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Fleißiger Faulpelz

Biochemie. – Mikroorganismen sind die eigentlichen Herren der Welt – egal, was der Mensch von sich denken mag. Im Verein trotzen sie in der Regel sogar den stärksten Reinigungsmitteln – ja manchmal funktionieren sie die chemische Keule sogar zu ihren Gunsten um. Diese Fähigkeit wiederum macht sich der Mensch in Bioreaktoren zunutze. Auf der Konferenz "European Bioperspectives", die gestern in Köln begonnen hat, werden solche Ansätze diskutiert.

Von Arndt Reuning | 31.05.2007
    Ein paar Details müssen noch geklärt werden, dann kann der neue Versuch starten. In einem Labor der Universität Dortmund, am Fachbereich Bio- und Chemieingenieurwesen, suchen Dr. Katja Otto und ihre Mitarbeiter nach neuen Wegen, komplexe chemische Verbindungen herzustellen. Das Besondere: Ein "Faulpelz" soll die ganze Arbeit übernehmen. Ein fleißiger Faulpelz. Er befindet sich in einem Zylinder aus Glas, bis obenhin gefüllt mit Keramikkügelchen. Drum herum strömt eine farblose Flüssigkeit, und Gasblasen steigen nach oben. Otto:

    "Sie sehen, dass das relativ große Kügelchen sind, die hier drin sind. Und zum Teil sieht man hier so Fetzen von Biomasse, die sich hier so anheften."

    Diese schleimigen "Fetzen von Biomasse" sollen die Synthesearbeit erledigen. Denn der weißliche Überzug auf den Kügelchen besteht aus unzähligen kleinen, lebenden Organismen. Es handelt sich um einen sogenannten Biofilm. Und die sind im Alltag gar nicht mal so selten zu finden. Otto:

    "Ja, im Haushalt finden Sie das zum Beispiel in alten Blumenvasen. Wenn Sie das Wasser nicht wechseln, dann haben Sie da meistens so eine Schleimschicht nach einigen Tagen, die etwas unangenehm riecht. Das ist ein klassischer Biofilm."

    Und auch noch ein besonders anhänglicher. Das ist sowieso eine Eigenschaft, welche die Biofilme auszeichnet: Sind sie erst einmal da, bekommt man sie kaum wieder weg. Zum Beispiel aus Wasserleitungen oder von der Oberfläche von medizinischen Implantaten. Denn die winzigen Organismen, häufig sind es Bakterien, bilden eine Art Wohngemeinschaft, anstatt als Single zu leben, wie sonst üblich. Otto:

    "Sie haben meist unterschiedlichste Organismen da drin, die auch voneinander profitieren, zum Teil sogar voneinander abhängig sind, die man dann zum Teil auch nicht mehr los bekommt über die klassischen Methoden."

    Eigentlich also nicht gern gesehene Erscheinungen. Allerdings: Die Anhänglichkeit und die Widerstandskraft gegen viele Chemikalien machen die Biofilme nun auch wieder attraktiv für Biotechnologen. Als natürliche Synthesemaschinen für Chemikalien, die ansonsten viel zu giftig wären. Die Wissenschaftler aus Dortmund arbeiten zum Beispiel mit einem ganz speziellen Bakterienstamm, erklärt der Doktorand Rainer Groß.

    "Das ist ein Pseudomonas. Das sind normalerweise Bodenbakterien, die man eigentlich auch überall in der Umwelt vom Boden her isolieren kann."

    In Form eines Oberflächenfilms können diese Bakterien sogar das gesundheitsschädliche Lösungsmittel Styrol verdauen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Winzlinge nehmen die Substanz auf, bauen ein Sauerstoffatom ein und geben das Produkt wieder ab, einen wertvollen Baustein für Synthesechemiker. Um diesen Vorgang zu optimieren, hat Rainer Groß den Film innen in einem Schlauch aus Silikon angesiedelt. Durch den Schlauch hindurch fließt Zuckerwasser, das ist das Futter für die Bakterien. Und von außen wandert das leicht flüchtige Styrol durch den Schlauch zu dem Bakterienfilm. Auf demselben Weg verlässt das Produkt auch wieder diesen Bioreaktor. Groß:

    "Das Ganze ist ein kontinuierliches System, das über längere Zeit am Laufen gehalten werden kann."

    Im Gegensatz zu den sonst üblichen Methoden, Bakterien für sich arbeiten zu lassen. Dazu benutzen die Biotechniker einen großen Topf, der Portion für Portion gefüllt und nach der Reaktion auch wieder geleert werden muss. Ein Durchflussreaktor mit Biofilm macht da viel weniger Arbeit. So, und wer jetzt selbst auf den Geschmack gekommen ist und einen eigenen kleinen Bioreaktor zu Hause bauen möchte, für den hat der Experte noch einen besonderen Tipp, wo man die besten Biofilme finden kann: in der Spülmaschine. Groß:

    "Dort, wo das Spülmittel reinkommt, oder Ihre Tabs, können Sie mal in diesen Gang reinschauen, dort sind meistens sehr viele resistente Biofilme anzutreffen. Habe sie selber schon gefunden."