Sonntag, 12. Mai 2024

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Angebliche Rückschläge für IS
"Siegeszug ist noch lange nicht zu Ende"

Der Nahostexperte Michael Lüders hat zu Vorsicht gemahnt bei Berichten über den "Islamischen Staat". Es fehlten unabhängige Quellen über einen Wegfall der wichtigsten Einkommensquellen der Terrormiliz, sagte er im DLF. Auch der Bundesnachrichtendienst gelange nur schwer an Informationen aus der Region.

Michael Lüders im Gespräch mit Thielko Grieß | 09.04.2015
    Der Nahost-Experte Michael Lüders (links) im Gespräch mit Monika Dittrich am Deutschlandradio-Stand auf der Leipziger Buchmesse
    Der Nahost-Experte Michael Lüders (Bild: Deutschlandfunk)
    Tatsächlich habe der IS "einige Dämpfer erlitten", so Lüders im Deutschlandfunk. Doch sei die Gruppe "weit entfernt davon, besiegt zu werden". Der IS sei "nach wie vor gut aufgestellt", seine Kämpfer inzwischen in Damaskus angekommen.
    "Der Siegeszug ist noch lange nicht zu Ende", sagte der Islamwissenschaftler weiter. Der Cyber-Angriff auf die französische Fernsehsendergruppe TV5Monde sei ein Zeichen dafür, "dass der IS dabei ist, auch andere Bereiche zu erobern".
    IS hat womöglich keine Ölfelder mehr im Irak
    Der Rechercheverbund von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR hatte gestern berichtet, der "Islamische Staat" könne kaum noch auf eine ihrer wichtigsten Einkommensquellen zurückgreifen. Die Islamisten kontrollierten nach Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes "praktisch keinerlei Ölfelder mehr im Irak".
    Auf die Frage nach der Zuverlässigkeit der Quellen, antwortete Lüders, der BND habe auch davon gesprochen, dass der ehemalige irakische Diktator Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Computerfachleute, Hacker des "Islamischen Staats" greifen die französische Senderkette TV5 Monde an. Barbara Kostolnik war das mit Informationen aus Paris. Und wir wollen das zusammenbringen mit einer weiteren Meldung von heute aus zum Beispiel der "Süddeutschen Zeitung", der zufolge der "Islamische Staat" eine Geldquelle, die er bislang gehabt hat, weitgehend verloren habe, nämlich den Verkauf von Erdöl. Ich begrüße am Telefon den Nahost-Publizisten Michael Lüders. Herr Lüders, guten Tag!
    Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Grieß, hallo!
    "IS ist nach wie vor gut aufgestellt"
    Grieß: Konzentrieren wir uns erst einmal kurz nicht auf die Computerfachleute beim IS, sondern auf die Finanzfachleute, die bislang Erdöl verkaufen. Für wie glaubwürdig halten Sie diese Berichte, dass der IS aus Erdöl kein Geld und Gold mehr machen kann?
    Lüders: Ich wäre mit solchen Einschätzungen, offen gestanden, sehr vorsichtig, denn es gibt keine unabhängigen Quellen aus den Gebieten, die der "Islamische Staat" kontrolliert.
    Die Geheimdienste vermitteln das Bild einer Organisation, die mit dem Rücken zunehmend zur Wand steht. Und in der Tat hat der "Islamische Staat" auch an einigen Fronten Dämpfer erlitten, aber er ist weit davon entfernt, besiegt zu werden. Er kontrolliert nach wie vor Ölquellen in Syrien und auch in Teilen des Irak. Er ist nach wie vor gut aufgestellt. Zwar ist gerade die südirakische Staat Tikrit erobert worden, die Heimatstadt von Saddam Hussein, eine sunnitische Stadt, von der irakischen Armee, andererseits aber sind die Kämpfer des "Islamischen Staates" mittlerweile in Damaskus angekommen und haben den Vorort Yarmouk weitgehend erobert.
    Also ich würde sagen, der Siegeszug des "Islamischen Staates" ist noch lange nicht zu Ende, denn der "Islamische Staat" ist ja nicht allein eine Terrororganisation, sondern eben auch eine sunnitische Aufstandsbewegung gegen die schiitische Vorherrschaft im Irak und gegen die Vorherrschaft von Baschar al-Assad in Syrien.
    Grieß: Bleiben wir noch kurz beim Öl, Herr Lüders. Wie muss man sich das vorstellen? Wer kauft dieses Öl?
    Lüders: Ja, im Grunde genommen jeder, der bereit ist, über dunkle Quelle dieses Öl zu beziehen. Es muss natürlich noch raffiniert werden, es handelt sich überwiegend um Rohöl, das auf sehr primitive Art und Weise, teilweise mit alten Lkws, teilweise mit Eselskarren hinüber geschafft wird in Richtung Türkei, aber auch in Richtung der Einflussgebiete von Baschar al-Assad.
    Der "Islamische Staat" und das syrische Regime unterhalten miteinander durchaus gut funktionierende Geschäftsbeziehungen, ungeachtet der Tatsache, dass sie einander, jetzt jedenfalls, bekämpfen. Das meiste Erdöl ist in der Vergangenheit in Richtung Türkei verkauft worden und auch innerhalb des Irak.
    "IS ist eine Guerillabewegung"
    Grieß: Gut, und da spielt es dann keine Rolle so ganz richtig, wo es herkommt – Hauptsache, es brennt. Herr Lüders, zitiert werden ja in den Medienberichten, mit denen wir hier eingestiegen sind in unser Gespräch, Quellen des Bundesnachrichtendienstes. Jetzt haben wir schon von Erdölquellen gesprochen, jetzt sprechen wir von Informationsquellen. Welche Quellen – oder wie gut sind denn diese Quellen des BND im Nahen Osten?
    Lüders: Das kann ich im Einzelnen nicht beurteilen. Vergessen wir aber nicht, bei allem gebotenen Respekt vor der Expertise des Bundesnachrichtendienstes, dass er auch weiland vermeldete, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügte, was sich danach als ein großer Irrtum herausstellte.
    Es ist ganz schwierig, auch für die Nachrichtendienste, Informationen, die gesichert sind, zu bekommen aus dem Einflussbereich des "Islamischen Staates". Klar ist aber, dass die westlichen Staaten ein Interesse daran haben, ein Bild des "Islamischen Staates" zu zeichnen, der mit dem Rücken zur Wand stünde und im Grunde genommen es nur eine Frage der Zeit sei, ihn zu besiegen.
    Das ist aber nicht der Fall. Weite Teile der sunnitischen Bevölkerung im Irak stehen nach wie vor aufseiten des Islamischen Staates. Diese Organisation ist eine Guerillabewegung, die jederzeit sich verstecken kann unter der eigenen Bevölkerung. Und dieser Cyberangriff, den wir jetzt gesehen haben in Paris, ist ja auch ein Hinweis darauf, dass der "Islamische Staat" dabei ist, sich noch ganz andere Bereiche in der Kriegsführung zu sichern und zu erobern.
    Grieß: Welche übrigen Einnahmequellen stehen dem IS zur Verfügung. Sie nannten einzelne Staaten. Welche meinen Sie?
    Lüders: Der "Islamische Staat" wird unter anderem unterstützt von vielen Sympathisanten aus den arabischen Golfstaaten, nicht den Regimen, wohl aber von wohlhabenden Gläubigen und Stiftungen, die dem Islamischen Staat nahestehen, weil sie ihn für eine Organisation halten, die erstens gegen die Schiiten kämpft, die Todfeinde konservativer Sunniten oder vieler konservativer Sunniten, und zweitens, weil sie der erstaunlichen Annahme folgen, dass der Islamische Staat eine Art originären, autochthonen Islams vertrete, wie er weiland von dem Propheten Mohammed vertreten worden sei. Alles sehr irrational, aber doch sehr wirkungsmächtig. Und natürlich hat der Islamische Staat auch ein Staatswesen aufgebaut, innerhalb dessen die Bürger Steuern bezahlen.
    Grieß: Heute Morgen hat der iranische Präsident Hassan Rohani eine Fernsehansprache gehalten, Herr Lüders. Wir wollen gleich in einem zweiten Teil unseres Gesprächs miteinander auf die Rolle des Iran, auch die Innenpolitik des Iran schauen, der ja als wichtige Regionalmacht in all diesen Konflikten mit eine Rolle spielt. Und wir im Westen, wir hier in Deutschland, nehmen den Iran natürlich in letzter Zeit auch wieder verstärkt dadurch wahr, dass es ein Rahmenabkommen gegeben hat zwischen dem Iran, was das Atomprogramm betrifft. Auch dazu hat sich Rohani heute Morgen geäußert. Hören wir kurz, was er gesagt hat, in der Zusammenfassung von Reinhard Baumgarten .
    Informationen von Reinhard Baumgarten. Der iranische Präsident gibt sich unnachgiebig, Herr Lüders. An wen hat er sich gerichtet?
    Lüders: Zum einen an die eigene Bevölkerung. Die iranische Bevölkerung, die natürlich genau das erwartet von ihrer politischen Führung, dass die Sanktionen ein Ende haben. Und zum anderen war s natürlich auch eine klare Botschaft an die Adresse der westlichen Staaten, die die Verhandlungen hier geführt haben. Der Iran ist bereit zu Kompromissen, wird sich aber keiner vertraglichen Verpflichtung unterwerfen, die nicht ganz klar einen Fahrplan benennt zur Aufhebung der Sanktionen.
    Ob dieses gelingen kann bis zum 30. Juni, ist die große Frage. Wie einen Mechanismus schaffen für die Aufhebung von Sanktionen? Denn in den USA muss der Kongress mit Mehrheit für eine Aufhebung der Sanktionen stimmen, und das wird mit Sicherheit nicht geschehen.
    Grieß: Und dazu gibt es ja auch innenpolitischen Druck im Iran. Konservative Hardliner, die es vielleicht auch so sehen, lieber gar kein Abkommen zu schließen als ein, wie sie es dann nennen würden, schlechtes, oder?
    Lüders: Ja, aber diese Hardliner sind im Moment innenpolitisch in der Defensive. Der Erfolg der Verhandlungsführung von Rohani ist ja doch beachtlich. Die iranische Bevölkerung ist aufseiten der Reformer, wenn es darum geht, die Beziehungen zum Westen wieder auf normale Grundlage zu stellen. Die Hardliner repräsentieren nur einen Teil der iranischen Bevölkerung und im Moment haben sie kein Oberwasser.
    Auch der Revolutionsführer unterstützt ausdrücklich diese Verhandlungen in Lausanne. Nur, sie können allein dann funktionieren, wenn es eben keine Einbahnstraße ist. Auch der Iran muss das Gefühl haben, dass er als Sieger hier heraus geht.
    "Sanktionen sind ein zweischneidiges Schwert"
    Grieß: Können wir lernen, dass Sanktionen helfen?
    Lüders: Sanktionen sind ja im Grunde genommen ein Instrument westlicher Politik gegenüber Staaten, die eine nicht-westliche Politik verfolgen, gegenüber allen anderen Staaten werden sie nicht verhängt.
    Es ist eine Möglichkeit, Druck auszuüben. Aber wer Sanktionen verhängt, muss immer auch wissen, mit welchen Mechanismen man sie wieder aufheben kann. Wie schwierig das ist, zeigt sich jetzt am Beispiel Irans. Und wir sehen auch bei den Sanktionen, die gegenüber Russland verhängt worden sind, dass die Politik Moskaus sich nicht ändert. Es bedarf wahrscheinlich mehr des Dialoges als der Konfrontation.
    Grieß: Aber ganz kurz nachgefragt: Es sieht ja nun so aus, als habe es nun geholfen, den Reformern im Iran Oberwasser zu verschaffen.
    Lüders: Nein, ehrlich gesagt würde ich das so nicht sehen. Ich meine, diese Sanktionen sind natürlich ein zweischneidiges Schwert.
    Wenn man den Konfrontationskurs gegenüber Iran fortgesetzt hätte, dann wäre es über kurz oder lang zum Krieg gekommen gegen den Iran. Und diesen Krieg kann niemand, der bei Sinnen ist, ernsthaft wollen. Das hat die Regierung Obama auch ganz klar erkannt, deswegen ist sie einen anderen Weg gegangen. Aber man ist, wenn man Sanktionen verhängt, sehr schnell auch in der Spirale seiner eigenen Argumentation gefangen, und dann gibt es möglicherweise kein Entrinnen. Es ist ein letztes Mittel, das aber nicht als ein Mittel zum Zweck in jedem Fall dienen sollte.
    Grieß: Die Finanzverfassung des "Islamischen Staats" und der innenpolitische Kurs des Iran – all das haben wir besprochen mit Michael Lüders, Publizist und Nahost-Experte. Herr Lüders, danke schön für das Gespräch heute Mittag im Deutschlandfunk!
    Lüders: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.