Dienstag, 19. März 2024

Archiv


"Es reicht nicht aus, fachlich gute Arbeit zu machen"

Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, hält die Frage nach dem Umgang mit der Atomkraft nicht nur eine technische, sondern für eine gesellschaftliche. Und er warnt vor "Billiglösungen" bei der Endlagerung.

Moderation: Georg Ehring | 22.05.2011
    Georg Ehring: Die Atomkatastrophe von Fukushima hat vor mehr als zwei Monaten begonnen, aber sie ist immer noch nicht vorbei. Es tritt immer noch Radioaktivität aus den Reaktoren aus, die Belastung der Umgebung wächst und die Verantwortlichen haben die Lage nicht im Griff. Haben die Ereignisse nach Erdbeben und Tsunami in Japan Ihre Sicht auf die Atomenergie verändert?

    Wolfram König: Es wäre vermessen zu sagen, dass das, was dort passiert ist, dass wir das alles erwartet haben oder dass solche Unfälle uns nicht überraschen würden. Nein, das, was neu war, das war die Kaskade von Ereignissen, die dazu geführt hat, dass eben nicht nur ein Reaktor, sondern mehrere Reaktoren außer Kontrolle geraten sind. Und dass das Ganze in einem Land stattfindet, das eigentlich für seine Sicherheitskultur gelobt worden ist, macht das Ganze natürlich umso bedeutsamer. Wir sind gut beraten, dass wir die Ereignisse in Japan genau verfolgen, auswerten und uns fragen, welche Rückschlüsse sind zu schließen für Europa, für Deutschland.

    Ehring: Wie bewerten Sie denn die vergeblichen Versuche, die Radioaktivität zu stoppen? Ist das Unfähigkeit, schlechtes Krisenmanagement oder ist die Technik einfach nicht beherrschbar?

    König: Ich möchte mich nicht sozusagen in Ferndiagnosen ergehen, ich glaube aber, dass das, was dort passiert, ein Ausmaß erreicht hat, wo nur noch Notmaßnahmen und Maßnahmen, wo man das Allerschlimmste versucht, noch mit Dingen zu verhindern, die eigentlich unvorstellbar gewesen waren vorher, wie zum Beispiel das Einspeisen von Meerwasser in den Reaktordruckbehälter, wie das Kühlen von Brennelementedecken mit Pumpen, die eigentlich der Betonherstellung, der Förderung dienen. Das sind alles Dinge, die sozusagen Notmaßnahmen waren und sind. Wir sind ja immer noch in der Situation, dass die Reaktoren nicht unter Kontrolle sind. Dazu dienen, noch Schlimmeres zu verhindern, eine noch größere Ausbreitung der Radioaktivität insbesondere, und das, was bislang zum Glück noch nicht passiert ist: Das vollständige Durchschmelzen von Reaktordruckbehältern und das totale Freisetzen von Brennelementen beziehungsweise das, was von Brennelementen nach dem Schmelzen noch übrig ist.

    Ehring: Würden Sie denn aus diesem Ereignis den Schluss ziehen, dass Atomkraft nicht beherrschbar ist?

    König: Es war immer eine Wahrheit, dass diese Technologie mit einem Risiko verbunden ist. Es ist eine gesellschaftliche Frage, ob man dieses Risiko bereit ist, in Kauf zu nehmen für den Nutzen, den man sich damit erhofft. Aber es war auch immer eine Wahrheit, dass solche Unfälle nicht auszuschließen sind, nämlich die den größten anzunehmenden Unfällen überschreitenden Ereignisse, also die Super-Gaus. Und das heißt, das völlige Freisetzen von Material, dass Radioaktivität ständig sozusagen austritt aus den Reaktoren, unkontrolliert in großen Mengen. Das sind Ereignisse, die mit dem sogenannten "Restrisiko" mal beschrieben worden sind. Dieses Restrisiko ist sehr gering, aber das, was wir jetzt wieder erleben, ist: Wenn es dazu kommt, sind die Folgen unabsehbar. Sie können auch solche stabilen Industrienationen wie Japan zutiefst verunsichern. Und eben die menschlichen Folgen sind bislang ja noch unabsehbar.

    Ehring: Japan hat bei uns zu einer kompletten Neubewertung der Atomenergie geführt. Die Bundesregierung hat in ganz kurzer Zeit eine Kehrtwende vollzogen – von der Laufzeitverlängerung hin zum Ausstieg. Ist das nicht etwas überstürzt?

    König: Es ist richtig, dass man die Ereignisse in Japan nutzt, um noch mal grundsätzlich die Frage zu stellen: Ist die Bewertung der Bundesregierung richtig gewesen, nicht nur die Begrenztheit der Laufzeiten zu erweitern, sondern auch: Sind die Grundlagen, auf denen bisher die Risiken eingeschätzt worden sind – dieser Kraftwerke – ausreichend gewesen. Dazu diente das Moratorium, der Stillstand jetzt für drei Monate der alten Reaktoren, dazu dient die Einsetzung der Reaktorsicherheitskommission und der Ethikkommission. Es ist letztendlich eine gesellschaftspolitische Frage, ob man bereit ist, dieses Risiko noch zu tragen. Und um das bewerten zu können, diskutierbar machen zu können, muss man es auch transparent und offenlegen. Und hierzu gehört nicht nur die Offenlegung der Sicherheiten, die man hat, sondern insbesondere auch der Unsicherheiten, die existieren in der Bewertung von der Robustheit von solchen Anlagen: Wie sind sie ausgelegt gegen Ereignisse, die man vielleicht vorher anders gesehen hat und nicht als solch hohes Risiko eingeschätzt hat.

    Ehring: Die Reaktorsicherheitskommission hat jetzt den deutschen Atomkraftwerken eine hohe Robustheit bescheinigt, teilweise auch älteren Meilern, die nach Fukushima sofort vom Netz mussten. Sind die deutschen Reaktoren nicht doch sicherer als die in Japan?

    König: Ich kann mir da kein Urteil bilden. Ich glaube, dafür ist gerade die Bewertung der Reaktorsicherheitskommission, die ja nicht abgeschlossen ist, sondern die einen ersten Stand widerspiegelt, von Bedeutung. Es sind die richtigen Fragen gestellt worden, aber es war auch von vornherein klar, dass in der Kürze der Zeit eine genaue Betrachtung einzelner Reaktoren nicht möglich war, sondern es ist eine summarische Betrachtung gewesen, ob die bisher zugrunde gelegten Sicherheitsmaßstäbe ausreichend sind und ob die Ereignisse in Japan Schlussfolgerungen zulassen hinsichtlich unmittelbarer Reaktionsnotwendigkeiten. Und das, glaube ich, was diesen Prozess belastet, ist, dass die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, der Politik, auseinanderfällt mit den Möglichkeiten, die so eine Kommission in dieser Zeit hat. Sie konnte nicht in die einzelnen Reaktoren hinein gehen, sie war maßgeblich darauf angewiesen auf die Beantwortung von Fragen der Betreiber. Und für so einen Prozess einer genauen Betrachtung, welche Schwachstellen eventuell existieren, bedarf es natürlich einer ganz anderen Grundlage – Gutachterbeteiligung, anderer Zeitabläufe. Dieses ist ein erster Zwischenstand, aber auch dieser Zwischenstand hat deutlich gemacht, dass eben diese Reaktoren erhebliche Schwachpunkte auch haben, unter anderem im Bereich sozusagen der zivilisatorischen Einflussgrößen. Darunter fällt zum Beispiel ein gezielter Angriff mit Flugzeugen, mit Passagiermaschinen, wie wir sie am 11. September 2001 in New York erlebt haben. Und von daher ist es wichtig, diese Schwachpunkte noch mal sich zu vergegenwärtigen. Vieles von dem, was gesagt worden ist, ist nicht neu. Aber in der Frage der Wechselwirkungen und der Kaskadenereignisse, wie sie in Japan abgelaufen sind, ist so eine Neubewertung dringend notwendig.

    Ehring: Herr König, andere Länder steigen nach Fukushima nicht aus, und die Deutschen haben auch traditionell mehr Angst vor Atomgefahren als viele Nachbarn. Ist es vielleicht besser, Risiken in Kauf zu nehmen, zu minimieren und dann die Atomkraftwerke sicherer mit gezogenen Lehren nach Japan weiterlaufen zu lassen?

    König: Das ist eine gesellschaftliche Frage, die kann kein Experte beantworten. Die Experten können sagen, welche Sicherheiten existieren, aber auch die Unsicherheiten müssen die Experten benennen. Und diese Transparenz ist nicht immer hergestellt worden in der Vergangenheit. Und wir haben auch noch festzustellen, dass in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten inzwischen eine sehr kritische Öffentlichkeit gegenüber der Nutzung der Kernenergie existiert, und dass es offenbar nicht gelungen ist, diese Ängste, die damit verbunden sind, maßgeblich zu verändern.

    Ehring: Wie weit lassen sich die Kraftwerke denn jetzt nachrüsten, um sie sicherer zu machen – auch für die Restlaufzeit, die sie ja haben werden?

    König: Also erst mal hat die Bundesregierung sich ja vorgenommen, die zentrale Frage zu stellen: Können die alten Reaktoren wieder ans Netz? Ein Ergebnis der Reaktorsicherheitskommission ist, dass nicht prinzipiell ältere Reaktoren in allen Punkten schlechter sind als neue Reaktoren. Durch Nachrüstmaßnahmen, zum Beispiel in die Notstromversorgung. In die Einspeisung von Kühlwasser in einem Notfall zum Beispiel sind Sicherheitsgewinne möglich. Aber es ist auch ein Teil der Wahrheit, dass alte Anlagen, die teilweise vor 30, 40 Jahren geplant worden sind, dass die an Grenzen stoßen der Nachrüstungsfähigkeit. Wenn Sie verschiedene Systeme miteinander vermischen – alte und neue technische Systeme –, entstehen neue Schnittstellen. Und diese neuen Schnittstellen können neue Risiken wieder herauf beschwören. Und das, was uns auch in Japan ja zunehmend klarer wird: Es geht auch immer darum, dass wir technische Probleme nicht allein mit neuen technischen Anforderungen beantworten können, sondern wir müssen gerade die Schnittstelle zwischen Mensch und der Technik als einen ganz wesentlichen Punkt in den Schwachstellen analysieren, das heißt: Hier geht es da drum – wollen wir eine Hochrisikotechnologie weiter akzeptieren für eine vielleicht günstigere Stromversorgung, oder sagen wir, wir sind nicht mehr bereit dazu, diese Risiken zu akzeptieren – und steigen in Erneuerbare, in Energieversorgungssysteme ein, die hinsichtlich der Folgen von Unfällen ganz anders zu bewerten sind.

    Ehring: Im Deutschlandfunk hören Sie das Interview der Woche mit Wolfram König, dem Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz. Herr König, nach dem Ausstieg ist das Atomzeitalter noch lange nicht vorbei. Ein Endlager wird gebraucht. Und hier gibt es massive Zweifel am Standort Gorleben. Teilen Sie die?

    König: Wir haben derzeit nicht den Stand, abschließend beurteilen zu können, ob Gorleben generell nicht geeignet ist oder geeignet ist. Wir sind weit davon entfernt, eine derartige Aussage hinsichtlich der Eignung treffen zu können. Gorleben hat aber nicht nur ein fachliches Problem eventuell, es gibt dort durchaus Schwachpunkte, die man untersuchen muss, wie zum Beispiel ein fehlendes zweites Deckgebirge über dem Salzstock. Es ist das Endlagermedium Salz, das man ja nutzen will für die hoch radioaktiven Abfälle. Es gibt Gasvorkommen, es gibt Kohlenwasserstoffvorkommen, die sicherheitstechnisch zu bewerten sind. Gorleben ist ausgesucht worden vor über 30 Jahren nach bis heute unbekannten Kriterien. Es ist bis zum Schluss nicht geklärt worden, wie eigentlich letztendlich der Standort Gorleben sich aus dem Vergleich von verschiedenen Standorten dann herauskristallisiert hat. Ich glaube, das ist ein ganz zentraler Punkt, der ja auch in "Stuttgart 21" eine große Rolle spielt. Es reicht nicht aus, fachlich gute Arbeit zu machen, sondern wir müssen die Menschen mitnehmen, gerade bei Techniken, die mit solchen Risiken verbunden sind. Das heißt, es muss transparent und offen dargelegt werden: Nach welchen Kriterien hat man einen Standort ausgewählt, wie werden die Ergebnisse bewertet und wie ist so zusagen das Sicherheitskonzept, das damit verbunden ist, um über einen derart langen Zeitraum – wir sprechen hier bis zu einer Million Jahre –, diese Stoffe von der Biosphäre dann hermetisch abzuschotten. Das sind alles Dinge, die nicht hinter verschlossenen Türen im Elfenbeinturm passieren dürfen, sondern wir müssen die Bevölkerung mitnehmen. Und das ist im Fall Gorleben leider nicht passiert. Dort hat man, bewusst übrigens, die Öffentlichkeit bisher nicht beteiligt in einem formalisierten Verfahren, und man hat dort den Eindruck erweckt – durch eine Mauer, durch Stacheldraht, durch Wasserwerfer –, dass sozusagen eine Offenheit und Transparenz geradezu nicht gewünscht wird. All das sind Dinge, die sich heute in dieser mangelnden Akzeptanz für diesen Standort niederschlagen.

    Ehring: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann will auch Standorte in seinem Land prüfen lassen. Soll man erst Gorleben zu Ende prüfen, wie das die Bundesregierung bisher geplant hat, oder parallel auch andere Standorte prüfen?

    König: Das Bundesamt für Strahlenschutz hat sich schon aus rechtlichen Gründen dafür ausgesprochen, so ein Standortauswahlverfahren nach vorher festgelegten Kriterien durchzuführen. Aber es ist die Entscheidung der Politik gewesen, allein in Gorleben zunächst weiter zu machen. Derzeit gibt es noch mal Diskussionen in der Bundesregierung und darüber hinaus, ob man schon Teilschritte für ein Auswahlverfahren beginnen sollte, also einen Plan B entwickelt, falls Gorleben nicht als geeignet sich herausstellen sollte. Ich glaube, das Signal, das von Baden-Württemberg ausgeht, dass nämlich erstmals neben Niedersachsen ein zweites Bundesland sich bereit erklärt zu sagen: Wir sind bereit, diese Lasten auf uns zu nehmen, wenn ein systematisches geordnetes Verfahren von der Bundesregierung gibt, das nach Beendigung der Kernenergienutzung sicherstellt, dass wir mit den Abfällen verantwortungsvoll umgehen –, ich glaube, das Signal ist ganz, ganz wichtig gewesen, um auch andere Bundesländer, die wir bei so einer Suche brauchen, überzeugen zu können, dass es der einzig richtige Weg ist, die Verantwortung auch zu übernehmen – Verantwortung, die wir haben für Abfälle, die in unseren Generationen erzeugt worden sind. Ich glaube, es ist kein guter Einfall, diese Abfälle zeitlich zu verschieben oder gar räumlich ins Ausland zu bringen und darauf zu spekulieren, dass andere unsere Probleme dann übernehmen.

    Ehring: Welche Bundesländer würden Sie denn noch gerne im Boot haben, um da mögliche Standorte zu prüfen?

    König: Wir sollten nicht den gleichen Fehler machen, den ich gerade bei Gorleben beschrieben habe, dass der Eindruck sich verfestigt hat, dass diese Auswahl von Gorleben eine politische Entscheidung war. Wir brauchen ein systematisches Verfahren, das nach den Sicherheitsanforderungen aufgestellt ist. Das heißt, hier müssen wir uns auf ein Verfahren verständigen, und hier gibt es gute Vorarbeiten, auf die man zurückgreifen kann, eine systematische Suche, nach geologisch geeigneten Räumen zunächst zu suchen in der Bundesrepublik. Und hier gibt es grundsätzlich zwei Wirtsgesteine, Endlagergesteine, die geeignet sind, das ist Salz und das ist Tongestein. Und das Ziel ist, in der Endlagerung diese Stoffe geologisch dauerhaft abzuschirmen, dass zukünftige Generationen dieses nicht überwachen müssen, dieses Endlager. Und hier bieten sich eben tiefere geologische Schichten an. Ein drittes Wirtsgestein mit schlechteren Eigenschaften gehört aber noch dazu, das ist Granit. Und diese Gesteinsformation in ausreichender Mächtigkeit außerhalb von tektonischen Bereichen sind identifiziert durch die Schwesterbehörde, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Und jetzt geht es darum, dieses Verfahren fortzusetzen, also das systematische Vorgehen und nicht das frühzeitige politische Festlegen auf wieder einzelne Standorte. Dieses würde sicherlich nicht geeignet sein, größere Rechtssicherheit und Akzeptanz in so ein Verfahren hinein zu bringen.

    Ehring: Es gibt auch den Vorschlag, oberirdisch zu lagern, für einige Generationen möglicherweise, bis man vielleicht auch genauer weiß wohin mit dem Atommüll. Was halten Sie davon?

    König: Dieser Vorschlag muss natürlich diskutiert werden. Es gehört dazu, dass man alle Optionen prüft. Aber dieser Vorschlag kommt immer dann – und er ist nicht neu, er ist schon 1978 zum Beispiel von Volker Hauff in die Diskussion gebracht worden, dem späteren Forschungsminister – dass man diese Abfälle in Langzeitzwischenlager dann erst mal aufbewahrt und guckt, ob zukünftige Generationen nicht bessere Ideen haben, damit umzugehen. Da passt vieles nicht zusammen. Erstens, wenn man aussteigen will aus der Technologie, kann man doch nicht ernsthaft hoffen, dass zukünftige Generationen mit diesem Stoff dann besser umgehen können. Also, ich denke, das ist sozusagen die wissenschaftliche Seite. Das Zweite ist, können wir verantworten, diese Stoffe anderen Generationen zu übereignen, statt Sicherheiten, die wir heute gewährleisten können, zu nutzen, nämlich in Form von geologischen Strukturen, die erhoffen, dauerhaft sicherstellen zu können durch technische Barrieren oder durch Wachmannschaften. Hier stellt sich die Frage: Zugänglichkeit – wie kann man dauerhaft sicherstellen, dass das Problembewusstsein für die Stoffe erhalten bleibt, wenn kein ökonomisches Interesse mehr existiert, die zu entsorgen. Und schon aus diesen Gründen glaube ich, dass wir gut daran tun, uns heute um diese Abfälle zu kümmern und sie nach dem jetzigen Wissensstand bestmöglich zu entsorgen im Sinne, dass wir geologisch geeignete Standorte finden, die dann genutzt werden können für die Einlagerung. Aber wir müssen aus den Fehlern auch lernen, die gemacht worden sind. Das heißt, dass wir sicherstellen können, dass die Abfälle so eingelagert werden können, dass man zumindest, wenn so ein Bergwerk wieder verschlossen ist, mit bergmännischen Methoden vorgehen kann, sie wieder bergen kann. Und dass man während der Betriebszeit, wo eingelagert wird, jederzeit auch die Abfälle wieder zurückholen kann. Ich denke, das sind Antworten, auch auf die Erfahrung, die wir mit anderen Projekten gemacht haben, aber eben eine generelle Rückholbarkeit halte ich für nicht zielführend. Das ist letztendlich das Verschieben unserer Probleme in die Zukunft.

    Ehring: Muss der Standort für den Atommüll notwendigerweise im Inland liegen? Es könnte ja sein, dass es in anderen Ländern viel bessere geologische Formationen gibt.

    König: Mir ist bislang kein Land bekannt, das Angebote gemacht hat, Abfälle aus anderen Ländern zu übernehmen, weil es der Auffassung ist, dass es mit diesen Abfällen besser und sicherer umgehen kann, als der Erzeuger dieser Abfälle. Wenn es solche Angebote gibt – und die gibt es, zum Beispiel von Russland –, dann waren es ökonomische Interessen, die dahinter standen. Letztendlich öffnet man damit die Tür, dass im Wortsinne die billige Entsorgung sich Bahn bricht. Nein, ich glaube, wir haben als Industrienationen, die in diese Technologie eingestiegen sind, die Verantwortung, diese Abfälle auch bei uns zu entsorgen. Wenn es denn so sein sollte, dass Länder aufgrund ihrer geologischen Situation nicht in der Lage sind, sichere Endlager zu realisieren, dann ist natürlich zum Beispiel Europa gefragt. Aber dieses ist kein geologisches, kein fachliches Problem, sondern es ist derzeit ein politisch-gesellschaftliches Problem. Und ich glaube, hier haben wir Nachholbedarf, mit Transparenz und Offenheit darzulegen, was ist eigentlich unsere fachliche Grundlage, warum wir diesen Weg gehen wollen, wie sind die Alternativen? Und ich glaube, letztendlich ist es eine ethische Frage, dass wir uns den Problemen stellen, die wir auch erzeugt haben und nicht darauf hoffen, dass andere unsere Probleme schon lösen werden.

    Ehring: Aber es ist auch eine wirtschaftliche Frage. Haben die Atomkraftbetreiber genug Geld zurückgelegt?

    König: Die Endlagerung hat ein Problem, dass nämlich, so lange das wirtschaftliche Interesse existiert, eine Endlagerung zu realisieren, weil daran zum Beispiel der Betrieb der Kraftwerke gekoppelt ist und auch die Akzeptanz für die Nutzung der Atomenergie, so lange haben wir eine Situation, wo man auch die Bereitschaft hat, von der Politik, von der Wirtschaft ausreichend Mittel für diese Suche bereitzustellen. Wenn wir lange warten, wird dieses Interesse abnehmen. Und dann ist natürlich mit der Langzeitzwischenlagerung es vielleicht der erste Schritt, dieses billig zu entsorgen in zum Beispiel Regionen, die eigentlich nicht nach unseren Vorstellungen geeignet sind dafür. Die Kraftwerksbetreiber haben Rückstellungen für die Entsorgung in ihre Bilanzen eingestellt. Das sind Bilanzrückstellungen, die um die 30 Milliarden Euro liegen sollen. Ob die letztendlich ausreichend sind für den Abriss und für die Endlagerung, das können wir heute im Detail noch nicht sagen. Wichtig ist, dass diese Mittel dann auch wirklich zur Verfügung stehen. Wie kann verhindert werden, dass diese Mittel zum Beispiel durch Konkurs eines Unternehmens dann verschwinden und dass dann die Belastungen in der öffentlichen Hand bleiben? Ich glaube, das ist ein reales Risiko, das auch mit diskutiert werden muss hinsichtlich der Frage, gibt es bessere Lösungen, diese Mittel zu sichern.

    Ehring: Großprojekte sind derzeit recht unbeliebt in der Bevölkerung. Gibt es denn die Chance, jetzt zu einem neuen ergebnisoffenen Verfahren überhaupt zu kommen?

    König: Ich glaube, die Chance für so ein Verfahren war selten so groß wie derzeit. Wir haben mit der Neujustierung der Politik der Bundesregierung in dieser zentralen Frage die Chance, nicht nur die Frage der Restlaufzeiten der Atomkraftwerke im Konsens zu regeln, sondern es besteht auch die Chance für ein Endlagerkonsens. Wir müssen sie meines Erachtens jetzt ergreifen, wir müssen jetzt die Eckpunkte festschreiben, wie wir zu einer Lösung kommen wollen. Dies ist übrigens auch die Forderung des EU-Kommissars Günter Oettinger, der ja von allen kernkraftbetreibenden Industrienationen erwartet in Europa, dass sie Konzepte aufstellen und darstellen, wie sie dieses Problem der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle – und hier geht es eben gerade um das Hauptrisikopotential, die hochrisikobeladenen Abfälle, wie diese sicher entsorgt werden sollen. Und hier muss man einfach feststellen, dass weltweit derzeit noch kein Land eine adäquate Antwort gefunden hat. Es ist ein ehrgeiziges Ziel, aber ich glaube nicht, dass man warten darf, dass auf der einen Seite die Kraftwerke dann abgeschaltet werden, aber das Problem der Endlagerung von radioaktiven Abfällen nicht mit der gleichen Geschwindigkeit parallel gelöst wird.

    Ehring: Herr König, Ihr Amt bemüht sich derzeit bei Asse II um Schadensbegrenzung und will Atommüll wieder herausholen. Wissen Sie schon, ob Sie das können?

    König: Es ist das Ziel, die Asse sicher zu schließen, und zwar nach den gültigen Maßstäben des Atomrechts. Wir haben verschiedene Varianten durchgespielt. Wir haben ja die Asse 2009 übertragen bekommen, weil der frühere Betreiber schwere Versäumnisse in der Sicherheit gezeigt hat. Wir wollen versuchen, diese Sicherheit herzustellen durch den Weg der Rückholung der Abfälle. Die anderen Möglichkeiten, die wir geprüft haben, stellen eben nicht sicher, dass in der verbleibenden Zeit wir wirklich diese Schutzziele, die das Atomgesetz vorschreibt, erreichen können. Die Rückholung ist also kein Selbstzweck, sondern sie ist die notwendige Antwort auf die Tatsache, dass andere in den 60/70er-Jahren Abfälle billig entsorgen wollten, das Ganze unter dem Titel "Forschungsbergwerk", und letztendlich nicht dafür gesorgt haben, vorher die Sicherheitsanforderungen nachzuweisen, die an so eine Anlage zu stellen sind. Also sind wir letztendlich in einer Situation, wo wir eine Notfallmaßnahme durchführen, die auch mit erheblichen Belastungen verbunden sein kann. Und deswegen müssen wir in einer ersten Phase, die wir uns vorgenommen haben, feststellen, wie ist der Zustand der Abfälle wirklich? Wir wollen Kammern öffnen unter Tage. Die Vorbereitungsarbeiten laufen gerade. Und wir wollen gucken, wie ist die technische Umsetzbarkeit, ohne den Beschäftigten eine Strahlungsdosis mit auf den Weg zu geben, die nicht vertretbar ist. Wir müssen gucken, dass wir letztendlich die Sicherheit für Mensch und Umwelt realisieren können. Und das ist ein einmaliges Verfahren und wir müssen hier sehr konzentriert mit allen Beteiligten vorangehen. Ja, die Rückholung ist das Ziel derzeit. Ob wir es wirklich umsetzen können, hängt von den Ergebnissen der nächsten Monate und Jahre ab hinsichtlich der Öffnung der Kammern und des Zustandes der Abfälle.

    Ehring: Was lässt sich aus der Asse für das Endlager für hochradioaktiven Müll lernen?

    König: Dass kein Endlagergestein per sé geeignet ist, die Sicherheit zu gewährleisten, dass nur durch ein genaues Analysieren der Leistungsfähigkeit, aber auch der Grenzen, die mit dem Gestein zusammenhängen, es möglich ist, eine längerfristige Sicherheit zu prognostizieren für derartige Standorte. Darüber hinaus ist für den Betreiber von Bedeutung, dass er die Sicherheit wirklich nachweist und sie nicht durch Glaubensbekenntnisse ersetzt, wie es in der Vergangenheit passiert ist, also vorher die Sicherheitsnachweise auf vorher festgelegten Kriterien nachzuweisen. Und dass er nicht nur gute fachliche Arbeit macht, sondern dass die Bevölkerung mitgenommen wird. Es ist von ganz entscheidender Bedeutung, dass der Bevölkerung die Möglichkeit gegeben wird, nachzuvollziehen, auf welchen Grundlagen man solche Sicherheitsversprechungen macht. Und dann würde ich mir natürlich auch wünschen, dass die Wissenschaft, die hier ein Forschungsbergwerk betrieben hat, sich der Verantwortung stellt und die Fehler, die gemacht worden sind, auch analysiert und daraus dann auch eine entsprechende Rückfolgerung für zukünftige Projekte dann dokumentiert. Das ist leider noch nicht passiert bei der Asse, aber ich denke, das ist ein absolutes Muss, um das Vertrauen auch in alle Beteiligten, die Behörden, Wissenschaft, Abfallanlieferer dann auch auf einen Stand zu bringen, der solche risikobelasteten Projekte erfolgreich zu Ende bringen lässt.

    Ehring: Herr König, herzlichen Dank für dieses Gespräch.