Donnerstag, 09. Mai 2024

Archiv

Forschungsskandal an der Uni Freiburg
"Einfach weggelassen"

Diese Woche ging die wissenschaftliche Kommission mit der Meldung an die Öffentlichkeit: Man habe "erhebliche wissenschaftliche Mängel" bei Arbeiten am Institut für Sportmedizin der Uni Freiburg entdeckt. Ein Überblick über den aktuellen Stand.

Von Jessica Sturmberg | 09.01.2016
    Nach den Dopingvorwürfen muss sich die Freiburger Sportmedizin nun mit Plagiatsfällen befassen
    Nach den Dopingvorwürfen muss sich die Freiburger Sportmedizin nun mit Plagiatsfällen befassen (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Diese Woche hat eine Pressemitteilung der Kommission zur Evaluierung der Freiburger Sportmedizin für Aufregung gesorgt. Es geht um den Vorwurf, dass "erhebliche wissenschaftliche Mängel" vorlägen. Die Kommission spricht selbst von einem Forschungsskandal.
    Betrug in massiver und systematischer Weise. Plagiate. Vorenthalten relevanter Informationen wie dem Sponsoring durch Pharmafirmen bis hin zur bewussten Datenverfälschung.
    Dies alles soll an der sportmedizinischen Abteilung der Uni Freiburg vorgekommen sein, heißt es aus der Evaluierungskommission. Ein Mitglied ist der renommierte Sportmediziner Prof. Perikles Simon von der Uni Mainz. Dass das keine einzelnen Verfehlungen gewesen sein könnten, sondern der Fisch vielmehr vom Kopf her gestunken habe, diese Einschätzung machte er mit dieser Äußerung deutlich: "Zumindest unter Joseph Keul, dem Abteilungsleiter, also Keul selber, der diese Arbeiten als Autor mitzeichnet, der Umstand der Manipulation voll bewusst gewesen sein muss. Und da muss man sich natürlich fragen, wenn ein Abteilungsleiter dann auch die Leute, die den Betrug begangen haben, massiv fördert. Dann auch nach dem Betrug, nachweislich, ja, welches Ausmaß hat dann der Betrug dort angenommen?"
    Offenbar Daten bewusst manipuliert
    Joseph Keul, langjähriger Olympia-Chefarzt, viele Jahre Präsident des Deutschen Sportärztebundes ist 2000 gestorben. Er galt als die sportmedizinische Instanz. Viele Sportärzte, die unter ihm gelernt und mit ihm geforscht haben, sind Verbandsärzte geworden und beziehen auch heute bedeutende Positionen in der deutschen Sportmedizin.
    Noch bis in die 90er Jahre hatte Keul die Ansicht vertreten, das Testosteron nicht leistungssteigernd wirke und wollte das in Studien nachweisen. Offenbar hat er dafür auch Daten bewusst manipuliert um Ergebnisse passend zu machen. Das hat auch jene Berliner Forschergruppe herausgefunden, die bei der großen DOSB-Studie zur Dopingvergangenheit in Westdeutschland mitgearbeitet hat. Mitautor war Erik Eggers: "Wir haben untersucht die große Studie Regeneration und Testosteron und bei der Analyse ist uns aufgefallen, dass scheinbar Professor Keul diverse Dinge einfach weggelassen hat, die nicht in sein Programm offenbar passten."
    Erik Eggers nennt ein Beispiel aus der dritten Teilstudie dieses damals großen Forschungsprojekts, wesentlich finanziert vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft: "Da ging es darum, 14 oder 16 Leistungssportler zu untersuchen und eben auch leistungssteigernde Effekte nachzuweisen. Das Problem war, dass die Skilangläufer, die an dieser Studie beteiligt werden sollten, die Einnahme von Testosteron verweigert haben. Nun hat Keul aber öffentlich erklärt, dass diese Studie randomisiert vorgenommen worden sei."
    Studien nicht randomisiert
    Randomisiert bedeutet: die Hälfte der Sportler sollte Testosteron bekommen und die anderen Hälfte ein Placebo, wobei keiner der Sportler während der Studie erfahren hätte zu welcher Gruppe er gehört. Gleiches sollte für eine nichtathletische Kontrollgruppe gelten.
    Neben dem Weglassen von Forschungsergebnissen, die nicht in diese Keulsche These passten, Testosteron sei nicht leistungssteigernd, ist das für Erik Eggers: "Das ist eine weitere Form der Manipulation gewesen, weil diese Studie natürlich nicht randomisiert war."
    Testosteron stand damals schon auf der Dopingverbotsliste, weshalb die Sportler die Testosteron-Einnahme auch verweigerten, ja verweigern mussten.
    Mitbeteiligt an dieser dritten Teilstudie war der heutige Olympiaarzt und Inhaber des Lehrstuhls für Sportmedizin an der Berliner Humboldt Universität, Bernd Wolfarth. Damals war er noch Medizinstudent in Freiburg. Dem DLF sagte er auf Anfrage, dass er seinen Beitrag an der Studie von damals nicht so eingeschätzt hätte, dass sein Name mit auf der Studie gestanden habe. Und auch: dass er sich das nach mehr als 30 Jahren noch einmal genauer anschauen wolle.
    Anschuldigungen werden ernst genommen
    Wolfarth ist auch Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, dessen Präsidium und Wissenschaftsrat hat zu den Erkenntnissen der Freiburger Evaluierungskommission eine Erklärung herausgegeben. In dieser heißt es, dass die Anschuldigungen ernst genommen würden, die Aufklärung durch die Universität Freiburg uneingeschränkt begrüßt würde und eine aktive Unterstützung angeboten wird. Und: Eine Vorabveröffentlichung von Verdachtsmomenten, die zu Vorverurteilungen führen kann, ist sehr kritisch zu bewerten.
    Das Rektorat der Universität Freiburg hat die Prorektorin für Redlichkeit in der Wissenschaft, Gisela Riescher damit beauftragt, die Vorwürfe zu untersuchen. Zugleich kritisierte das Rektorat, dass die Evaluierungskommission eine Pressemitteilung veröffentlicht hat, ohne dies mit ihm als Auftraggeber abzustimmen.
    Die Evaluierungskommission unter der Leitung der Kriminologin Letizia Paoli begründete den Gang an die Öffentlichkeit u.a. damit, dass sie Beteiligte finden will, die anonym Weiteres zur Aufklärung beitragen könnten. Denn vielfach seien Wissenschaftler involviert, die möglicherweise selbst gar nicht wussten, dass ihre Namen auf fragwürdigen Veröffentlichungen stünden, oder als junge Wissenschaftler unter Druck gesetzt worden seien.