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Extreme Pilze in der Tiefe

Geologie.- Die Hawaii-Emperor-Inselkette besteht aus zahlreichen Vulkanen, deren jüngste Vertreter die Inseln von Hawaii bilden. An einigen der älteren Vulkane - meist längst im Meer versunken - wurden vor zehn Jahren Bohrkerne gezogen. Erst jetzt fand man heraus: Auf Spalten in dem Basalt sollen vor Jahrmillionen Pilze gelebt haben.

Von Dagmar Röhrlich | 05.03.2012
    Wenn vor 20 Jahren in der Wissenschaft von der "last frontier", der letzten Grenze, die Rede war, ging es um den Weltraum, die Erforschung fremder Planeten. Inzwischen gilt dieser Begriff jedoch auch für die Erforschung einer höchst irdischen Lebenswelt, von deren Existenz damals niemand etwas ahnte: der tiefen Biosphäre. Etliche Kilometer in die Erdkruste hinein erstreckt sich in gewaltiger Lebensraum, in dem 30 bis 50 Prozent der Biomasse dieses Planeten stecken könnten. Magnus Ivarsson vom Schwedischen Museum für Naturkunde in Stockholm:

    "Seit zehn Jahren arbeiten wir mit Bohrkernen von der Hawaii-Emperor-Inselkette. Schon damals sind uns darin Mikrofossilien aufgefallen, fadenförmige Organismen, die wir für Bakterien hielten. Was sollte auch anderes dort unten leben? Schließlich steckten sie in Basaltgestein, das aus einer Tiefe von 150 bis 900 Metern unter dem Meeresboden stammt. Jetzt haben wir diese Mikrofossilien mit der Synchrotron-Tomografie und speziellen Färbetechniken näher analysiert und halten sie nicht mehr für Bakterien, sondern möglicherweise für Pilze."

    Das wäre eine Sensation, galten doch bislang die obersten fünf Kilometer der Erdkruste als alleiniges Reich der Bakterien und Archäen, also der einfachen Einzeller ohne Zellkern. Pilze jedoch zählen zu den Eukaryonten, den Lebewesen aus komplexen Zellen mit Zellkern. Weil es im Gestein kaum Nährstoffe und Energie gibt, erschien unwahrscheinlich, dass sie dort existieren könnten:

    "Wir glauben, dass marine Pilze nicht nur in der Wassersäule und am Meeresboden ein normaler und wichtiger Bestandteil der Meeresökosysteme sind. DNA-Studien deuten darauf hin, dass Pilze die häufigsten komplexen Einzeller im Meeresboden sein könnten. Und aufgrund unserer Untersuchungen denken wir jetzt, dass sie auch in untermeerischen Basalten verbreitet sind. Pilze wären dann Teil der tiefen Biosphäre, und damit wären diese Ökosysteme sehr viel komplexer als gedacht. Dort unten leben nicht nur Bakterien und Archäen."

    Anscheinend handelte es sich bei diesen Pilzen um mehrzellige marine Organismen, die im Stammbaum des Lebens in die gleiche Gruppe fallen wie Steinpilze oder Pfifferlinge:

    "Die fossilen Pilze konzentrieren sich auf mit Kalk gefüllten Spalten im Basalt. Diese Risse und Spalten nutzten sie zu Lebzeiten, um mit vulkanischen Flüssigkeiten durch das Gestein gespült zu werden und sich so zu verbreiten. Wir konnten diese Pilze auf ein Alter von rund 48 Millionen Jahre datieren. So alt ist der Basalt und auch der Kalk, den sie zu Lebzeiten abgeschieden haben. Sie lebten, solange an den Vulkanen die hydrothermale Aktivität hoch war."

    Als diese hydrothermale Aktivität erstarb, verschwanden auch die Pilze. Vielleicht, weil ihnen die Nahrung ausging. Pilze sind Resteverwerter, die ihre Energie aus dem Abbau organischer Substanz beziehen - und in hydrothermalen Wässern schwimmen organische Verbindungen, die vielleicht aus anorganischen Prozessen stammen oder von Bakterienkolonien:

    "Ich hoffe, dass dieses Gebiet nun erforscht wird, dass Techniken entwickelt werden, mit denen wir Proben von lebendigen Pilzen bekommen. Bislang wurde bei Analysen von Proben aus aktiven Systemen einfach nicht danach gesucht, sondern nur nach Bakterien und Archäen. Wir wissen aber, dass Pilze zumindest in der Umgebung von hydrothermalen Quellen am Meeresboden leben. Derzeit sind nun einige Ausfahrten geplant, um an Proben aus aktiven Systemen zu kommen. Ich glaube, wir werden künftig viel, viel mehr von der tiefen Biosphäre erfahren."

    Wie das Ökosystem beschaffen gewesen sein könnte, in dem diese fossilen Pilze gelebt haben, darüber könne er derzeit nur spekulieren, erklärt Magnus Ivarsson. Da es in ihrem Lebensraum kaum Sauerstoff gibt, waren sie vielleicht anaerob. Anaerobe Pilze produzieren Wasserstoff, der wiederum die Lebensgrundlage für Bakteriengemeinschaften gewesen sein könnte - von denen hätten sich die Pilze ernährt, und alles hätte von den hydrothermalen Wässern abgehangen - so die erste Theorie.