Dienstag, 21. Mai 2024

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Karriereberaterin zu Arbeitsplatzwechseln
"Manche merken im Nachhinein, dass ihr Job nicht so schlecht war"

Arbeitnehmer neigten dazu, den aktuellen Arbeitsplatz negativer wahrzunehmen als er eigentlich sei, sagte die Karriereberaterin Madeleine Leitner im Dlf. Ein Jobwechsel sei zwar manchmal notwendig, doch oft gebe es doch noch mehr Entwicklungsmöglichkeiten als gedacht.

Madeleine Leitner im Gespräch mit Regina Brinkmann | 19.12.2019
Madeleine Leitner ist Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin.
Madeleine Leitner empfiehlt, bei Unzufriedenheit das offene Gespräch zu suchen (privat)
Regina Brinkmann: Laut einer Studie sind ja seit dem heutigen 19. Dezember mehr als die Hälfte aller Angestellten schon geistig in den Weihnachtsferien, noch nicht mitgezählt all jene, die sich sowieso gerade gedanklich vielleicht von ihrer Firma verabschieden. Denn am Ende des Jahres ziehen ja viele gerne mal Bilanz, schauen für sich, ob sie bei ihrem Arbeitgeber bleiben wollen oder ob vielleicht mal ein Jobwechsel angesagt ist. Doch wann ist so ein Wechsel ratsam, und was muss ich dabei beachten – reden wir drüber mit Madeleine Leitner. Sie ist Psychologin und Karriereberaterin in München. Hallo Frau Leitner!
Madeleine Leitner: Hallo!
Brinkmann: Frau Leitner, was versprechen sich die meisten von so einem Jobwechsel zum Beispiel im neuen Jahr?
Leitner: In der Regel wird man irgendeine Verbesserung erreichen wollen. Die kann natürlich sehr subjektiv sein. Bei manchen Leuten ist es vielleicht ein höheres Gehalt, bei anderen ist es vielleicht eine Aufgabe, die nicht mehr so Routine ist, ein Aufstieg, ein Branchenwechsel. Das ist ja sehr individuell, meistens aber auch bei den Betroffenen selber eher diffus. Wahrscheinlich hätten die Mühe, das wirklich konkret zu benennen.
Brinkmann: Also wäre das erst mal sinnvoll, das konkret zu benennen?
Leitner: Das ist immer ganz gut. Also ich sage mal, vor der Veränderung sollte man ja in der Regel auch wissen, was man eigentlich verändern will, was der Grund ist und nicht einfach sagen, jetzt mache ich mal was Neues, sondern vielleicht dann doch sagen, weil ich das und das und das…, und je konkreter man das sagen kann, desto eher wird man ja auch dann das passende Gegenstück finden.
"Erst mal Bilanz ziehen"
Brinkmann: Was muss ich noch tun, damit auch die Voraussetzungen oder auch die Erwartungen erfüllt werden mit so einem Jobwechsel?
Leitner: An mich selbst oder an den Arbeitgeber?
Brinkmann: An mich selbst.
Leitner: An mich selbst wäre schon mal ganz gut, wenn ich erst mal Bilanz ziehe und wirklich auch mal so schaue, was hat mir an meinem bisherigen Job eigentlich ganz gut gefallen, was fehlt mir, sind es grundlegende Dinge, sind es Kleinigkeiten, ist es vielleicht auch eher so das Gefühl, dass ich mal was Neues sehen muss, lass ich mich anstecken, weil andere auch gesagt haben, sie wollen was neu machen. Also da noch mal genauer hingucken und sich selber auch erforschen, oder renne ich auch vielleicht vor einem Problem weg, was vielleicht besser wäre, das zu lösen.
Es ist immer ganz gut, wenn man erst mal für sich selber Bilanz zieht, bevor man dann Aktionen startet. Bei vielen, glaube ich, ist das eher auch zu spontan-aktionistisch, gerade jetzt neues Jahr oder ich bin kurz vor 40 oder 45 und muss jetzt was verändern, sonst wird es nichts mehr. Also wirklich möglichst konkret Bilanz ziehen, schauen, was passt, was passt nicht, und auch konkretisieren, was möchte ich beibehalten – nicht alles, was ich habe, ist ja selbstverständlich –, und was sollte ich vielleicht Neues dazu haben wollen, und woran erkenne ich, dass das wirklich stimmt.
Brinkmann: Und vielleicht auch mal ausloten, ob es vielleicht im alten Job noch Veränderungsmöglichkeiten gibt?
Leitner: Das ist ja eh, sagen wir mal, meine Erfahrung auch, dass Menschen, die Unzufriedenheit mit Jobs oft total überschätzen, weil sie jeden Tag mit diesen kritischen Punkten konfrontiert sind, während die Punkte, die gut laufen, werden oft gar nicht mehr wahrgenommen. Also ich habe es öfter erlebt, dass Leute dann im Nachhinein merken, der Job war gar nicht so schlecht, dass viele auch, wenn sie konkretisieren können, was sie verändern möchten, innerhalb des bisherigen Jobs oder der bisherigen Firma auch Optionen finden, wo sie das ausleben können und gar nicht rausmüssen, gerade wenn Firmen gut sind, und manche sind bei mir auch gegangen und haben gesagt, ich wusste gar nicht, wie gut mein Job ist.
Manchmal gibt es mehr Optionen als Angestellte denken
Brinkmann: Wie hole ich denn den Chef für solche Dinge mal ins Boot oder die Chefin? Sollte ich vielleicht auch mal vorab das eine oder andere Signal senden, vielleicht mal nach einem Zwischenzeugnis fragen?
Leitner: Zwischenzeugnis ist schon immer verdächtig. Also sagen wir mal, wer ein Zwischenzeugnis haben will, läuft immer Gefahr, dass man sagt, aha, Sie wollen sich verändern.
Brinkmann: Ja, das könnte aber auch eine Chance für den Chef sein, noch mal speziell zu reagieren und zu sagen, oh, da ist was im Argen, da können wir vielleicht noch was verändern, oder?
Leitner: Natürlich. Also sagen wir mal, am besten ist es, jemand rechnet auch damit. Ich hatte gestern einen Klienten, der hat gesagt, ich habe so ein schlechtes Gewissen, ich soll in zwei Monaten mit dem Chef sprechen über den Jahresplan, und ich will aber am liebsten gehen. Das sind immer schwierige Situationen, aber wenn man vielleicht schon mal so sagt, ich habe mir mal ein paar Gedanken gemacht, die würde ich gerne mit Ihnen austauschen, vielleicht finden wir ja eine Lösung. Das kann man ja diplomatisch einfädeln. Schwierig ist natürlich, wenn man mit Erwartungen kommt, die nicht zu erfüllen sind, oder wenn man, sagen wir mal, geht und vielleicht hätte es Optionen gegeben, über die man nicht gesprochen hat.
Manche Firmen machen ja auch Mitarbeitergespräche oder Entwicklungsgespräche, da schon mal so vielleicht möglichst konkret Vorschläge zu machen, also was man gerne machen würde. Ich habe sogar einen Klienten gehabt, der war ganz überzeugt, er musste aus der Firma gehen, weil seine Talente außerhalb des Geschäftsfelds der Firma gelegen haben. Der war sicher, er muss gehen, obwohl es eine tolle Firma war. Dieser Chef hat für ihn eine eigene Stelle geschaffen und sogar die Firma jetzt noch ein bisschen neu ausgerichtet, dass die auch neue Themen mit abbildet, die die vorher gar nicht gehabt haben. Damit hätte der Klient selbst überhaupt nicht gerechnet.
"Eine wohlmeinende Chefin müsste das eigentlich akzeptieren"
Brinkmann: Okay, jetzt habe ich aber, wie wir anfangs besprochen haben, alles ausgelotet, sehr konkretisiert, was ich will, und ich stelle für mich fest, nein, also ich muss jetzt wirklich meinen Job wechseln.
Leitner: Das gibt es ja.
Brinkmann: Wie leite ich den denn dann ein, diesen Jobwechsel, ohne – man sieht sich im Leben ja manchmal zweimal – verbrannte Erde zu hinterlassen?
Leitner: Natürlich. Ja, auf jeden Fall wichtig ist, dass man auch sagt, das war ein toller Job, und Sie bedauern sehr und Sie haben viel gelernt und dass es nichts mit der Firma zu tun hat oder persönlich, dass man aber weiterziehen muss, weil hier leider die Entwicklungsmöglichkeiten nicht gibt, also dass man offen und transparent spricht. Ich sage mal, eine wohlmeinende Person, wohlmeinender Chef oder Chefin müsste das eigentlich akzeptieren.
Manchmal kann man nicht vermeiden, dass Firmen trotzdem, oder auch Chefs, wie beleidigte Leberwürste reagieren. Das habe ich gerade bei einer anderen Klientin erlebt. Die ist gegangen, niemand hätte es ihr zugetraut, die ist auch in einem Alter, wo niemand gedacht hätte, dass die noch mal einen noch tolleren Job findet, und die waren total beleidigt, weil dann natürlich in der Firma große Probleme aufgetreten sind. Wenn jemand gehen kann, dann sind die anderen die Blamierten. Also es hängt ein bisschen von der Konstellation ab, ob auch der gute Wille, im Guten zu gehen, auch auf fruchtbaren Boden fällt.
"Man muss ja nicht nachtreten"
Brinkmann: Na ja, gut, jetzt haben Sie gesagt, zum Schluss soll ich noch mal loben, dass hier alles ganz toll war, wenn es aber andersrum war, wenn ich eben gehe, weil ich sehr viel Frust habe oder hatte, soll ich den dann noch ansprechen?
Leitner: Man muss ja nicht nachtreten. Die Frage ist immer, man kann ja anbieten, dass man sagt, ich habe mir ein paar Gedanken gemacht, was man vielleicht noch besser machen könnte, damit sie auch gute Leute in Zukunft halten können. Das muss aber auf fruchtbaren Boden fallen. Also da muss jemand schon, sagen wir mal, souverän sein, um sich das anhören zu wollen, und man kann natürlich auch, sagen wir mal, unnötig Verletzungen aussprechen, oder der Bruch kann endgültig sein. Muss man einfach wissen, ob man das Risiko eingehen will oder nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.