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Filmstart "My Stuff" - Was brauchst du wirklich?
Weniger ist Zeit

Die Trennung seiner Freundin will Petri Luukkainen mit einer Shoppingtour überwinden. Ohne Erfolg. Seine Sinnkrise wird zur Sinnsuche: Er verbannt fast seinen gesamten Besitz für ein Jahr aus seinem Leben. Sein Film über diese Zeit regt ohne moralisierenden Zeigefinger zum Nachdenken an: Was ist uns wichtig?

Von Marco Müller | 04.03.2015
    Szene aus dem Film "My Stuff": Petri Luukkainen sitzt in seinem leeren Zimmer. Er hat nur wenig Kleidung an.
    Das Experiment hat begonnen: Petri Luukkainen sitzt in seinem leeren Zimmer. Seinen Besitz hat er für ein Jahr weggegeben. (Rise and Shine Cinema)
    "Ich heiße Petri, bin 26 Jahre alt und Single. Ich wohne in Helsinki und liebe Sachen. Seit einem halben Jahr führe ich ein Experiment durch, um herauszufinden, was mich glücklich macht."
    Die Regeln für den Selbstversuch: seinen Besitz einlagern, einen Gegenstand pro Tag zurückholen, nichts Neues kaufen. Das Ganze für ein Jahr. Klingt irgendwie verrückt? Petri Luukkainen wirkt am Filmbeginn tatsächlich so, als er mit einem Lendenschurz aus Altpapier durch den Schnee zum Storage rennt. Seine Freundin hat ihn sitzen lassen, doch wo andere vielleicht ein paar Erinnerungsstücke auf den Müll werfen, ist er radikal: Wie der erste Mensch schläft Petrie nackt auf dem Boden und fängt noch mal bei "Null" an. Die Doku "My Stuff" ist trotzdem alles andere als ein moralisierender Selbsterfahrungstrip – und befreiend war das Jahr für Petri schon gar nicht.
    "Das war nicht befreiend - das war hart!"
    Petri Luukkainen: "Ganz am Anfang war das eine Befreiung: Keiner kann dich anrufen, kein Facebook mehr. Nur, nach ein paar Tagen wurde es langweilig. Und als ich anfing, Sachen zurückzuholen, musste ich ständig alles in Frage stellen: Wo zum Teufel soll ich anfangen? Mit der Küche? Brauch ich ein Glas oder eine Pfanne? Wenn ich dieses T-Shirt hole, trage ich das auch vier Wochen? Nach einem halben Jahr war ich echt angepisst davon: Warum tat ich mir das an? Das war nicht befreiend – das war hart!"
    Sich das im Kino anzusehen, ist dagegen alles andere als hart oder gar langweilig. Die Idee, eine Doku zu machen, kam Petri erst kurz vor Start des Selbstexperiments, und während des Drehs hat wohl keiner daran gedacht, das der Film mal international im Kino laufen würde. Nach und nach holt er dabei seine ganze Verwandtschaft und seine Freunde in den Film. Petri tauscht am Küchentisch mit der Oma Lebensweisheiten aus, oder er diskutiert mit einem Kumpel darüber, was er als Nächstes aus dem Storage braucht:
    Freund Pete: "Ein Handtuch!"
    Petri: "Ein Handtuch? Nein - warum? Ich trockne an der Luft."
    Freund: "Ein Bettbezug – das ist es! Den kannst du als Schlafsack oder Rock benutzen. Du kannst dich damit abtrocknen und ihn dann trocknen lassen. Du kannst ihn zu einem Kissen aufrollen oder als Vorhang benutzen!"
    Authentische Doku nah am Leben
    Multifunktionalität ist bei der Auswahl der lebenswichtigsten Gegenstände das Gebot der Stunde – und beim Erfinden von preiswerten Ersatzlösungen wie einem Kühlschrank auf der Fensterbank des Apartments. "My Stuff" ist dabei eine Doku, die diese Bezeichnung wirklich noch verdient hat: authentisch, nah am Leben und seinen Hochs und Tiefs. Ob das witzig ist? Oder sogar typisch finnischer Humor? Vielleicht auch, aber nicht nur, und nicht absichtlich. Und außerdem sind Finnen eben auch manchmal für andere lustig, wenn sie das selber gar nicht so empfinden, findet Petrie: "Ich war neulich mit dem Film in Mitteleuropa und als ich aus dem Hotel kam, war da dieses leicht-kalte Etwas – und ich dachte: Ah, wunderbar – das ist wie Sommer! Nur: Da war dieser Brasilianer neben mir und sagte: Das ist ja wie Winter hier. Vielleicht ist so etwas lustig. Als ich den Film gedreht hab, hab ich nicht daran gedacht. Erst als ich ihn geschnitten hab, dachte ich: Vielleicht wird das ja witzig?"
    "Das Leben besteht nicht aus deinen Sachen"
    Statt dabei trendige Lebensweisheiten zu verkünden, zeigt der Film einfach, was passiert, wenn man gar nichts oder wenig hat: Der Einzelgänger Petri wird durch sein Experiment zum sozialen Wesen. Denn wenn er fernsehen oder kochen will, muss er das eben bei Freunden tun. Nur ungefähr 100 Dinge hält er am Ende für so wichtig, dass er sie zum Leben braucht. Ansonsten kostet Besitz für ihn nur seine Freiheit und Zeit für Kontakte und Erlebnisse. Und eine erhellende Erkenntnis bleibt für den Zuschauer am Ende schließlich doch zurück: Man muss schon ein wenig Zeit und Mühsal dafür investieren, um herauszufinden, was wichtig ist – wie Petri: "Offenbar hatte Oma Recht: Dein Leben besteht nicht aus deinen Sachen."