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"Evolution der Religion(en)?"

Im Augenblick scheint ausnahmslos alles der Darwinschen Evolution zu unterfallen: Natur, Technik, Kultur und nun auch noch die Religion. Haben sich die Religionen so ähnlich wie die Stammbäume der Lebewesen auseinander entwickelt?

Von Arno Orzessek | 19.12.2009
    Es war nur konsequent, dass die Akademie am Ende des Darwin-Jahres und zum Abschluss der Reihe "Evolution in Natur, Technik und Kultur" auch die Frage nach der Evolution der Religionen aufwarf.

    Wenig konsequent jedoch war, dass die treibenden Geister der Veranstaltung, nämlich Christoph Markschies, der Präsident der Humboldt-Universität, und der Religionssoziologe Hans Joas vom Erfurter Max-Weber-Kolleg, dem eigenen Ansinnen von Anfang an keine Chance einräumten.

    Bevor Markschies auch nur versuchte, die Entstehung des antiken Christentums mit den Begriffen der Evolutionstheorie zu traktieren, winkte er schon ab:

    "Ich bin skeptisch. Ich bin nicht skeptisch als Theologe – ich habe im vergangenen Jahr die Schriften des abgebrochenen Theologiestudenten Darwin mit großem Vergnügen gelesen –, sondern als Historiker. Es drohen Gefahren, und zwar so große Gefahren, dass man sich fragt, ob der Nutzen das Inkaufnehmen der Gefahren wirklich […] rechtfertigt."

    Markschies fürchtete, dass die Evolutionstheorie als Totaltheorie missbraucht werden könne, ähnlich, wie es einst im Sozialdarwinismus. Außerdem behauptete er, der Gebrauch evolutionsbiologischer Begriffe wie Selektion, Mutation, ‚survival of the fittest’ führe in der Geschichtswissenschaft zu heillosem Metaphern-Chaos.

    Natürlich hatte Markschies im strikten Sinne recht. Überträgt man Begriffe von einem Fach aufs andere, bleiben immer metaphorische Reste. Doch das ist nun wirklich bekannt.

    Der Historiker Wolfgang Reinhard tat das einzig Produktive: Er nahm seine Aufgabe spielerisch ernst. Reinhard zeigte, warum sich die lutherische und die reformierte Kirche und nicht etwa der Thomas Münzer-Kreis den veränderten Umweltbedingungen der Reformationszeit am besten angepasst haben – ‚survival of the fittest’ –, und er fixierte neue Mutationen der katholischen Kirche im Anschluss an die Großmutation beim zweiten vatikanischen Konzil.

    Wolfgang Reinhard: "Kaum war das geschehen, begann die erfolgreiche Anpassung an die Postmoderne, die dann von Johannes Paul II. auf einen Höhepunkt geführt wurde und von Benedikt XVI. trotz seines eher introvertierten Temperaments erfolgreich fortgesetzt wird. Das ist die neue Kirche des Reise- und Medienpapsttums, in der Religion durch Mega-Events Emotionen mobilisiert und die Religion als Innerlichkeit in den Hintergrund treten lässt. […] Möglicherweise hat hier der Katholizismus abermals einen Wettbewerbsvorteil demonstriert."

    Doch nur selten ging es um Aktuelles, Brenzliges, Politisches. Die sogenannte Achsenzeit, in der vor etwa 2500 Jahren wichtige geistige Grundlagen der Menschheit gelegt wurden, lag den Referenten näher als alles Heutige.

    Der ultimativ ge¬bildete Bibelleser Jan Assmann zeigte, wie sich aus dem Alleinverehrungsanspruch Jahwes im fünften Buch Mose der Monotheismus mit seinem Fortschrittlichkeitsanspruch entwickelt hat – der selbst noch die Akademie-Tagung im Jahr 2009 präge:

    Jan Assmann: "Also ist schon die Frage nach einer Evolution der Religionsgeschichte von einem jüdisch-christlich-islamischen, oder sagen wir kurz: monotheistischen Standpunkt aus gestellt. Schon die Frage ist Partei und die Optik, unter der die Religionsgeschichte hier in den Blick gefasst werden soll, ist ein westlich-monotheistisches Fabrikat. Das heißt nicht, dass die Frage falsch gestellt ist, sondern nur, dass wir […] die kulturelle Schieflage mitreflektieren müssen."

    Nun, die Schieflage des Tagungsprojekts wurde ausführlichst reflektiert – doch es fehlte am Widerpart. Man vermisste einen bockigen materialistischen Biologen, für den das komplette Weltgeschehen Evolution und sonst gar nichts ist; und jemanden, der sich mit kultureller Evolution – so vorsichtig von ihr zu sprechen ist – wirklich gut auskennt; und einen Neurobiologen, der Religion für eine besonders aparte Aktivität von Neuronen und Synapsen hält.

    So ging der lange Tag fröhlich, aber allzu harmlos zu Ende. Jan Assmanns große Liebe für das Pharaonenreich am Nil und dessen kosmologische Religion nötigte Hans Joas zu dem Hinweis,

    "… dass Jan Assman ein Ägyptologe ist und kein Ägypter", was nichts daran änderte, dass Assmann dem Monotheismus jegliche Fortschrittlichkeit absprach.

    Jan Assmann: "Wir haben es immer mit der Fortsetzung desselben unter anderen Mitteln und Bedingungen zu tun …"

    Diese Gleichmacherei und erst recht der Verdacht, dass die christliche Dreieinigkeit auch eine Art Polytheismus sei, entlockten Hans Joas ein leidenschaftliches Bekenntnis.

    Hans Joas: "”Ich halte die Trinitätslehre nicht für Polytheismus, überhaupt nicht, sondern für eine geniale Kombination von drei Elementen des Monotheismus – mit einer neuen Vermittlung zwischen Transzendenz und Immanenz …""

    Ob das Christentum deshalb überdauern wird, das wusste nicht einmal Christoph Markschies.

    Christoph Markschies: "”Das weiß allein der liebe Gott.""