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Flüchtlinge in Norditalien
Die Kirche widersetzt sich der Stimmung

Auf 50.000 schätzt das italienische Innenministerium die Zahl der Flüchtlinge, die in diesem Jahr bereits die Küsten des Landes erreicht haben. Etliche von ihnen sind in norditalienischen Küstenorten gestrandet. Viele Einwohner fürchten, dass die Flüchtlinge die beginnende Urlaubssaison gefährden könnten. Eine besondere Rolle fällt da der Kirche zu.

Von Kirstin Hausen | 02.06.2016
    Die italienische Polizei beendet eine Sitzblockade von Flüchtlingen am Grenzübergang zwischen der italienschen Stadt Ventimiglia und dem französischen Menton.
    Die italienische Polizei beendet eine Sitzblockade von Flüchtlingen am Grenzübergang zwischen der italienschen Stadt Ventimiglia und dem französischen Menton. (AFP / JEAN-CHRISTOPHE MAGNENET)
    Der Strand von Ventimiglia fällt seicht ins Meer ab, ideal für Familien mit Kleinkindern. Bademeister Danilo und sein Team haben den Sand geharkt und die Liegestühle in Reih und Glied aufgestellt. Die Badesaison ist eröffnet, auch wenn das Wetter nicht immer mitspielt. Ein paar Hundert Meter weiter westlich, dort, wo der Strand steinig ist und das Abwasser ins Meer geleitet wird, gibt es keine Liegestühle, sondern Zelte. Die acht Flüchtlinge, die hier kampieren, werden von einem Kamerateam gefilmt und interviewt. Woher sie kommen, fragt der italienische Journalist. Aus dem Sudan. Und wohin sie wollen? Nach Frankreich. Aber die Grenze sei geschlossen.
    Die jungen Sudanesen stammen alle aus demselben Dorf. Gemeinsam haben sie sich über das Mittelmeer aufgemacht, um Bekannte in Marseille zu erreichen. Doch seit zwei Wochen sitzen sie in Ventimiglia fest. Alle 48 Stunden wechseln sie ihren Übernachtungsplatz, aus Angst vor der Polizei. Der Bürgermeister von Ventimiglia hatte angeordnet, eine von Flüchtlingen errichtete Zeltstadt zu räumen und jene von ihnen, die dann wild campen, in Busse zu verladen, um sie in reguläre Auffangzentren zu bringen. Das Zentrum in Ventimiglia hat Italiens Innenminister Angelino Alfano im Mai schließen lassen. Seitdem vagabundieren viele Flüchtlinge in dem Grenzort umher, erklärt Vittoria Paone vom Roten Kreuz. "Seit dem 10. Mai, da hat man das Zentrum geschlossen, hat sich die Situation drastisch verschlechtert. Wir geben Essenspakete aus, jeden Tag mehr, durchschnittlich 300 sind es inzwischen."
    Der Pfarrer schwimmt gegen den Strom
    Die Bevölkerung von Ventimiglia reagiert mit Sorge und Unwillen. Vor allem diejenigen, die im Tourismus ihr Geld verdienen, fordern, dass die Flüchtlinge gehen sollen. "Wer will denn dort seinen Urlaub verbringen, wo Flüchtlinge im Freien duschen und auf der Straße essen?" - "Der Sommer kommt und es sind zu viele."
    Gegen den Strom schwimmt Don Francesco, der Pfarrer von Ventimiglia. Sein Haus steht den Flüchtlingen offen, bis zu 150 hat er in den vergangenen Tagen beherbergt. "Für mich sind es Brüder, die Hilfe brauchen. Sie brauchen Nächstenliebe und Aufnahme. Integration ist der Schlüssel und Integration gelingt nicht, wenn wir zwischen politischen Flüchtlingen und illegalen Einwanderern unterscheiden."
    Rückendeckung vom Bischof
    Klare Worte, die nicht so gut ankommen in der Gemeinde. Viele Einheimische fürchten, dass dann noch mehr Flüchtlinge sich eingeladen fühlen könnten, nach Ventimiglia zu kommen. Und genau das will die Stadt jetzt, zu Beginn der Badesaison, vermeiden. Don Francesco hat sich auch den Zorn einiger Politiker in Rom zugezogen. Die ehemalige Ministerin Maria Stella Gelmini von der rechtsgerichteten Partei "Forza Italia" hält die Solidarität des Pfarrers mit den Flüchtlingen gar für gesetzeswidrig. "Es gab schließlich eine Anordnung, die Zeltstadt zu räumen und die Flüchtlinge wegzuschaffen. Natürlich hat die Kirche eine andere Rolle als die Politik und ich will da keine Polemik draus machen, aber Gesetze müssen eingehalten werden."
    Don Francesco indes hat den Rückhalt seines Vorgesetzen, des Bischofs von Ventimiglia und San Remo, Antonio Suetta. Der hat im Kloster des benachbarten Bordighera bereits zwei Dutzend Flüchtlinge unterbringen lassen und schickt sich an, weitere Kirchenstätten zu öffnen, um Aufnahme zu gewähren.