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Folgen der Globalisierung

Barack Obama gilt als Hoffnungsträger auch für Umweltschützer: Obamas Amerika, so hoffen sie, könnte sich wieder an die Spitze des internationalen Klimaschutzes setzen. Gerade rechtzeitig erscheint nun auf deutsch das neue Buch des New-York-Times-Kolumnisten Thomas L. Friedman. In seinem Buch "Was zu tun ist" stellt er dar, wie sich die Welt retten lässt: vor Energieknappheit, Artenschwund, Ressourcenvernichtung. Voraussetzung: Die USA übernehmen endlich wieder eine Führungsrolle.

Von Michael Bauchmüller | 12.01.2009
    Der Himmel über Schanghai war trüb, als Shi Zhengrong seine Vision auspackte, die Luft war schlecht wie so oft: von Millionen Autos, von Schwerindustrie, von Kraftwerken. Und der Milliardär Shi saß in seinem Büro und erzählte von seinem Erfolg: mit Solarzellen.

    Wir beide mussten unwillkürlich lachen, denn wir saßen hoch oben in einem Wolkenkratzer und konnten kaum durch den Dunst hindurch sehen - während wir uns über Sonnenenergie unterhielten.

    Sonnenenergie? Aus China? Shi Zhengrong ist inzwischen einer der reichsten Männer des Landes, und er will die Solarzelle per Massenproduktion so günstig machen wie es den Chinesen mit dem Turnschuh, mit Spielzeug, mit Elektronik gelang. Ein ideales Beispiel für Thomas L. Friedman. Während die Welt ökologisch aus den Fugen gerät, werden Menschen reich, weil sie Lösungen für ökologische Probleme entwickeln.

    "Was zu tun ist", heißt Friedmans neues Buch. Unternehmer wie Shi tun bereits was. Schon 2006 hatte Friedman für Aufsehen gesorgt. In seinem Buch "Die Welt ist flach" hatte er gezeigt, wie Globalisierung und Internet die Welt zunehmend einebnen. Wo Technologien überall und für immer mehr Menschen verfügbar sind, wachsen Chancen, am globalen Wohlstand teilzuhaben. Ein unbändiger Wettbewerb entbrennt. In seinem Folgewerk arbeitet Friedman nun auf, was das für die Erde bedeutet. Die Welt ist nicht mehr nur flach, sie ist auch bedroht von Klimawandel und wachsender Bevölkerung.

    Die Welt hat ein Problem, das man in drei Worten zusammenfassen kann: heiß, flach und übervölkert. Das Zusammenwirken dieser drei Faktoren belastet die Energieversorgung, beschleunigt das Aussterben von Pflanzen und Tieren, vergrößert die Energiearmut, stärkt die Petrodiktaturen und verschärft den Klimawandel.

    Friedman nimmt seine Leser mit zu den Krisenherden der Welt. Er reist mit ihnen in Städte wie Doha am persischen Golf, ins chinesische Dalian, nach Moskau und Neu-Delhi: lauter Orte, an denen in den letzten zwei Jahrzehnten der "Konsumvulkan", wie er das nennt, ausgebrochen ist, in denen wachsender Wohlstand immer mehr Ressourcen verschlingt. Friedman nimmt seine Leser mit in den US-Bundesstaat Montana, wo Farmer erleben, was Klimawandel bedeutet - sie haben nicht mehr genug Wasser für ihre Felder, weil der Schnee auf den Bergen Montanas rascher schmilzt als früher. Und er reist mit ihnen nach Brasilien, in das Feuchtgebiet Pantanal, Heimat unzähliger seltener Tiere. Nur leider ist das Pantanal von Feinden umzingelt. Da sind Sojabauern, die mit noch mehr Düngemitteln und Pestiziden die Weltmärkte mit noch mehr Soja befriedigen wollen. Da werden Flüsse vertieft und begradigt, um mehr Soja verschiffen zu können. Und da wird eine Pipeline gebaut, um den wachsenden Energiehunger Brasiliens zu befriedigen. Alles auf Kosten der Natur im Pantanal.

    Da die aktuelle weltwirtschaftliche Entwicklung wie eine Flut immer mehr Arten auszulöschen droht, sind wir möglicherweise die erste Generation in der Geschichte der Menschheit, die buchstäblich wie Noah handeln und die letzten Paare zahlreicher Arten retten muss. Doch anders als Noah sind wir - unsere Generation und unsere Zivilisation - selbst für die Flut verantwortlich, und wir haben die Pflicht, die Arche zu bauen.

    Die Arche, sie ist für Friedman Teil einer Art Weltrevolution für die Umwelt. Wo immer mehr Menschen Ressourcen beanspruchen, gleichzeitig aber zu Leidtragenden dieses Anspruches werden, wird der Pfad der Entwicklung zur Sackgasse. Wollen die Menschen ihren Wohlstand erhalten, dann müssen sie anders wirtschaften, mit mehr Rücksicht auf die Belange ihrer Umwelt.

    Insbesondere müssen sie anders mit Energie umgehen. Weil die Verbrennung fossiler Rohstoffe in Kraftwerken und im Verkehr einen Großteil des Klimawandels verantworte, fordert Friedman neue Formen der Energieerzeugung und des Verbrauchs. Mehr Strom aus Wind und Sonne, intelligente Stromnetze, die den Verbrauch von Geräten steuern können, Elektroautos, die mit ihren Batterien zum mobilen Speicher überflüssigen Stroms werden könnten - technisch ist das möglich. Es wären einige Bausteine von vielen. Doch allen ist eines gemein: Keiner setzt sie um. Friedman, überzeugter Liberaler, sieht den Grund in fehlenden Anreizen. Die Lobbyarbeit vieler Industriezweige verhindere in den USA seit Jahrzehnten jeden Fortschritt hin zu einem effizienteren System. Statt einer grünen Revolution gebe es derzeit bestenfalls eine "grüne Party".

    Wir haben zu viele Live-Earth-Konzerte und zu viele Kaufhauskataloge über "Grüne Weihnachtsferien", aber zu wenig zielstrebige Lobbyarbeit für die Durchsetzung grüner Gesetze. Vom Symbolischen zum Substantiellen überzugehen ist nicht einfach.

    Doch wer hat die Kraft, wer hat den Mut zum grünen Umbruch? Nach Friedmans Auffassung können das allenfalls die USA stemmen. Kein einziges Mal fällt in dem Buch der Name Obama, und doch liest es sich wie der Masterplan für die neue Administration, eine Ermunterung zum späten Aufbruch in eine andere Zukunft. Amerika habe die schöpferische Kraft, einen ausreichend großen Markt, aber auch die moralische Verpflichtung zu einer grünen Revolution. Gleichzeitig drohe das Land den Anschluss zu verlieren auf den wichtigen Märkten rund um saubere Energie - und sei es an Solar-Milliardäre wie den Chinesen Shi. Was den USA bisher fehle, sei eine Führung mit Weitblick, klagt Friedman.

    Amerika zum grünsten Land der Welt zu machen ist kein Akt selbstloser Mildtätigkeit oder naiven Moralisierens. Es handelt sich vielmehr um eine Kernfrage nationaler Sicherheit und wirtschaftlicher Interessen.

    Friedman hat ein eindringliches, ein wichtiges Buch geschrieben. Wie in seinem Vorgängerwerk "Die Welt ist flach" gelingt es ihm, globale Probleme anhand vieler kleiner Beispiele zu illustrieren, wenn auch manchmal etwas ausufernd. Friedman hört sich ganz offensichtlich gerne reden. Aber vielleicht gerade deshalb findet er den erzählerischen Duktus, der das Buch so kurzweilig macht. Und es gelingt ihm, Probleme zu schildern, deren Lösung die Welt völlig zu überfordern scheinen - ohne dabei aber selbst in Hoffnungslosigkeit zu enden. Friedman besitzt einen unerschütterlichen Glauben an die Kräfte menschlicher Kreativität und freier Märkte. Wenn Staaten erst die richtigen Rahmen setzen, wenn sie zum Wettbewerb der Ideen anspornen und sich selbst einer grünen Revolution verschreiben, dann gibt es eine Chance - für gute Geschäfte und eine bessere Welt.

    Wie wir einst mit den Sowjets einen Wettlauf in den Weltraum veranstalteten, einen Wettlauf um die Landung des ersten Menschen auf dem Mond, so brauchen wir, die Europäische Union und die Chinesen heute einen ähnlichen Wettlauf um die Rettung der Erde. Im Kalten Krieg gab es einen Sieger und einen Verlierer. Im Wettlauf um die Erde werden wir alle siegen oder alle verlieren.

    Michael Bauchmüller über Thomas L. Friedman: Was zu tun ist – Eine Agenda für das 21. Jahrhundert. Das Buch ist im Suhrkamp Verlag erschienen, umfasst 539 und kostet 24 Euro und 80 Cent.