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Flüchtlinge aus Nordkorea
Alles andere als willkommen

Die koreanische Halbinsel ist seit dem Koreakrieg vor über 60 Jahren gespalten. Schätzungen zufolge leben rund 25.000 nordkoreanische Flüchtlinge in Südkorea. Hinter sich haben sie einen häufig leidvollen Weg: Zwangsprostitution, Sklavenarbeit und Gewalt. Verständnis und Mitgefühl erleben die Flüchtlinge aber selten.

Von Michael Hänel | 15.07.2014
    "Seit 2009 lebe ich in Südkorea. Auf jeden Fall sind die Lebensbedingungen hier viel besser als in Nordkorea. Ich erzähle meine Fluchterfahrung immer wieder. Das ist kein Problem für mich. Gerade weil es so viele Leute hier gibt, die nicht viel über Nordkorea wissen."
    Busan, Südkorea 2014. Frau Whang ist jetzt 46. Die Eltern starben, als sie ein Kind war. Der Ehemann verhungerte. Sie floh 1997 über den Grenzfluss nach China. Eine Tochter musste sie zurücklassen. Nach über zehn Jahren Sklavenarbeit im chinesisch-nordkoreanischen Grenzgebiet kam sie schließlich nach Südkorea.
    Insgesamt gibt es etwa 25.000 nordkoreanische Flüchtlinge im Süden. Viele wollen nicht auffallen, haben Angst um ihre Verwandten, die noch im Reich der Familie Kim im Norden ausharren. Angst haben sie auch vor den Vorurteilen der Südkoreaner.
    Protestiert wird jeden Montag
    Frau Whang versteckt sich nicht, spricht mit Journalisten, protestiert Montag für Montag gegen die Unterdrückung in Nordkorea vor dem Bahnhof der Millionenstadt.
    Hier kennt man sich. Organisiert wird dieser Protest von ihrer Gemeinde, einer evangelischen Kirche im Zentrum von Busan. An diesem Tag sind sie vielleicht 300 Demonstranten. Meistens sind es viel weniger.
    Die koreanische Halbinsel ist gespalten seit dem Koreakrieg vor über 60 Jahren. Gespalten auch die Seelen. Tatsächlich findet man im Süden kaum Mitgefühl für die Situation der Menschen im Norden, sagt Norbert Eschborn, der Büroleiter der Konrad–Adenauer Stiftung in Seoul.
    Die jungen Menschen in Südkorea würden eben den Norden nicht kennen, können mit dem Leben von Frau Whang, mit dem Wunsch nach einer Wiedervereinigung, meist nicht viel anfangen.
    "Zumindest haben sie keine Möglichkeit, sich mit dem Land auseinanderzusetzen. Die Rechtslage ist so, dass ein persönlicher Austausch mit Nordkoreanern grundsätzlich untersagt ist. Südkoreaner haben keinen Postaustausch mit Nordkorea. Insofern fehlt bei den jungen Leuten die Voraussetzung der persönlichen Auseinandersetzung mit dem anderen koreanischen Staat. Es besteht so auch nicht die Chance, mal Mitgefühl zu entwickeln. Aber das liegt nicht so sehr an persönlich mangelndem Interesse, sondern die Rahmenbedingungen, sich mit Nordkorea zu beschäftigen, sind jedenfalls von staatlicher Seite aus nicht gegeben."
    Nordkoreas Diktator Kim Jong-un steht zwischen zahlreichen Uniformträgern im Mausoleum seines Vaters Kim Jong-il Pjöngjang.
    Nordkoreas Diktator Kim Jong-un hält das Land im Griff (picture alliance / dpa / YONHAP / KCNA)
    Lange Zeit war Nordkorea ein weißer Fleck
    Lange machte sich im Süden verdächtig, wer sich auch nur mit Nordkorea beschäftigte. So wurde der Norden schnell zum weißen Fleck. Erst mit den Hungerflüchtlingen kamen Mitte/Ende der 1990er Nachrichten über die erschreckende Menschenrechtslage nach Südkorea. Trotzdem beklagen viele Flüchtlinge und Menschenrechtsaktivisten immer noch: Man sei zwar in Korea von vielen Bergen umgeben, ein Echo auf den Ruf "Menschenrechte in Nordkorea!" aber wäre im Süden nicht zu vernehmen.
    Leider blieb sogar der aktuelle UN-Bericht, der Nordkorea Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachweist, in der südkoreanischen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Lediglich NGOs und einzelne Kirchen nehmen sich des Problems an.
    Pastor Peter Sohn aus Kalifornien ist heute Gastredner auf der Protestdemo in Busan. Seine Eltern flohen einst aus Nordkorea. Seit Jahren treibt er die amerikanische Öffentlichkeit immer wieder zum Protest gegen das Kim-Regime an.
    "Die Leute sind zu zaghaft, ihre Empfindungen und Mitgefühl mit den Brüdern und Schwestern in Nordkorea öffentlich auszudrücken. Das betrifft auch die Kirchen. Selbst die Pastoren fürchten sich, von der Kanzel zur Gemeinde über Nordkorea zu sprechen. Die müssen endlich lauter sprechen. Gerade wir sollen doch den Sprachlosen aus dem Norden eine Stimme geben."
    Die Proteste in der Leipziger Nikolaikirche 1989 als Vorbild
    Pastor Peter Sohn kannte die Proteste in der Leipziger Nikolaikirche 1989. Er machte den Organisatoren der Proteste in Busan Mut, ähnliche Aktionen wie in Leipzig zu starten: Kerzen gegen Unterdrückung.
    Pastor Young–Un Ahn von der Busaner Unchon Kirche hat er erreicht. Er ist der Kopf der Busaner Protestaktionen. Mit einem klaren Ziel: Montag für Montag.
    "Wir haben gesehen: Es gibt doch ein gutes Beispiel - die deutsche Wiedervereinigung. Die passierte ja auch nicht ohne Anstrengungen und Opfer. Und wir haben erfahren, dass es damals in Leipzig auch jeden Montag Gebete gab, und die eine wichtige Rolle zur friedlichen Revolution gespielt und letztendlich zur deutschen Wiedervereinigung beigetragen haben. So haben wir beschlossen, für eine friedliche Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea in Busan zu beten."
    Eine junge Frau aus Nordkorea telefoniert in einem Flüchtlingslager in Südkorea
    Eine junge Frau aus Nordkorea in einem Flüchtlingslager in Südkorea (AFP / Kim Jae-Hwan)
    Schwerer Stand der Flüchtlinge
    Laut UN sind etwa 200.000 nordkoreanische Flüchtlinge in China. Viele davon auf der Suche nach einem Weg nach Südkorea. Unterwegs sind sie rechtlos: Sklavenarbeit, Gewalt und Zwangsprostitution ausgesetzt. Aber auch Flüchtlinge wie Frau Whang, die es nach Südkorea schaffen, werden zunächst vom südkoreanischen Staat interniert und vom Geheimdienst befragt. Dadurch sollen nordkoreanische Spione enttarnt werden. Über Monate erlernen die Flüchtlinge so den alltäglichen Umgang mit Demokratie, Meinungs- und Religionsfreiheit. Trotzdem: Es ist schwer für nordkoreanische Flüchtlinge, sich im Süden zu integrieren.
    "Es ist sehr schwer hier für Nordkoreaner, einfach weil die keine Wurzeln hier haben. Im Süden ist man immer verknüpft mit irgendjemandem, woher man kommt, mit wem man zur Schule gegangen ist, oder zur Universität, das ist ein richtige Stammesgesellschaft hier. Zur Gruppe hat man eine große Loyalität. Wenn du dann ganz plötzlich von außen hier hereinkommst, hast du niemanden, eben keine Verbindungen, so ist es sehr schwer sich hier zu integrieren."
    Joanna Hosaniak arbeitet für die größte Menschenrechts-NGO "Bürgerallianz für Menschenrechte in Nordkorea" in Seoul. Die NGO sammelt Daten zur Menschenrechtslage in Nordkorea und hilft Flüchtlingen bei der Eingliederung. Besonders Flüchtlinge im Schulalter haben es schwer.
    "Die werden gerade dann in der Schule gemobbt, wenn wieder irgendwas im Norden passiert, Raketen oder ähnliches. Dann heißt es: He, Roter, du Kommunist, geht zurück in dein Land. So beobachten wir ganz oft, dass viele einfach nicht sagen, dass sie aus Nordkorea kommen. Sie bitten ihre Lehrer, dass das geheim bleibt. Sie sagen einfach, sie kommen von einer anderen Provinz, deswegen sie so einen fremden Akzent haben. Sie haben einfach Angst zu sagen, dass sie aus Nordkorea kommen, weil sie befürchten zum Außenseiter zu werden."
    Dabei könnten die Flüchtlinge wichtige Zeugen der Lage in Nordkorea sein. Die Abschottung des Landes und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Nordkorea sind nach wie vor Stützen des Systems im Norden, sagt Eun Kyoung Kwon von "Open Radio for North Korea", eines von Flüchtlingen gegründeten Freiheitssender, der von Südkorea aus nach Nordkorea sendet.
    Kaum Geld für Nordkorea-Projekte
    "Angesichts der speziellen Menschenrechtslage und der Informationskontrolle des Systems, ist es so wichtig, Informationen im Nordkorea in Umlauf zu bringen. Gerade das Radio ist das wirkungsvollste Instrument, um verlässliche Nachrichten ins Land zu bringen."
    Gesendet wird zur Zeit nur noch auf Mittelwelle und UKW. Die Initiative wird ausschließlich von der US-Regierung finanziert. Bürokratische Hindernisse in Washington gefährden aber seit Frühjahr 2014 den Betrieb des Senders. Große Teile Nordkoreas werden nicht mehr erreicht. Doch weder die südkoreanische Regierung noch die reichen koreanischen Global Player wie Samsung oder Hyundai sind bereit, für solche Nordkorea-Projekte Geld zu geben.
    Bleibt der einsame Protest der Wenigen in Busan.
    "Ich will auf jeden Fall meine Tochter wiedersehen und dass sie irgendwann hier in Südkorea sein kann. Und ich wünsche mir so sehr die Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea."
    Am Schluss singt Frau Whang mit den anderen Protestierern "Wiedervereinigung ist unser Wunsch". Das ist ein Volkslied, geschrieben 1947, das viele Koreaner im Norden und im Süden kennen. Vielleicht denkt Frau Whang dabei an ihre Tochter. Die ist jetzt schon über 20. Frau Whang hatte mit ihr vor kurzem heimlich telefoniert. Sie hat ihr erzählt von ihrer gefährlichen Flucht und von schwierigen Dasein der Flüchtlinge im Süden. Und dass sie sich wünscht, irgendwann wieder mit ihr zusammenzukommen: in einem vereinten und freien Korea.