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Fahrt im Dunkeln

Die belgische Autobahnbeleuchtung ist einzigartig in Europa, wie ein Blick aus dem Weltall zeigt, wo sie dafür sorgt, dass ausgerechnet das kleine Belgien nachts hell erstrahlt. Doch jetzt kehrt Dunkelheit ein: Flandern knipst das Licht auf seinen Straßen aus.

Von Katrin Matthaei | 15.07.2011
    "Das war doch immer schon so, ich kann mich jedenfalls nicht an dunkle Straßen erinnern",

    sagt diese flämische Autofahrerin sichtlich stolz. Seit mehr als einem halben Jahrhundert leistet sich Belgien eine einzigartige Sicherheitsmaßnahme: Abend für Abend springen rund 300.000 Lampen an, um Autobahnen und Schnellwege zu beleuchten. Unter den zahlreichen EU-Mitarbeitern in Brüssel kursiert sogar der Witz: Die belgischen Autobahnen seien so hell, dass sich die Astronauten im All daran orientierten. Eingeführt hat das Königreich die Illumination in den 50er-Jahren - damals stieg die Zahl nächtlicher Unfälle sprunghaft an. Heute gilt die Einsicht: Das Lichtspektakel ist teuer - rund 25 Millionen Euro pro Jahr - und verbraucht so viel Strom, wie ein Atomreaktor in etwa acht Tage produziert.

    Viel zu viel, findet die flämische Verkehrsministerin Hilde Crevits. Verkehr ist Sache der Regionen, und so teilte die Ministerin dem flämischen Parlament unlängst mit: Künftig bleiben die Autobahnen in Flandern dunkel.

    "Wir machen das jetzt im Sommer, weil die Tage länger sind, das heißt die Dunkelheit setzt erst nach der Abend-Rushhour ein. So können sich die Menschen allmählich dran gewöhnen, dass das Licht aus bleibt."

    Begonnen hat das Umdenken vor vier Jahren: Flandern und Wallonie schalteten ihre Autobahnlampen zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens ab - mit überraschendem Ergebnis:

    "Wir haben keine negativen Auswirkungen festgestellt", "

    sagt Benoit Godard vom Belgischen Institut für Straßensicherheit.

    " "Es ist zwar noch zu früh für ein endgültiges Fazit. Aber wenn man die riskanten Stellen weiterhin beleuchtet, also Brücken oder Autobahnkreuze, dann dürfte die Dunkelheit die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigen."

    Bei schweren Unfällen oder Unwettern sorgt künftig auch eine dynamische Schaltung dafür, dass die Autobahnbeleuchtung wieder angeht. Verkehrsexperte Godard zieht nach 60 Jahren Autobahnillumination Bilanz: Entscheidend sei vor allem das Verantwortungsgefühl des Fahrers.

    "Dank der Beleuchtung sieht man weiter, die Strecke erscheint nicht so monoton, außerdem spiegelt es nicht so bei Regen. Es gibt aber auch Nachteile: Wenn Autofahrer weiter sehen können, fahren sie schneller. Außerdem fühlt man sich wacher, obwohl man es ja nicht ist. Insgesamt haben wir festgestellt, dass nicht die Dunkelheit zu den Unfällen führt, sondern Alkohol, Raserei und Fahren ohne Sicherheitsgurt."
    In den vergangenen zehn Jahren brachten vor allem Geschwindigkeitskontrollen und Anti-Alkohol-Kampagnen mehr Sicherheit auf den belgischen Straßen. Die Zahl der Unfälle hat sich fast halbiert, trotzdem bekommt Belgien das Problem nicht in den Griff - vor allem in der Wallonie. Die will das Licht auf ihren Autobahnen vorerst anlassen. Belgiens Autobahnen sind ab heute also im Süden hell und im Norden dunkel. Flanderns Verkehrsministerin Hilde Crevits sieht darin kein Problem:

    "Wenn ich über die Grenze nach Deutschland oder in die Niederlande fahre, muss ich mich doch auch auf eine andere Beleuchtung einstellen. Vorsorglich haben wir aber Übergangsregelungen da, wo Flandern an die Wallonie grenzt, damit die Autofahrer nicht irritiert sind."

    Bliebe noch die Sorge um drohende Orientierungsprobleme für die Astronauten im Weltall. Kein Problem, sagt dieser flämische Autofahrer grinsend:

    "Die Astronauten? Die sind doch in zwei Sekunden über Belgien hinweg. Nee, um die Astronauten mache ich mir keine Sorgen, lass sie mal fliegen, die fliegen gut."