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Führerscheinentzug für Ultras
"Idiotentests" für Fußball-Fans

Erstmals ist vier Fußball-Fans in Deutschland der Führerschein entzogen worden - nur eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) hätte sie noch retten können. Seit einer Gesetzesänderung im Sommer droht diese Regelung allen Stadiongängern, die mit der Polizei in Konflikt geraten.

Von Thorsten Poppe | 17.12.2017
    Ein Straßenschild mit einem Auto und dem Schriftzug MPU.
    Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung MPU ist gefürchtet - im Volksmund auch "Idiotentest" genannt. (imago / STPP)
    Aaron W. ist Ultra von Rot-Weiß Oberhausen und deutschlandweit der Erste, dem wegen angeblicher Verfehlungen im Fußball sein Führerschein entzogen wurde. Nur eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) hätte ihn noch vor dem Verlust seiner Fahrerlaubnis bewahren können. Seit Anfang 2016 wehrte er sich gegen den entsprechenden Bescheid der Stadt Oberhausen. Doch das Verwaltungsgericht Düsseldorf lehnte seinen Klage ab.
    Der Fußballfan gilt als nicht vorbestraft. In den letzten Jahren wurde er wegen versuchter Körperverletzung und Abbrennen von Pyrotechnik jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt. Es reiche aber laut der Richterin schon aus, wenn konkrete Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotenzial durch die Polizei vorlägen. Da schon mehrere Ermittlungserfahren gegen ihn liefen, sei dies bei ihm gegeben, erklärte Aaron W.: "Leider sprachen die Schriftstücke von der Stadt gegen mich, in denen einfach verschiedene Ermittlungsverfahren aufgelistet wurden. Es wird aber nicht die gleichzeitige Rücknahme bzw. Einstellung des Verfahrens dazu genannt und 80 Prozent der gegen mich eingeleiteten Ermittlungsverfahren sind anstandslos eingestellt worden. Es wurde einfach ein immenser Eingriff in meine Privatsphäre vollzogen. Aus meiner Sicht völlig ohne jede Verhältnismäßigkeit, und mein Führerschein wurde entzogen, der nichts mit dem Fussball zu tun hat!"
    Zerrüttetes Verhältnis zwischen Polizei und Ultras
    Aaron W. absolviert nach der Verhandlung den so genannten "Idiotentest" MPU. Nach langem Hin und Her fällt er durch, und ist seinen Führerschein los. Daneben verlieren noch drei weitere Ultras von RW Oberhausen die Fahrerlaubnis. Auch bei Ihnen sieht das Verwaltungsgericht Düsseldorf den Bescheid der Stadt als rechtmäßig an. Doch sie treten die MPU wegen der geringen Erfolgsaussichten gar nicht erst an. Als der Deutschlandfunk über diese Maßnahme mit der Stadt Oberhausen sprechen will, wird der vereinbarte Interviewtermin kurzfristig abgesagt. Auf unser Angebot, die vorher eingereichten Fragen schriftlich zu beantworten, geht die Stadt ein, und schreibt:
    "Alle Betroffenen waren strafrechtlich einschlägig vorbestraft, zum Beispiel wegen Körperverletzung, versuchter gefährlicher Körperverletzung, vollendeter gefährlicher Körperverletzung, und Landfriedensbruch. Die Straftaten wurden begangen in Zusammenhang mit Fußballspielen oder im Umfeld von Fußballspielen oder bei Konfrontationen unterschiedlicher Fanszenen."
    Etwaige Vorstrafen aller Betroffenen gehen aus deren erweiterten Führungszeugnissen jedoch nicht hervor. Auch beim Gerichtstermin ist bei keinem davon die Rede. Dazu kommt: Das Verhältnis zwischen Polizei und Ultras Oberhausen ist komplett zerrüttet. Seit Jahren schwelt hier ein unübersichtlicher Konflikt, der durch beiderseitiges Misstrauen gekennzeichnet ist. Doch was Vorfälle angeht, sei es noch nie so ruhig gewesen wie in den letzten beiden Jahren, meint Robert Duda. Der 63-jährige ist Sozialarbeiter im Fanprojekt des Vereins. Bezahlt von DFB, dem Land NRW und der Stadt Oberhausen:
    "Ich glaube, die Situation in Oberhausen innerhalb der Fanszene hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt. Wir haben halt wenig gewalttätige Konflikte innerhalb der Fanszene selber, also auch Straftaten im Zusammenhang mit Fußball. Deshalb bin ich der Meinung, dass diese Maßnahme für Oberhausen überzogen ist!"
    Oberhausen gilt als Blaupause
    Doch Oberhausen gilt jetzt für die Innenminister der Bundesländer als Blaupause, um sowohl Gewalt als auch Pyrotechnik in der Stadionkurve mit der neuen Maßnahme eindämmen zu können. Rückenwind bekommen die Minister zusätzlich noch durch eine Gesetzesänderung der Bundesregierung, die seit kurzem Fahrverbote als Nebenstrafe vorsieht. Bislang war dies auf Straßenverkehrsdelikte beschränkt. Nun kann dies bei Verfehlungen auch außerhalb davon angewendet werden, "wenn diese zur Einwirkung auf den Täter erforderlich erscheint". Bei Fussballfans sei dies der Fall, meint NRW-Innenminister Herbert Reul:
    "Ich finde, Leute die zum Fußball gehen, um Randale zu machen, um Krawall zu machen, sind kriminell. Und die muss man möglichst hart treffen, das muss denen weh tun. Sonst ändern die ihr Verhalten nicht. Und eines haben wir gelernt: Diese Fahrerlaubnisentziehung hat offensichtlich bei bestimmten Menschen eine irre Wirkung!"
    Dieses Vorgehen sorgt in den Fanszenen hierzulande für große Empörung, und ist zudem ein herber Rückschlag für den DFB. Der Verband hatte gerade allen Kurvengänger in den Stadien die Hand gereicht und wollte mit Änderungen seiner Strafpolitik und Sanktionsmöglichkeiten genau dort für mehr Frieden sorgen. Michael Gabriel ist Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte. Für ihn sorgt ein bundesweiter Führerscheinentzug für noch mehr Frust unter den Fans:
    "Wie sollen die denn diese Maßnahme anders als eine Kriminalisierung ihrerseits interpretieren? Dann gibt es bundesweit die Befürchtung in den Fanszenen, dass Oberhausen ein Testfall ist. Und dass diese MPU-Untersuchungen demnächst flächendeckend gegen sie eingesetzt werden sollen. Hier ist die Befürchtung, dass die Gräben, die es an vielen Stellen schon gibt, weiter vertieft werden, und dass es nicht dazu beiträgt, eine Situation zu verbessern!"
    Politik und Polizei zeigen dem DFB und den Ultras mit dieser neuen Maßnahme klar auf, wer das Zepter des Handelns beim Fußball in der Hand hält. Die bundesweite Anwendung eines Führerscheinentzugs könnte die eh schon angespannte Situation zwischen Polizei und Ultra endgültig eskalieren lassen.