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"Es gibt viele schöne, unerprobte Ideen"

Umwelt.- Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko lässt die Behörden vor Ort hilflos erscheinen. Bisherige Maßnahmen, um das ausgetretene Öl zu beseitigen, sind nicht besonders gut geglückt. Über mögliche weitere Wege berichtet die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich im Interview mit Katrin Zöfel.

04.05.2010
    Katrin Zöfel: Eigentlich war das Ende der Mission der "Deepwater Horizon" schon in Sicht, als die Katastrophe passierte. Die Crew auf der Ölbohrplattform hatte Daten gesammelt über ein riesiges Erdölvorkommen tief unten im Meeresgrund. Man wusste nun genug, um Entscheidungen zu treffen, wie die Lagerstätte am besten zu nutzten sei und wollte das Bohrloch gerade verschließen. Dann die Explosion, der Untergang der Plattform und die riesigen Mengen Öl, die seitdem ins warme Meereswasser am Golf von Mexiko strömen. Meine Kollegin Dagmar Röhrlich verfolgt das Geschehen für uns. Im Gespräch, das wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet haben, habe ich sie gefragt, ob man inzwischen genauer weiß, wie es zu dem Unfall kommen konnte?

    Dagmar Röhrlich: Es gibt immer noch nur Spekulationen, aber die haben sich inzwischen in eine Richtung rein verdichtet. Die "Deepwater Horizon" sollte ja abziehen und bevor sie das kann, muss das Bohrloch geschlossen werden, dicht mit Zement versiegelt werden. Das hat man auch gemacht, aber jetzt kann es sein, dass entweder Risse im Zement waren oder dass dieser Zement noch nicht ganz abgehärtet war, als man schon einmal versucht hat: Na, ist das denn schon dicht? Und eine Dichtigkeitsprüfung durchgeführt hat. Jedenfalls hatte sich Gas im Rohr angesammelt. Und dieses Gas ist dann wahrscheinlich durch den Zement hindurchgeschossen und der Blowout-Preventer ... und das Ganze geschah mit einer solchen Wucht, dass ein Stück Rohr oder ein Anschlussstutzen in den Blowout-Preventer hineingeraten ist. Diese Maschine sitzt ja auf der Bohrung drauf und ist wie ein riesiges Ventil, das alles abschließen soll, aber weil da halt dieses riesige Stück Metall drin ist, konnte es nicht schließen und so soll es nach derzeitigen Vermutungen passiert sein.

    Zöfel: Was sind denn die neuesten Ideen, um die Katastrophe jetzt noch abzumildern?

    Röhrlich: Gestern wurde bekannt gegeben, dass man versuchen möchte, eines der drei Lecks abzudichten, indem man ein Ventil einbaut. Das Ganze passiert in 1500 Metern Wassertiefe, ferngesteuert mit Unterwasserfahrzeugen, also keine einfache Aufgabe. Über die beiden anderen sollen ja solche Riesentrichter gestülpt werden, die dann das Öl einsammeln und über Rohre dann zu einem Schiff bringen, damit es abtransportiert werden kann. Diese Installationen sollen in den nächsten Tagen beginnen, sobald das Wetter es zulässt. Allerdings ist es keine einfache Aufgabe, denn ich habe ja unten die Trümmer von der versunkenen Bohrplattform liegen und ich muss den Trichter auch passgenau übers Leck kriegen. Das wird also einige Tage dauern. Und das große Risiko ist: Diese Trichter stehen ja dann nicht im flachen Wasser, sondern so tief, dass etwa 150 Atmosphären Druck auf ihnen lasten. Und sollten die dann zusammenbrechen, dann fällt natürlich alles auf die eh schon chaotische Situation um die Bohrung herum auch noch drauf, so dass die Gefahr besteht, dass ich dann überhaupt nicht mehr rankomme.

    Zöfel: Gibt es noch andere Ideen, was man tun könnte?

    Röhrlich: Es gibt viele schöne, unerprobte Ideen. Besonders ehrgeizig ist eine Idee, über dem Blowout-Preventer, der am Meeresboden sitzt, alles abzuschneiden, einen zweiten Blowout-Preventer draufzusetzen. Wenn da jetzt etwas bei schiefgehen sollte, falls man diesen Versuch unternimmt, dann ist natürlich das Risiko groß, dass noch viel mehr Öl herausschießt. Und ob das überhaupt möglich ist, da will man jetzt erstmal Öldruckmessungen machen, um zu schauen – denn Harakiri will man da auch nicht unbedingt begehen.

    Zöfel: Und was ist mit der Entlastungsbohrung, von der vor einigen Tagen die Rede war?

    Röhrlich: Eine Bohrplattform und ein Bohrschiff sind vor Ort. Sobald das Wetter es zulässt, kann es losgehen. Aber das ist eine Aktion, die Monate dauern wird. Denn man muss ja gezielt in den Untergrund reinbohren, die Bohrung am richtigen Punkt treffen, dann einen besonderen speziellen schweren Schlamm hineinspritzen und auch Zement hineinspritzen, das Ganze so dann einfach wieder dicht verschließen. Vor der Küste Australiens hat man das im vergangenen Sommer machen müssen bei einer Bohrung in 75 Metern Wassertiefe. Das hat zehn Wochen gedauert und es hat erst beim sechsten Versuch geklappt. Das zeigt, wie kritisch dieses ganzen Arbeiten dann in 1500 Metern Wassertiefe sein werden.

    Zöfel: Heißt das, es gibt nichts, was jetzt schnell greifen könnte? Das sind ja alles Maßnahmen, die recht lange dauern.

    Röhrlich: Derzeit laufen Versuche, dass man die Chemikalien, die an der Wasseroberfläche eingesetzt werden, um dort den Ölteppich zu zerteilen, dass man die direkt an den Lecks hineinspritzt. Die Hoffnung ist, dass sich das Öl dann sofort mit dem Wasser vermischt, zu schwer wird und nicht mehr hochsteigt, dass man also den Ölteppich sozusagen unten halten kann. Das Risiko ist natürlich, dass diese Chemikalien auch nicht harmlos sind. Und Umweltschützer befürchten, dass man da Teufel mit Beelzebub austreibt. Und ob es klappt, ist auch noch unklar. Es sind also ganz verzweifelte Versuche, die da laufen, eine ganz große Ölpest zu verhindern.

    Zöfel: Was ist aus den anderen Maßnahmen geworden, von denen die Rede war, abfackeln, anzünden des Ölteppichs?

    Röhrlich: Sobald das Wetter es zulässt, möchte man den Ölteppich weiter in kleine Stückchen zerlegen und abfackeln, egal, welche Umweltbelastung in der Luft dann passiert. Und man wird dann auch weiter versuchen, das Öl mit Spezialschiffen einzusaugen. Aber das Wetter hat es in den vergangenen Tagen nicht zugelassen.

    Zöfel: Das Stichwort Katastrophe ist ja sicher gerechtfertigt. Aber nüchtern betrachtet: Wie muss man diese Ölpest jetzt einordnen im Vergleich zu anderen, die es schon gegeben hat?

    Röhrlich: Es ist eine schwere Ölpest, aber bei weitem nicht die schwerste. Im Golf von Mexiko hat es 1979 eine sehr schwere gegeben, als die Bohrplattform XTOC-1 einen Blowout erfahren musste. 530 Millionen Liter Öl sind damals ausgeflossen, das sind wir jetzt noch sehr weit von entfernt. Und die größte Ölkatastrophe überhaupt war natürlich nach dem ersten Golfkrieg im Persischen Golf, wo 136 Milliarden Liter Öl ausgeflossen sind. Die beiden sind natürlich ganz gut als Vorbild für das, was jetzt passieren könnte, denn es ist immer warm da. Das Meer ist warm, die Bakterien arbeiten auf Hochtouren. Und wenn man sich jetzt die Umweltfolgen dort anschaut, dann war es immer so, dass die Meere eigentlich nach drei, vier Jahren nachdem das Öl weg war – solange da Öl da ist, ist alles tot – aber sobald das Öl weg war, hat es drei, vier Jahre gedauert, ehe sich das Meer wieder erholt hat. An den Küsten war es so, dass die Mangrovenwälder und auch die Marschlandschaften, die dort betroffen waren, dass die nach einigen Jahren, nach vier, fünf Jahren, auch äußerlich wieder ganz gut aussahen, aber das Öl war dort tief in den Untergrund hineingesickert. Und wo kein Sauerstoff drankommt, dort wird es auch nicht abgebaut, dort lauert es als Gefahr immer weiter.

    Zöfel: Die Bilder, die man von Ölkatastrophen kennt, sind ja eher die von schwarzen Lachen, die an den Strand schwappen und diesen Strand sozusagen überfluten. Die Bilder, die wir jetzt gesehen haben, sind ganz andere. Woran liegt das?

    Röhrlich: Im Moment hofft man sehr, dass sich keine schwarze Flut über den Strand ergießen wird, sondern dass es mehr Teerknollen sind, die ankommen. Ganz einfach: Das Öl tritt relativ weit draußen aus, 65 Kilometer sind es bis zum Strand. Es ist warm. Alles was leichtflüchtig ist verdunstet. Gleichzeitig arbeitet der Wind Wasser in das Öl ein, so dass man hofft, dass alles dann im Endeffekt ja als relativ gut zu handhabende Teerknolle ankommt oder als Mousse au Chocolat, wie das so schön heißt, so ein schaumiges, dunkles Zeug, was dann ankommt. Das dringt nämlich nicht in den Boden ein, was bei den anderen Ölkatastrophen ja immer besonders langfristige Folgen hat, sondern es klebt, es tötet, was daran kleben bleibt von Tieren und Pflanzen, aber man könnte es vergleichsweise einfach beseitigen. Nur vergleichsweise einfach – das ist also nicht so gemeint, dass es wirklich einfach wäre. Nur es ist nicht so schlimm, wie es sein könnte.

    Zöfel: Danke Dagmar Röhrlich für dieses Gespräch.