Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Furcht vor dem Pferd

Ein ganzes Bündel von Gründen gibt es dafür, dass viele Menschen den Verzehr von Pferdefleisch als Zumutung empfinden, beschreibt der Kulturhistoriker Peter Peter. Schon vor 1000 Jahren empfand das zum Beispiel die Kirche als heidnischen Brauch.

Peter Peter im Gespräch mit Karin Fischer | 14.02.2013
    Karin Fischer: Elch-, Straußen- oder Krokodilfleisch sind schwer in Mode, das Pferd ist immer noch irgendwie igitt. Dabei gibt es unendlich viele Rezepte mit Pferdefleisch, vor allem in Frankreich. Das Tartar de Cheval, die Pferdebouillon oder einfach gebratene Medaillons de Cheval – bei unseren Nachbarn ist das nicht nur lecker und völlig normal. Pferdefleisch gilt sogar als wertvoll und gesund, weil cholesterinfrei. Und es wird bei Anämie als Heilmittel gegeben. In Frankreich ist es also ganz normal, dass das Pferd nicht beim Abdecker, sondern beim Pferdemetzger landet. Vielleicht auch, weil die Verbindung zum Bäuerlichen, Ländlichen dort nicht so radikal gekappt wurde wie in der Bundesrepublik. Wo übrigens, auch eine Spezialität, der rheinische Sauerbraten aus Pferdefleisch bis vor ein paar Jahrzehnten sehr üblich war und ein traditionelles Rezept.

    - Warum, diese Frage ging vor der Sendung an den Kultur- und Kochhistoriker Peter Peter, Pferdefleisch in Rinderlasagne ist bestimmt ein Deklarationsskandal, aber warum empfinden wir den Verzehr von Pferdefleisch als eine solche Zumutung?

    Peter Peter: Das ist ein ganzes Bündel von Sachen. Das erste ist erst mal unsere christliche Prägung. Es gab bei den Germanen Rossopfer mit anschließendem Pferdefleischessen. Die Kirche empfand das als heidnischen Missstand und hat bereits im achten Jahrhundert nach Christus Papstbriefe nach Deutschland geschickt, um das abzustellen. Tausend Jahre lang hatten wir ein Pferdefleischtabu. Erst 1841 wird der Handel erlaubt, vorher haben arme Leute die Tiere schwarz geschlachtet. Bis 1973 mussten Lokale sich eine Sondergenehmigung bei uns holen, wenn sie es überhaupt servieren wollten. Das ist die eine Sache. Die andere ist, dass es natürlich bei uns in Deutschland lange Zeit den Ruf von Ganz-Armer-Leute-Küche hat. Es gibt so eine Karikatur von Heinrich Zille, so die ärmsten Berliner, die halt dann so Pferdeknacker essen. Und das andere - ich glaube, das ist das, was noch viel, viel wichtiger ist – ist natürlich die emotionale Bindung zum Pferd.

    Fischer: Da wollte ich gerade nachfragen. Wir haben natürlich eine größere Nähe zum Pferd als zum Schwein. Das Pferd ist als Haustier akzeptiert. Vielleicht sind wir auch der Überzeugung, dass es ein stolzeres, ein höheres Tier ist, als eben die anderen Tiere, die wir schlachten. Ist das etwas, was kulturgeschichtlich diese Art von Hysterie in Bezug auf Pferdefleisch nähren könnte?

    Peter: Ja, mit Sicherheit. Was natürlich dazu kommt, ist: Wir erleben Pferde nicht mehr als Arbeitstiere. Es gibt keine oder kaum noch Ackergäule oder irgendwelche Pferde, die Gespanne ziehen müssen. Das heißt, wenn wir Pferde haben, sind sie sozusagen unsere größten Haustiere. Wir geben ihnen einen persönlichen Namen. Das Reiten als solches ist natürlich auch eine engere körperliche Beziehung, als wenn man jetzt eine Kuh hat oder so etwas. Das heißt, das sind Tiere, wo wir schon einen Schlachtekel empfinden, wenn man uns das erzählt, dass die geschlachtet werden.
    Es gibt natürlich andere Kulturen, die das ein bisschen anders sehen. Ich glaube, im Mittelmeerbereich ist dieser Tierschutzgedanke bei Weitem nicht so stark ausgeprägt. Und dann kommt natürlich auch dazu so diese Idee: Wirft man Fleisch weg oder nicht. Ich glaube eher, dass wir das Problem meistens so lösen, dass doch relativ viele Reitpferde irgendwie irgendwo hin in den Fernen Osten oder den Nahen Osten, man will es gar nicht so genau wissen, wenn sie alt sind, exportiert werden. Wir haben ja die Vorstellung, dass die Leute dort noch so arm sind, dass sie auf das Pferdefleisch angewiesen sind. Das ist ja der eigentliche Skandal, dass es auf unbekannten Kanälen umetikettiert wird. Keiner weiß, wie lang dieses Fleisch da unterwegs war. Ansonsten wäre es im Prinzip, da haben Sie ganz Recht, ein gesünderes Fleisch vermutlich, als das Rindfleisch aus irgendwelchen großen industriellen Zuchtanstalten.

    Fischer: Sie haben das kirchliche Verzehrverbot angesprochen von Papst Gregor III. im Jahr 732. Fakt ist aber: Solche Tabus können ja auch leicht wieder fallen, zum Beispiel im Krieg.

    Peter: Ja! Nur das ist natürlich auch eine unangenehme Erinnerung, vor allen Dingen bei älteren Leuten. Manche werden da an eigene Erinnerungen denken. Oder an Notschlachtungen von Pferden, an Stalingrad-Bilder und so etwas, vielleicht auch an die totale Notzeit, wo man vielleicht auch überlegt, ob man so ein gefrorenes oder ein Pferde-As isst. Das erinnert so ein bisschen an den Ekel auch vor Kaninchen, den viele Leute der älteren Generation haben. Ich glaube, das ist auch sehr, sehr prägend, aber bei der älteren Generation.

    Fischer: Was raten Sie uns? Ist Gelassenheit im Pferdefleischskandal angebracht?

    Peter: Generell wirft das natürlich ein Schlaglicht auf Missstände und wie viele Prüfungen man machen muss, um solche Lebensmittel zu überprüfen. Ansonsten ist Gelassenheit angebracht. Letzten Endes ist Pferdefleisch ein sehr gesundes Fleisch. Es gibt keine großen Zuchtanstalten, die Tiere haben fast alle gesund gelebt. Falls es sehr alte Pferde sind, ist das auch nicht wirklich das Problem. Jahrhundertelang hatte man Rezepte erfunden, um alte Pferde zu essen, zum Beispiel der rheinische Sauerbraten: Also lange kochen. Und Hackfleisch daraus machen ist das andere traditionelle Rezept für altes, zähes Pferdefleisch. Aber ungesund ist das nicht.

    Fischer: Peter Peter war das über die kulturhistorischen Gründe unserer Ablehnung von Pferdefleisch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.