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EU-Verteidigungspolitik
"Großbritanniens Beitrag wird uns fehlen"

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, bedauert das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU. Das Land sei neben Deutschland und Frankreich eine der wichtigen Säulen bei der militärischen Zusammenarbeit in Europa. Das Fehlen werde sich bemerkbar machen, sagte er im Deutschlandfunk.

Rainer Arnold im Gespräch mit Thielko Grieß | 29.06.2016
    Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold.
    "Natürlich sind wir nicht glücklich, wenn die Briten die Europäische Union verlassen", sagte Rainer Arnold, SPD, im Deutschlandfunk. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Arnold äußerte sich vor dem Hintergrund der Debatte über eine neue Außen- und Sicherheitsstrategie der EU. Man sei über das Votum für den Brexit nicht glücklich, sagte er im Deutschlandfunk. Mit den Briten verliere die EU eines ihrer stärksten militärischen Mitglieder. Gerade mit Blick auf die "Durchhaltefähigkeit" werde der britische Beitrag fehlen. Allerdings arbeite man in der NATO ja weiter eng zusammen.
    Arnold begrüßte zugleich das Strategiepapier der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini als "wichtigen Schritt". Der SPD-Politiker forderte, Deutschland müsse bei der angestrebten vertieften militärischen Zusammenarbeit in Europa eine Schlüsselrolle übernehmen. Es solle ein "Transmissionsriemen" sein. Mit Blick auf eine "europäische Armee" sagte Arnold, diese liege in weiter Ferne. Man brauche aber solche Visionen, damit konkrete Schritte in die richtige Richtung führen.

    Das Interview mit Rainer Arnold in voller Länge:
    Thielko Grieß: Es ist eigentlich ein regulärer Termin. Immer im Juni gibt es einen Gipfel in Brüssel, einen Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Aber dieser Termin liegt nun nur wenige Tage nach dem Referendum in Großbritannien und nach der Brexit-Entscheidung einer Mehrheit der Wählerinnen und Wähler. Ein Gipfel, wenige Tage nach einem Einschnitt - die EU schrumpft. Wir nehmen das auf, was Federica Mogherini gestern vorgelegt hat: die Außen- und Sicherheitsstrategien. Darüber spreche ich jetzt mit Rainer Arnold, dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD. Herr Arnold, guten Morgen.
    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Grieß.
    "Die Briten sind von den militärischen Fähigkeiten her eine ganz, ganz wichtige Säule"
    Grieß: Wenn die Briten gehen, und das wollen sie ja, macht dann die gemeinsame Sicherheitspolitik der Europäischen Union einen Sprung nach vorne, weil ein Bremser ausscheidet?
    Arnold: Es ist schon so, dass die Briten die politischen Prozesse in Europa gebremst haben. Insofern gibt es da sicherlich neue Chancen, insbesondere die Streitkräfteplanung besser aufeinander abzustimmen. Wir brauchen in Europa keine Redundanzen und wir müssen darauf achten, dass wir keine Lücken haben. Dies wird sicher ein bisschen einfacher, weil die Briten diese Prozesse nicht wollten.
    Die andere Seite ist allerdings: Die Briten leisten bei den europäischen internationalen Einsätzen wichtige Beiträge. Am Horn von Afrika haben sie zum Beispiel auch das Hauptquartier und führen diesen Einsatz. Und wir müssen natürlich Mechanismen finden, dass die Zusammenarbeit trotzdem weiterhin gewährleistet ist.
    Grieß: Das war jetzt für und wider ganz abgewogen. Was überwiegt denn unter dem Strich?
    Arnold: Natürlich sind wir nicht glücklich, wenn die Briten die Europäische Union verlassen, weil sie von den militärischen Fähigkeiten her natürlich eine ganz, ganz wichtige Säule sind. Zusammen mit Frankreich und Deutschland haben wir schon die Hauptaufgaben der militärischen Fähigkeiten zu leisten, und da wird Großbritannien natürlich fehlen.
    Die andere Seite ist: Innerhalb der NATO bleiben wir ja eng verwoben und die NATO und die Europäische Union wird in Zukunft noch enger abgestimmt gemeinsame Sicherheitsverantwortung tragen.
    Grieß: Machen wir es ein bisschen konkreter, Herr Arnold. Was fehlt bei den europäischen militärischen Kapazitäten, wenn die Briten nicht mitmachen?
    Arnold: Die Briten sind im Bereich der Marine außerordentlich gut aufgestellt, haben auch viele Fähigkeiten in der Luft, haben eine hoch technologische Armee. Sie haben allerdings im Bereich der Durchhaltefähigkeit, weil sie auch den Personalumfang deutlich reduziert haben, ihre Lücken. Dies heißt dann im Klartext: Durchhaltefähig ist Großbritannien und wir Europäer nur, wenn wir uns gegenseitig unterstützen, wenn wir als große Staaten die Chancen bieten, dass die kleinen sich anlehnen bei diesem Konzept und die großen Staaten insbesondere ihre Finanzmittel besser bündeln und wir alle das Geld effizienter ausgeben, als es im Augenblick der Fall ist. - Es gibt aber einen großen Unterschied. Die Briten wollen national …
    "Erhebliche Chancen, besser mit den knappen Ressourcen umzugehen"
    Grieß: Darf ich kurz nachfragen?
    Arnold: Ja, natürlich.
    Grieß: Durchhaltefähigkeit bedeutet, dass bei einem längeren Einsatz den Europäern die Puste ausgeht.
    Arnold: Uns geht die Puste aus, auch uns Deutschen. Wir sehen ja im Augenblick, wie bestimmte Spezialfähigkeiten der deutschen Soldaten zu Belastungen der Menschen führen, die eigentlich kaum mehr zu verantworten sind. Deshalb brauchen wir hier eine Arbeitsteilung und wir müssen uns gegenseitig ablösen können, und da sind die Briten unglaublich wichtig dabei.
    Grieß: Und das bedeutet mehr Aufgaben für die Bundeswehr im Umkehrschluss?
    Arnold: Das wissen wir nicht. Aber wir leben in einer Welt, wo wir die Zukunft nicht kennen, aber die Risiken natürlich im Augenblick eher zunehmen, und deshalb müssen wir uns darauf vorbereiten und wir müssen in Europa natürlich die Fähigkeiten viel, viel enger zusammenführen. Hier gibt es noch erhebliche Chancen, besser mit den knappen Ressourcen umzugehen, und die Europäer haben ja insbesondere das ganze Paket der Fähigkeiten, eben nicht nur militärische, sondern Diplomatie, Prävention, wirtschaftliche Zusammenarbeit, alles Fähigkeiten, die die NATO so nicht hat. Deshalb bleibt die vertiefte europäische militärische Zusammenarbeit wichtig und das Papier, das Mogherini vorgelegt hat, ist ein wichtiger Schritt, der in die richtige Richtung führt.
    Grieß: Träumen Sie von einer europäischen Armee?
    Arnold: Sie sagen träumen, und da haben Sie recht.
    Europäische Armee: "Wir brauchen solche Visionen"
    Grieß: Ich meine das als einen schönen Traum.
    Arnold: Es ist vielleicht ein Traum und es ist eine Vision, die liegt weit weg im Nebel. Ich werde sie wahrscheinlich nicht erleben. Aber wir brauchen solche Visionen, damit die konkreten Schritte auf dieses Ziel einer europäischen Armee hinführen, damit man keine Fehler macht. Aber wir sollten im Augenblick nicht über dieses Fernziel reden. Da gibt es dann viele, die sofort den Rollladen herunterlassen, weil sie alle Bedenken der Welt vortragen. Da sind schwierige Fragen zu klären. Ich würde lieber über konkrete Schritte reden, die in den nächsten Jahren gegangen werden müssen.
    Grieß: In Ordnung! Dann machen wir das, Herr Arnold. Was wäre denn der nächste konkrete Schritt?
    Arnold: Es gibt vor allen Dingen im Bereich der teuren Fähigkeiten die Notwendigkeit, dass die nicht mehr jedes Land für sich beschafft. Das gilt zum Beispiel für die Drohnen in Europa. Das gilt auch für einen neuen schweren Hubschrauber. Nicht nur gemeinsam beschaffen und gemeinsam beschaffen heißt, die Fehler der Vergangenheit vermeiden, nicht gemeinsam und dann macht jedes Land eine eigene Version, sondern wirklich ein Typ für alle, gemeinsam ausbilden bei diesen teuren Fähigkeiten und zum Beispiel beim großen schweren Hubschrauber auch gemeinsam in Europa betreiben. Diese Effizienz würde die knappen Ressourcen schonen.
    "Die Großen müssen ihre Fähigkeiten poolen, gemeinsam nutzen"
    Grieß: Das klingt so, Herr Arnold, als hätte es in den vergangenen Jahren auch andere europäische Länder gegeben, die sich ein bisschen hinter der Verweigerungshaltung der Briten versteckt haben und die nun aber doch weiterhin auch bremsen könnten?
    Arnold: Nein. Die NATO hat ja ein Konzept entwickelt. Das nennt sich Framework Nation Concept. Das heißt, die Großen sind Anlehnpartner für die Kleinen, und das ist ein vernünftiger Weg. Ein kleines Land wie ein baltischer Staat wird sich keine Hubschrauber in dieser Dimension leisten können, aber es kann vielleicht Ärzte für Medevac-Hubschrauber zur Verfügung stellen, das entlastet uns. Hier gibt es eine ganze Menge konkreter Ideen, wie die Kleinen sich anlehnen.
    Was wir aber auch noch schaffen müssen, dass die Großen ihre Fähigkeiten poolen, gemeinsam nutzen, dass man Redundanzen vermeidet, indem man gemeinsam die Streitkräfte plant, nicht mehr nationale Reformen macht - das hat ja Deutschland in der Vergangenheit auch getan -, sondern die Streitkräfte so modernisiert, dass mit Blick auf Partner arbeitsteiliger vorgegangen wird. Dies steht jetzt an.
    Deutschland als "Transmissionsriemen für eine vertiefte europäische militärische Zusammenarbeit"
    Grieß: Und da soll Deutschland vorangehen und führen?
    Arnold: Ich bin schon der Meinung, das wird nur erfolgreich sein, wenn wir Deutschen auch ein Stück weit Motor für diese Entwicklung werden. Mir wäre es schon recht, wenn die Bundeskanzlerin statt immer mehr Geld, wie das Zwei-Prozent-Ziel der NATO, zu fordern, sich daran macht, Transmissionsriemen für eine vertiefte europäische militärische Zusammenarbeit zu werden. Die Bundeskanzlerin muss hier auch Ambitionen haben, diesen Prozess voranzutreiben.
    Grieß: Das bedeutet unterm Strich aber auch Aufrüstung in Deutschland.
    Arnold: Nein, das bedeutet nicht Aufrüstung. Die Bundeswehr braucht mehr Geld, nicht weil wir aufrüsten wollen. Wir brauchen mehr Geld, weil wir die Lücken und die Defizite beseitigen müssen. Wenn wir dies alles haben, dann haben wir die Fähigkeiten real verfügbar, die auf dem Papier im Augenblick stehen und da sein sollten. Es geht nicht um Aufrüstung, sondern um das Beseitigen von Mängeln.
    Grieß: Und ein Zweck am Rande wäre auch, unabhängiger von den Vereinigten Staaten zu werden, oder?
    Arnold: Es geht nicht darum, unabhängiger zu werden. Es geht um eine klare Arbeitsteilung, die nach wie vor bestehen wird. Sollte ein NATO-Bündnismitglied angegriffen werden, dann ist die NATO natürlich der Rahmen für die Reaktion, nicht die Europäische Union. Aber die Europäische Union muss an den Rändern Europas mehr Verantwortung übernehmen. Das erwartet auch Amerika von uns. Und insofern haben wir zwischen NATO und der EU durchaus eine außen- und sicherheitspolitische Arbeitsteilung.
    "Mit dieser riesigen Herausforderung des IS-Terrorismus kann kein Land alleine fertig werden"
    Grieß: Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, im Gespräch im Deutschlandfunk. - Herr Arnold, heute Morgen berichten wir außerdem über Istanbul. Wieder schwerer Terror dort jetzt am Flughafen mit mindestens 36 Toten. Die Türkei ist NATO-Verbündeter. Braucht die Türkei deutsche Unterstützung im Kampf gegen den Terror?
    Arnold: In dieser Stunde sind natürlich unsere Gedanken zunächst mal bei den vielen Opfern in Istanbul und Schnellschüsse mit Antworten verbieten sich. Aber eines wird doch immer deutlicher: Mit dieser riesengroßen Herausforderung des IS-Terrorismus kann kein Land alleine fertig werden. Wir müssen hier eng kooperieren und zusammenarbeiten. Dies muss allerdings Erdogan auch selbst so sehen.
    Zusammenarbeiten heißt auch, dass wir gemeinsame Werte sehen. Unsere Vorstellung von Demokratie und Kooperation muss anders werden, als es die letzten Wochen von der Türkei aus geschehen ist. Aber die Türken alleine werden mit dieser Herausforderung nicht fertig und wir auch nicht. Wir sind aufeinander angewiesen.
    Grieß: Von der SPD Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher, im Gespräch im Deutschlandfunk. Herr Arnold, Ihnen einen trotz allem guten Tag.
    Arnold: Ich bedanke mich. Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.