorapis. Man sieht alles praktisch."
    Ein paar Schritte unterhalb der Seilbahnstation beginnt ein ein Kilometer langer steil abfallender Tunnel. Hier standen einst die Italiener und versuchten sich zu den Stellungen der Österreicher durchzugraben. Allein am Lagazuoi versuchten Standschützen und Alpini fünf Mal, sich gegenseitig aus dem Berg zu sprengen, 70 Tonnen Dynamit schleppten sie dafür durch die Stollen. Heute sorgen Ehrenamtliche wie Guido Pompanin dafür, dass viele Stollen wieder begehbar sind.
    "Wir haben viel dafür gearbeitet. Wir haben neue Wege zu den Stollen hier gebaut, damit die Leute leichter sogar mit dem Rollstuhl hinkommen. Und fast jeder Gast, der hier raufkommt, kommt hier vorbei."
    Guido Pompanin ist mit seinem Engagement nicht allein. Auch Stefano Illing investiert seit Jahren einen Großteil seiner Freizeit am Lagazuoi. Gemeinsam mit seinem vor einigen Jahren verstorbenen Vater und vielen anderen ehrenamtlichen Helfern hat Stefano Illing Stollen und Schützengräben freigelegt, Schautafeln verfasst und Wege markiert.
    "Wir bereiten gerade ein Comic-Buch vor, der erste Band behandelt den Lagzuoi. Wir verfolgen damit mehrere Ziele. Manche denken, Geschichte ist langweilig. Wir wollen ihnen zeigen, wie interessant Geschichte ist. Wir wollen die Jungen ansprechen, die Teenagers. Damit mehr Menschen wissen, was hier passiert ist. Dahinter steckt aber auch die Idee, zu erzählen, wie sich unsere Identität entwickelt hat. Alle von uns haben ihren Anteil, eine europäische Identität zu bilden – auch durch das Erbe von Menschen aus Prag oder Budapest. Denn ihre Großväter haben hier gekämpft."
    Gletscher legt immer wieder sterbliche Überreste von Soldaten des Ersten Weltkriegs frei
    Noch immer stoßen Illing und seine Mitstreiter am Lagazuoi auf Überbleibsel des Krieges, auch auf Knochen von Schweinen und Hühnern, dem Proviant der Soldaten. In höheren Lagen wie auf der Marmolada gibt der schmelzende Gletscher ab und zu noch immer die sterblichen Überreste Gefallener frei.
    "Wir haben alle Dokumente in den verschiedenen Kriegsarchiven gesichtet, wir wissen also, was hier geschehen ist. Was wir immer noch nicht vollständig verstehen, ist die taktische Situation. Wie wurde das Gebirge als Schlachtfeld genutzt? Das ist aber sehr interessant. Denn die beiden gegnerischen Seiten waren damals gezwungen, ihre Vorstellung von Krieg, die noch aus dem 18. Jahrhundert stammte, anzupassen an einen modernen Krieg."
    Ein Krieg, der bis 1917 im Hochgebirge tobte. Dann gelang den Österreichern der Durchbruch, die Italiener zogen sich ins Flachland an der Piave bei Venedig zurück. Im Oktober 1918 zerbrach Österreich-Ungarn, nahezu zeitgleich bat die oberste deutsche Heeresleitung um ihre Entlassung – das Ende des Ersten Weltkriegs und seines Kapitels Dolomitenkrieg.
    "Es war der erste Krieg mit Telefonverbindungen, mit LKW, der erste Krieg, der nicht nur die Soldaten betraf, sondern die ganze Bevölkerung, es war ein Krieg der Propaganda, der Industrialisierung, und es war der erste Krieg, der im Winter in den Bergen ausgefochten wurde. Auch deshalb ist dieser Krieg so interessant für so viele Menschen."
    Heute kommen auch viele italienische Schulklassen zum Lagzuoi. Stefano Illing führt sie oft durch die dunklen Stollen, gerade weil es so hart ist und vielen Kindern auch Furcht einflößt. Doch diese Emotionen seien wichtig, sagt illing, Emotionen transportieren Informationen.
    "Die Menschen vergessen, weil es so leicht ist, zu vergessen. Europa hatte noch nie so viele Jahre des Friedens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und dieser Krieg war ja eigentlich eine Fortsetzung des Ersten Weltkriegs."