Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Ethische Diskriminierung verhindern

Körperbehinderte, die häufig abweichende Körpermerkmale aufweisen, bringen die Alarmleuchten von Körperscannern an Flughäfen unverschuldet zum Aufleuchten. Am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen werden diese und andere Probleme untersucht.

Von Thomas Wagner | 19.05.2011
    "Den Gürtel, wenn Sie den noch irgendwie ablegen. Das wär‘ mir ganz recht. Noch irgendetwas in der Hosentasche - Schlüssel, Geldbeutel. Und Sie haben auch keine Flüssigkeiten im Handgepäck drin?"

    "Der Kontrolleur hat extra hingewiesen: Hier sind die Körperscanner: Sind Sie sich bewusst, dass Sie hier durchleuchtet werden? Und dann geht das eigentlich recht flott. Dann steht man da rein, macht die Arme hoch und die Beine breit. Und dann macht es 'wuit, wuit‘ - und dann ist es auch schon vorbei. Man weiß es ja, dass sie es nur schemenhaft sehen. Deshalb hatte ich jetzt keine Angst, dass man mir hier auf die nackte Haut glotzen kann oder so."

    Verena Schwald aus Friedrichshafen wollte es einfach wissen: Auf ihrem Flug von Hamburg nach Friedrichshafen wurde sie von einem Körper-Scanner durchleuchtet - für die junge Frau ein ungewohntes, aber keineswegs überaus unangenehmes Gefühl. Schließlich zeigen moderne Körperscanner auch keinesfalls mehr eine Art 'Nacktbild‘ der kontrollierten Person. Die Darstellung wird sofort anonymisiert. Und nur bei bestimmten Abweichungen von der Norm schlägt das System Alarm - beispielsweise bei ungewöhnlichen Ausbuchtungen unter dem Pullover oder bei einer großen Falte in der Hose.

    "Das behebt die allgemeine Privatheits-Problematik, verschärft sie aber zugleich für Menschen mit verdeckten Behinderungen zum Beispiel oder für Menschen, die ganz allgemein etwas unter der Kleidung zu verbergen versuchen."

    Dr. Michael Nagenborg ist Philosoph und koordiniert am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften Tübingen das Forschungsprojekt 'Kreta‘. Diese Abkürzung steht für: "Körperscanner: Reflexion der Ethik auf Technik und Anwendungskontexte". Dabei geht es um die Frage: Mit was wird das 'Mehr‘ an Sicherheit, das automatisierte Körperscanner bieten, letztlich erkauft? In den Fokus der Tübinger Forscher sind dabei vor allem Körperbehinderte geraten - also genau jene Menschen, die durch abweichende Körpermerkmale ganz unverschuldet die Alarmleuchten der Körperscanner zum Aufleuchten bringen. Michael Nagenborg:

    "Bei Dingen, die unter der Kleidung getragen werden, können wir an medizinische Hilfsmittel denken, beispielsweise an Windeln für Erwachsene, Urinale, Stuma-Träger zum Beispiel. Es können alle Arten von Gerätschaften sein, die ich am Körper tragen muss und die ich nicht in der Öffentlichkeit zeigen möchte."

    Abweichungen von der Körper-Norm, die an der Sicherheitsschleuse sogleich eine Extra-Kontrolle der Betroffenen nach sich ziehen. Und genau das finden die Ethik-Experten aus Tübingen bedenklich.

    "Weil man da nicht mehr sofort sieht, was da ist. Sondern man sieht nur noch: Das ist etwas. Das heißt: Eine Nachkontrolle folgt. Und das bedeutet zwangsweise auch: Ein zwangsweises Outing findet statt. Also man muss in der Öffentlichkeit zugeben: Ja, ich bin ein Mensch mit verdeckter Behinderung. Mal denke zum Beispiel, dass jemand, der eine Windel trägt und das verbergen möchte, dann beispielsweise gegenüber seinen Arbeitskollegen, mit denen er gerade reist, auf dem Flughafen, also in der quasi-öffentlichen Situation, erklären muss: Da ist etwas mit medizinischen Geräten. Das ist eines der Geräte, die Körperscanner gerade jetzt erst recht verursachen."

    Mitmenschen mit solchen Behinderungen, die diese optisch verbergen können, werden somit durch den Einsatz automatisierter Körperscanner als Behinderte 'geoutet‘. Und davor fürchten sich die Behinderten selbst immer häufiger. In der ersten Stufe ihres Forschungsprojektes 'Kreta‘ nahmen sich die Tübinger Wissenschaftler ausgiebig Zeit, um mit Vertretern von Behindertenverbänden im Rahmen eines Workshops zu sprechen.

    "Und das Horrorszenario, dass diese Menschen hatten, war das: Ich bin nach außen normal. Ich sehe aus wie jeder andere. Ich bin mit meinem Kollegen auf Dienstreise. Und da vor mit und nach mir in der Sicherheitsschlange ein Kollege ist, wissen die nun alle, dass eine Windel, einen Urinbeutel oder eine Brustprothese trage, was ich über Jahre versucht habe zu verbergen, weil es einfach schambesetzt ist."

    Erklärt Projektleiterin Professor Regina Ammicht Quinn. Abgesehen von den Ängsten der Behinderten selbst, könnte die gängige Praxis der Körperscanner auch mit internationalem Recht kollidieren:

    "Die Bundesrepublik Deutschland hat im Jahre 2009 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet und sich in dieser UN-Konvention verpflichtet, gleichberechtigten Zugang zu Transportmitteln zu verschaffen."

    Schon alleine dieser gleichberechtigte Zugang wäre aber dann nicht mehr gewährleistet, wenn Behinderte aus Angst und Scham vor den Körperscannern auf Flugreisen generell verzichteten. Dies wäre juristisch und ethisch kaum vertretbar. Deshalb sinnen die Tübinger Experten auf Abhilfe. Da gebe es zum einen die so genannte 'soziale Lösung‘, erklärt Heidi Schäfer, als Soziologin ebenfalls im Projektteam mit dabei.

    "Als erstes, denke ich, dürfte es keine alternativlose Einführung der Körperscanner geben. Das heißt: Es müsste immer noch eine Wahl vorhanden sein. Es müsste immer noch eine Wahl vorhanden sein, eine Wahlmöglichkeit, dass ich immer noch die herkömmlichen Sicherheitskontrollmethoden benutze oder zum Beispiel eine genauere Abtastung oder irgendwie so etwas. Aber dürfte eben auch nicht stattfinden nur aufgrund dessen, dass ich eine Behinderung habe oder anormale und abweichende Körperstrukturen habe und deswegen gezwungen bin, eine andere Sicherheitskontrolltechnik in Anspruch zu nehmen."

    Die generelle Ablehnung von Körperscannern erscheint den Tübinger Experten gleichwohl nicht gute Lösung des Problems. Denn während sich eine Gruppe von Behinderten mit der Gefahr von Ausgrenzung konfrontiert sieht, könnten andere Behinderte von Körperscannern profitieren - zum Beispiel die Rollstuhlfahrer. Regina Ammnicht Quinn:

    "Das Problem ist, dass wenn Behinderte mit Rollstühlen überhaupt kontrolliert werden am Flughafen aus ihrem Rollstuhl rausgenommen werden müssen und in einen anderen Rollstuhl umgesetzt werden und dann wieder zurück und was unter Umständen unangenehm und schmerzhaft ist. Die Rollstuhlfahrer kamen bei uns an und sagten: Ja, wir haben jetzt eine Lösung, wo wir reinfahren können, und wo wir nicht aus unserem Rollstuhl ‘rausgehoben werden müssen. Sie sahen ein erstes Bild dieses Körperscanners und sagten: Aber da passt doch gar kein Rollstuhl rein!"

    Anlass genug für die Tübinger Forschergruppe, intensiven Kontakt zu jenen Ingenieuren zu suchen, die die Körperscanner entwickeln, aber über die sozialen Anforderungen und die ethischen Probleme nicht Bescheid wissen. Im Dialog mit den Entwicklern wollen die Ethik-Experten auch technische Lösungen vorantreiben, die Diskriminierungen ausschließen - beispielsweise über neue Verfahren, die Urinbeutel und Windeln zweifelsfrei als solche identifizieren und deshalb nicht mehr Alarm schlagen. Die Techniker müssen aber erst einmal wissen, dass derartige Unterscheidungen notwendig sind, um die entsprechenden Verfahren entwickeln zu können. Und genau diese Sensibilisierung ist die Aufgabe des Ethik-Forschungsprojektes 'Kreta‘. Die Vorschläge aus Tübingen fließen konkret in vier laufende Neuentwicklungen für Körperscanner ein - und dienen auch zur Optimierung bereits bestehender Systeme wie dem am Hamburger Flughafen. Projektleiterin Regina Ammicht Quinn:

    "Es ist ja so, dass die Software, die zum Beispiel in Hamburg angewendet wird, Regionen, die auffällig sind, markiert. Das mag relativ harmlos sein, wenn die Markierung am Bein ist, wo irgendeine Falte in der Hose ist, wo der Körperscanner nicht durch kann. Aber wenn die Region ganz eindeutig den Unterleib oder ganz eindeutig die Brust markiert, ist auch das ein Bild, von dem man nicht will, das jeder andere Passagier es sieht, was im Moment in Hamburg der Fall ist."