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Friaulsche Verse

Der Dichter und Filmemacher Pier Paolo Pasolini bediente sich gerne des friulanischen Dialekts, um zu Dichten – der Sprache seiner Mutter. Nun hat der Verlag Urs Engeler eine Übersetzung dieser Gedichte vorgelegt.

Von Dorothea Dieckmann | 29.03.2010
    Als Pier Paolo Pasolini im Winter 1949, wegen seiner Homosexualität geächtet, aus dem friulanischen Casarsa nach Rom floh, hatte er sowohl Gedichte in friulanischer als auch in italienischer Sprache geschrieben – beides wohlgemerkt Sprachen, denn Pasolini war nicht bereit, die eine gegenüber der anderen als partikularen Dialekt abzuwerten. Sowohl das widerständige "Anti-Italienisch" als auch das "erlesene" Hochitalienisch blieben als Schichten in seinem weiteren Werk erhalten. Die Sammlung "La meglio gioventù" – "Die bessere Jugend" – vereinte im Jahr 1954 den größten Teil der im Friulanischen geschriebenen Gedichte, darunter die "Poesie a Casarsa", über die Pasolini später in seinem autobiographischen Gedicht "Gramscis Asche" schrieb:

    "In dieser Stadt hab ich mein erstes Gedichtbändchen veröffentlicht,
    mit dem damals konformistischen Titel Gedichte an Casarsa,
    gewidmet, aus Konformismus, meinem Vater ...
    Große Feinde waren wir,
    doch unsere Feindschaft war Teil des Schicksals, sie stand außerhalb von uns.
    Und als Ausdruck unseres Hasses ...
    war dieses Buch im Dialekt von Friaul geschrieben!
    Im Dialekt meiner Mutter!
    Im Dialekt einer kleinen
    Welt, die er nichts als verachten ... konnte,
    Und das wegen eines vorausgegangenen Widerspruchs ...
    Er hatte sich verliebt, wo dieser Dialekt gesprochen wurde.
    Verliebt, in meine Mutter. ...
    Er wußte nicht, daß seine Herrin diese Liebe war,
    die durch eine Kindfrau (meine Mutter!) ...
    all seine moralischen Gewißheiten zunichte machte,
    Gewißheiten eines armseligen Mannes, der doch berufen war, der Herr zu sein.
    So war dieser Dialekt
    jetzt teuflisches Zeug."


    Das Friulanische ist also – auch wenn es für Pasolini nie das mündliche Idiom war – Muttersprache im fundamentalen Sinn: eine Sprache der Liebe, mit der sich der junge Mann gegen das väterliche Gesetz, gegen die patriarchalische Linie und damit gegen die herrschende Macht auflehnt, die wiederum zu jener Zeit mit dem Faschismus verknüpft war. Nicht nur, weil der Vater ein faschistischer Offizier war, sondern weil, wie Pasolini es formulierte:

    "der Faschismus nicht zuließ, daß es in Italien Partikularismen und Idiome unkriegerischer Dickköpfe gab."

    Noch einmal 20 Jahre später, kurz vor seinem Tod, nimmt Pasolini die frühen Gedichte wieder auf. Es entsteht der Band "La nuova gioventù", eine Forschreibung der friulanischen Schicht in Variationen, Gegenversionen und Erweiterungen, in die wiederum andere Sprachformen eingehen. Diesen – wie Pasolini selbst sagt – eigenwilligen, wahrhaft literarischen Fall dokumentiert nun eine Übersetzung, in der beide Bücher einander gegenübergestellt werden. Seite um Seite kann der Leser die über den Zeitabstand miteinander korrespondierenden Versionen studieren. Oft wurde der resignative Ton der späten Gedichte hervorgehoben – so, wenn die unbeugsamen Gräser eines alten Verses im neuen verwelkt sind. Wer allerdings einem idyllischen frühen einen pessimistischen späten Pasolini gegenüberstellt, verkennt, dass auch die ursprüngliche Schicht schon gebrochen ist:

    "Die Glocken schlagen
    unter anderem Himmel
    und Wind und Bäume
    murmeln
    um Deinen Leib.
    Doch keiner weiß mehr von Dir.
    Du fehlst
    der Welt
    allein in Mutters Weinen."


    Dieser wehe Ton erhält in der Antwortversion eine objektive Endgültigkeit:

    "Den Glocken, die läuten,
    hört keiner mehr zu;
    Luft und Bäume
    sind nicht länger Werk der Einsamkeit.
    Darum weint eine Mutter.
    Was tot ist, stirbt aufs Neue.
    Und diesmal
    ringsumher
    nichts, das wiederkehrt."


    Der Klang der Glocken, der Klang der Worte schwingt durch Christian Filips’ so sorgsame wie plastische Übersetzung auch ins Deutsche herüber. Seine spektakulärste Maßnahme ist aber die Wiedergabe einiger Teile in einem künstlichen Altdeutsch, in das Mittelhochdeutsch und Lutherdeutsch einfließen. Das leuchtet dort ein, wo das Original in späteren Hinzufügungen unter dem Titel "Tetro entusiasmo" zwischen Friulanisch und Italienisch wechselt; unklar bleibt allerdings, warum zum Beispiel die "Friulanische Suite" hochdeutsch wiedergegeben, während etwa "La domènica uliva", dem Sinn nach "Der Olivensonntag", als "Der Sunntac Uliva" in die archaisch stilisierte Kunstsprache überführt wird. Die historisierende Notation ließe sich etwa so sprechen:

    "Besturzet seh ich, muoter,
    den wint, dër tunkel waet,
    an tac dâ zweinzic jâr
    mîn kristenlëben gêt."


    In der späten Version lautet die Strophe:

    "Mit gelîchen ougen
    diu im anvanc waren,
    sëhe ich diu valsche
    wîderkêr der wëlt."


    Trotz der unklaren Zuordnungskriterien überzeugt an den altdeutschen Passagen neben dem fremd-vertrauten Klang auch der Versuch, die Verschriftlichung der Mundart durch die sperrige Notation kenntlich zu machen. Christian Filips hat damit ein spannendes, wohl überlegtes Experiment gewagt, das noch mehr beeindrucken würde, wenn er nicht im Nachwort die eigene Kongenialität selbst beschwören würde – hier wäre es angemessener gewesen, den Kommentar einem kundigen Dritten zu übertragen. Denn Übersetzen ist immer Dienen, wenn auch in eigenständiger Form. Und in diesem Sinn erweist der Band dem Verständnis des rebellischen Dichters durchaus einen großen Dienst.

    Pier Paolo Pasolini: Dunckler Enthusiasmo. Friulanische Gedichte.
    Übersetzt von Christian Filips. Verlag Urs Engeler 2009, 330 Seiten, 28 Euro