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Europas koloniale Amnesie

Die Tagung "Be.Bop 2013 - Black Europe Body Politics" im Ballhaus Naunynstraße in Berlin beschäftigt sich in Diskussionen, Filmen und Performances mit der Bewältigung einer verdrängten europäische Geschichte: Rassismus und Kolonialismus.

Von Eberhard Spreng | 22.05.2013
    "Black is the colour of darkness, black is the colour of dirt ..."

    In einer ihrer Arbeiten stellt die dänische Videokünstlerin Jeannette Ehlers ein weißes und ein schwarzes Gesicht nebeneinander, das schwarze verliert zu den Worten aus dem berühmten "Black Prayer" langsam seine weiße, das weiße seine schwarze Schminke. Jeannette Ehlers ist eine der Referentinnen des Forums von vor allem afro-europäischen Künstlern, die ihre Arbeit in der Reflexion über Kolonialismus und Rassismus verorten. Afropeans nennt sie die Kuratorin Alanna Lockward.

    "Wir sind hier darüber zu sprechen und zu verstehen, warum Kolonialismus und Rassismus zum europäischen Projekt gehören. Sie sind von Anfang an Teil des europäischen Projektes. Wir thematisieren diese Geschichte und sind als Menschen, als Aktivisten und Denkerinnen sehr zufrieden hier zusammen zu sein, weil wir in sehr isolierten Kontexten agieren."

    Nachdem Robbie Shilliam, Dozent am Londoner Queen Mary College eindringlich beschrieb, warum der heutige europäische Prozess eine Art kolonialer Amnesie, also die Verdrängung der kolonialen Geschichte und Gegenwart voraussetzt, analysierte die Schriftstellerin und Dozentin Grada Kilomba, wie sich Rassismus in Deutschland historisch gewandelt hat.

    "Man ist entweder Schwarz oder Deutscher und nicht Schwarz und Deutscher; das Und wird ersetzt durch das Oder und macht Schwarzsein mit Deutschsein unvereinbar. Genau diese Unvereinbarkeit von Rasse und Staatszugehörigkeit zeichnet die neue Form des Rassismus aus. Während der alte Rassismus auf biologische Rassenunterschiede abzielte und daraus die Begriffe Überlegenheit und Minderwertigkeit ableitete, sprechen neue Formen des Rassismus von kultureller Andersartigkeit und der Unvereinbarkeit mit der nationalen Kultur. "

    Immer wieder wurde in der auch Be.Bop 2013 genannten Tagung deutlich, wie tief Verletzungen gehen, die einzelne Referenten als Opfer von Rassismus in ihrer Biografie erlitten. Der in Kuba geborene Raúl Moarquech Ferrera-Balanquet versucht, sie als Antrieb für die Dekolonisation der eigene Person nutzbar zu machen. Er entwickelt ein Begriffssystem und Programm für die Abnabelung von westlichen Kulturregeln und stützt sich außer auf das Vorbild des in Martinique geborenen Vordenkers Frantz Fanon und der Black-Panther-Bewegung auf die Geschichte der afrokaribischen Selbstbefreiung aus der Sklaverei.

    "Simarronaje bezeichnet einen Befreiungsprozess, der in amerikanischen Ländern, in der afrikanischen Diaspora stattfand. Er bestand darin, dass der Sklave jedem erklärte, er werde jetzt fortlaufen. Das ist letztlich ein geistiger Prozess. Das brachte mich zu Frantz Fanon und der Idee, dass Dekolonisation ein kreativer Prozess ist. So begriff ich auch, dass meine intuitive Abkehr von der westlichen Erkenntnistheorie und dem westlichen Zeitbegriff mit diesem Simarronaje zu tun hat, und ermächtigte mich selbst, vor dieser Kultur wie ein Sklave davonzulaufen."

    Frantz Fanons berühmtes "Schwarze Haut, weiße Masken" rief 1952 zur mentalen Befreiung des Farbigen aus den Denkschemata der weißen Unterdrückung auf. Für den afro-europäischen Künstler bedeutet dieser intellektuelle Emanzipationsprozess nach Meinung des Soziologen Rolando Vázquez heute, sich aus dem Projekt der Moderne zu verabschieden. Es geht darum, sein Denken in außereuropäischen Kultur- und Begründungszusammenhängen zu beheimaten.

    "Die Kosmologie zu verlieren, heißt den Zugang zu unserem inneren Erleben zu verlieren. Das Projekt der Renaissance und Aufklärung bestand darin, das Individuum ins Zentrum der Welt zu rücken. Das ist aber eine Welt ohne Kosmologie. In diesem Projekt des Westens wird das innere Selbst heute belagert von Medien und Konsumangeboten. So werden wir von den Machtmechanismen der Moderne völlig abhängig. Diese Macht geht letztlich von der physischen Polizeigewalt zur Kontrolle des inneren Erlebens über."

    Be.Bop 2013 ist mit seinen Diskussionen, Filmen und Performances mit der Bewältigung einer verdrängten europäische Geschichte beschäftigt, mit der Rekonstruktion und Dekolonisierung verlorener geistig-seelischer Territorien. Manche der gezeigten Arbeiten erscheinen dabei mit dem westlichen Kulturbetrieb vereinbar, andere bewegen sich schon in Bereichen, die westliche Seherfahrung kaum erschließen kann. Das Einzige, was sich Alanna Lockward für die Zukunft wünscht, ist, dass die deutschen Behörden aufhören, diesen Kulturbegegnungen mit ihrer restriktiven Visapolitik das Leben schwer zu machen.