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Flüchtlinge in Griechenland
Ungewissheit durch EU-Türkei-Abkommen

Mithilfe eines schnellen und rechtsstaatlichen Prüfverfahrens sollen Migranten, die über die Ägäis auf die griechischen Inseln kommen, in die Türkei zurückgeschickt werden - doch das Verfahren läuft mangels Asylexperten vor Ort schleppend. Viele Flüchtlinge warten deshalb in speziellen Lagern auf ihre Weiterreise. Das UN-Flüchtlingshilfswerk nennt diese Kasernierung - als auch die Rückführungen - inhuman.

Von Michael Lehmann | 26.03.2016
    Flüchtlinge gehen an der Mauer des Auffanglagers "Moria" auf der griechischen Insel Lesbos in der Hafenstadt Mitilini entlang.
    Flüchtlinge an der Mauer des Auffanglagers "Moria" auf der griechischen Insel Lesbos in der Hafenstadt Mitilini (Alexia Angelopoulou, dpa picture-alliance)
    Endlich kommen sie, sagt Stavros Mirogianis, der Leiter des Flüchtlingscamps Kara Tepe auf Lesbos. Fünf Tage hat er und haben viele auf der Insel gewartet auf die Nachricht, dass die ersten Asylexperten und Übersetzer aus anderen EU-Staaten in Griechenland eintreffen. Seit gestern sollen sie da sein, zumindest einige Holländer heißt es, genaueres ist vom Krisenstab in Athen offiziell noch nicht zu erfahren.
    "Es ist einfach notwendig, sagt Mirogianis, dass jemand hierher kommt und Lösungen findet für meine Besucher, so nennt der Manager des Camps die Flüchtlinge. Und die haben es deutlich besser getroffen als die Neuankömmlinge, die seit dem vergangenen Sonntag ins andere, ins jetzt traurig berühmt geworden Moria mit Polizeibussen gebracht werden."
    Proteste von NGO-Vertretern gegen Moria gab es und gibt es. Die Replik der Offiziellen ebenso. Nur kurze Zeit sollen die Flüchtlinge in diesem und ähnlichen Lagern auf anderen Inseln sein, bis im Asylschnellverfahren über sie entschieden ist. Das bedeutet: Mangels EU-Experten also im Moment auch noch keine neuen Rückführungen in die Türkei, aber: Das Bürgerschutzministerium meldet 673 Flüchtlinge, die seit Jahresbeginn aufgrund anderer Abkommen mit der Türkei bereits zurückgebracht wurden.
    Fast alle Hilfsorganisationen lehnen das Abkommen mit der Türkei ab
    Das UN-Flüchtlingshilfswerk nennt die sogenannten Rückführungen inhuman - auch die Kasernierung in speziellen Lagern sei inakzeptabel. Das UNHCR hat die Arbeit auf allen Inseln deshalb stark umorganisiert.
    Lucy Carrigan vom Flüchtlingskomitee sagt, richtig so, es sei gut, dass fast alle unabhängigen Hilfsorganisationen den Türkei-Deal ablehnen:
    "Die Vorstellung, dass die Leute von Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden, ist absolut unethisch – und es wird mit Sicherheit bedeuten, dass noch mehr verzweifelte Menschen noch verzweifeltere Wege nach Europa versuchen werden."
    Griechen sorgen sich um den Tourismus
    In der griechischen Bevölkerung sind nicht alle dieser Meinung: Umherirrende Flüchtlinge, die letztes Jahr auch in großen Gruppen zu Fuß auf manchen Inseln unterwegs waren - nicht gut fürs Geschäft, sagt Dimitri, einer der Tavernenwirte im Norden von Lesbos. Vor seinem Lokal haben Beamte mit Mundschutz letzten Sommer Flüchtlinge registriert. Kein schöner Anblick für meine Gäste, sagt Dimitri. Damit ist durch den Türkei-Deal jetzt Schluss, sagt Dimitri:
    "Jetzt läuft das viel besser. Keine Flüchtlingsleute sind mehr hier im Ort, sie werden direkt am Meer aufgefischt und mit dem Bus in die Camps gefahren. Und dann geht’s mit den Fähren nach Piräus oder anderswohin. Wir hoffen, dass das alle hören und verstehen und dann wieder mehr Urlauber auf unsere Insel kommen."
    Ganz in der Nähe, auf der Station der Hafenpolizei, ist man sicher, dass es für die Patrouillenbesatzung so schnell nicht besser wird. Zwei Frontexboote unter griechischer Flagge sind vertäut - gegenüber der Hilfsboote von Ärzte ohne Grenzen und Greenpeace.
    Es gibt griechisch-türkische Abstimmungsschwierigkeiten, wird gemunkelt. Was das bedeutet, kann an Land niemand wirklich sagen - draußen in der Meerenge zwischen Lesbos und der Türkei kreuzt hin und wieder auch das deutsche Versorgungsschiff Bonn auf. Und irgendwie scheinen sich hier Flüchtlingsdrama und Urlaubsidylle für einen Moment zu treffen. Das Motiv wird im Hafen von Molivos von einigen Kameras festgehalten.