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Friedhöfe
Was tun mit nicht verwesten Leichen?

Die traditionelle Erdbestattung von Verstorbenen wird auf deutschen Friedhöfen immer seltener. Doch obwohl der Anteil der Erdbestattungen immer kleiner wird, haben viele Friedhöfe genau dort ein Problem: Denn viele Tote verwesen in der Frist von 15 bis 20 Jahren Ruhezeit nicht.

Von Sandro Schroeder | 15.11.2017
    Westfriedhof Rostock.
    Gräber auf dem Westfriedhof in Rostock. (dpa / Bernd Wüstneck)
    "Der Friedhof soll der Bevölkerung die Ehrung Ihrer Toten und die Pflege ihres Andenkens ermöglichen." Das steht fettgedruckt auf dem weißen Schild - rechts neben dem Eingang am Kölner Südfriedhof. Es ist der größte Friedhof in Köln, über 116 Jahre alt. Die Gräber hier sind gepflegt, kleine rote Grabkerzen flackern, neben einigen Gräbern stehen frische Blumen: Ein Bild, wie es auf vielen Friedhöfen in Deutschland zu sehen ist. Wie es viele Angehörige sehen wollen und sollen. Aber es ist ein oberflächliches Bild. Denn auf vielen deutschen Friedhöfen gibt es ein Problem: Wachsleichen.
    "Wenn wir dann Bürgermeister haben oder Pfarrer oder Pastoren - die wissen das meistens gar nicht so genau. Die kriegen das auch immer von dritter Hand zugetragen, vom Bestatter, oder vom Friedhofsgärtner, oder je nachdem, wer gerade zuständig ist, für die Bestattung. Viele sehen das das erste Mal und sind dann durchaus - ich sag mal vorsichtig - beeindruckt oder schockiert und sagen: 'Das kann doch wohl nicht wahr sein'."
    Ein Grablicht zu Allerheiligen im Herbst mit Blättern
    Ein Grablicht auf einer Grabstätte (imago/McPHOTO)
    Zu wenig Luft stört die natürliche Verwesung
    Der Friedhofsplaner Heinrich Kettler weiß ziemlich genau, aus erster Hand, wie verbreitet das Problem mit den sogenannten Wachsleichen auf deutschen Friedhöfen ist. Wenn deren Böden zu feucht, zu dicht, zu luft-undurchlässig sind - dann ist die natürliche Verwesung gestört. Aus den Hautfetten der Verstorbenen wird dann Leichenwachs. Und im schlimmsten Fall konserviert das den Leichnam nahezu vollständig, für 15 bis 20 Jahre.
    Entdeckt wird das meist erst, wenn der nächste Verstorbene beerdigt werden soll. "Ja, es ist so, dass wir als Friedhofsplaner mit dem Thema auch immer wieder mit dem Thema in Berührung kommen. Denn 30 bis 40 Prozent aller Friedhöfe in Deutschland haben dieses Problem. Vielleicht nicht auf dem ganzen Friedhof, aber vielleicht in Friedhofsteilen...
    Deutschlandweit rufen Kommunen und Behörden Kettler und seine Firma zur Hilfe, wenn Wachsleichen entdeckt werden. "Als Friedhofsplaner ist man natürlich auch dafür zuständig, eine technisch einwandfreie Lösung zu erarbeiten: nicht nur gestalterisch, auch technisch, es muss auch technisch funktionieren."
    Wachsleichen lassen sich vermeiden
    Es ist schwer zu überhören - Kettler ist Ingenieur, seine Perspektive aus Berufsgründen technisch - und er ist aus jahrelanger Erfahrung mit katastrophalen Zuständen auf Friedhöfen nüchtern, abgehärtet.
    Die Wachsleichen lassen sich vermeiden. Baulich, indem betroffene Bereiche metertief ausgehoben und neuangelegt werden. Oder indem schon auf erste Anzeichen von Störungen bei der Verwesung direkt reagiert wird.
    So wie beispielsweise in Hamburg, wie Rainer Wirz von den Hamburger Friedhöfen berichtet: "Wir haben durch die Veränderung in der Bestattungskultur genügend Flächen, um auf diesen Flächen keine Beisetzungen mehr durchzuführen. Diese Flächen werden oder sind von uns gesperrt worden und es werden dann dort auch andere Funktionen stattfinden, sodass wir diese Flächen als Grünflächen entwickeln und zukünftige Beisetzungen dort nicht mehr zulassen."
    Ein Sarg wird in die Glut des Ofens im Krematorium geschoben. Der Vorgang wird von den Mitarbeitern liebevoll und respektvoll begleitet.
    Die Feuerbestattung löst die letzte Ruhe mit Sarg und Grab zunehmend ab. (dpa picture alliance / Sandra Gätke)
    Aber das Wachsleichen-Problem auf deutschen Friedhöfen wirft auch ethische und rechtliche Fragen auf. Weswegen auf dem Bonner Symposium fachübergreifend diskutiert wurde. Die Wachsleichen sind natürlich in erster Linie ein Problem für die Friedhöfe und Verwaltungen - sagt Christoph Keldenich vom Verein aeternitas e.V., der Verbraucherinitiative für Bestattungskultur:
    "Aber in zweiter Linie natürlich für die Angehörigen, die ein Grab erworben haben, auch für viele Jahre und auch für einiges Geld. Erst recht wenn es ein Familiengrab ist, wo ein paar Jahre später ein zweiter Angehöriger beigesetzt werden soll. Dann wird das Grab geöffnet und dann stellt man gegebenenfalls fest, dass die erste Leiche eben noch nicht annähernd so verwest ist, wie man sich das so vorgestellt hatte. Und das führt dann eben zu psychischen Problemen, zu Schwierigkeiten, zu Unmut, zu Ärgernissen."
    Problem wird zu wenig diskutiert
    Deswegen ist es wichtig, dass Thema Wachsleichen öffentlich zu diskutieren, findet Tade Spranger von der Universität Bonn, der zum Wachsleichen-Symposium eingeladen hat: "Wenn man sich dann überlegt, dass die meisten Träger ja nicht nur einen Friedhof haben, sondern mehrere - kann man daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass so gut wie jeder Träger, zumindest auf einem seiner Friedhöfe oder auf einem Teil einer seiner Friedhöfe so ein Problem hat."
    Der Jurist für Bioethik sieht für die Angehörigen sogar Chancen, rechtlich gegen die Friedhöfe und Verwaltungen vorzugehen, wenn Wachsleichen gefunden werden: "Trotzdem gibt es aktuell relativ wenig Rechtssprechung dazu. Das liegt natürlich daran, dass das Thema schlicht und ergreifend nicht publik gemacht wird. In den allerwenigsten Fällen erfahren Nutzungsberechtigte überhaupt, dass es ein Problem gibt, weil auf den Friedhöfen eine gewisse Mentalität des Totschweigens herrscht."
    "Ein Friedhof soll der Bevölkerung die Ehrung Ihrer Toten und die Pflege ihres Andenkens ermöglichen". Was das Schild am Kölner Südfriedhof einfach feststellt, das kann man auch als Handlungsaufforderung verstehen: An die Friedhöfe und Kommunen in ganz Deutschland.