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Fußball
Ein Turnier auf dem Weg zur Normalität

An diesem Wochenende fand in Hamburg die schwullesbische Fußball-EM statt. 400 Freizeitkicker aus neun Ländern wollten ein Zeichen setzen: Für Toleranz und gegen Ausgrenzung.

Von Ronny Blaschke | 14.06.2015
    Alexander von Beyme, Organisationschef der schwullesbischen Fußball-EM gibt Interviews.
    Alexander von Beyme, Organisationschef der schwullesbischen Fußball-EM gibt Interviews. (deutschlandradio.de / Ronny Blaschke)
    Der Organisationschef Alexander von Beyme hatte kaum Probleme, Partner für die EM zu finden. Der Hamburger SV sagte zu, der FC St. Pauli und der DFB ebenfalls, der Senat der Hansestadt sowieso. Es gab eine gut besuchte Pressekonferenz, einen schicken Empfang, eine Party, und natürlich: dutzende Fußballspiele. Alexander von Beyme, 38 Jahre alt, möchte trotzdem nicht allzu euphorisch wirken. Der Aktivist des gastgebenden Hamburger Vereins "Startschuss" verweist auf das Förderprogramm des Turniers: So konnten Fußballer aus Russland und Serbien nach Deutschland reisen, die in ihrer Heimat massiv ausgegrenzt werden.
    "Manche werden da zusammengeschlagen und die Polizei tut hinterher nichts. Manche verlieren ihren Job, wenn das rauskommt. Ich habe das auch in der Vorbereitung gemerkt. Wir haben eine kleine Mediengeschichte gemacht für ein großes deutsches Schwulenmagazin, das wollte gerne drei Steckbriefe von Spielern drucken. Die Russen zum Beispiel kommen hier gerne und lassen sich auch gerne filmen beim Fußballspielen. Aber großformatig im deutschen Schwulenmagazin zu sein mit Steckbrief? Das ging überhaupt nicht."
    Der Sport als wichtige Plattform der Emanzipationsbewegung
    Der schwullesbische Sport war stets eine wichtige Plattform der Emanzipationsbewegung: Der erste homosexuelle Sportverband war die amerikanische Bowling-Liga "Judy Garland", sie wurde Anfang der siebziger Jahre gegründet. Der erste Sportverein Europas war der SC Janus in Köln, er wurde 1980 von Volleyballern ins Leben gerufen. Für einen Meilenstein sorgte der amerikanische Zehnkämpfer Tom Waddell, er gründete 1982 die Gay Games, eine Art Olympia der Homosexuellen. Vor allem in den achtziger und neunziger Jahren entstanden in Deutschland viele schwullesbische Vereine. Mit ihren Namen wollten sie Klischees entlarven: "Vorspiel", "Cream Team" oder "Rosa Löwen". Ihre Mitglieder wollten sich nicht mehr verstecken. Und wie ist die Lage heute? Alexander von Beyme.
    "Es gibt tatsächlich auch bei uns in der Community Leute, die ein bisschen genervt sind von dem Thema, und die einfach Fußball spielen und in Ruhe gelassen werden wollen. Und einfach nur deshalb im schwullesbischen Sportverein sind, weil sie sich da nicht großartig erklären müssen. Wir haben mal bei einem Turnier hier mitgespielt, einem Benefizturnier. Und ich habe mir die Tabelle angeguckt, wie der Spielstand ist, und links hinter mir sagte jemand: Sogar die Schwulen sind besser als wir. Ich kenne aus meiner Mannschaft relativ aktuelle Beispiele mit Licht und Schatten. Der eine ist richtig geoutet in einem kleinen Dorf, einem 900 Seelendorf, und er ist dort total glücklich, voll akzeptiert. Andere werden regelrecht noch aus der Dusche gemobbt, weil die Mitspieler sich dann nicht mehr reintrauen, was völlig abwegig ist."
    Pfund für Olympia-Bewerbung
    Der Hamburger Fußball-Verband nahm die EM am Freitag zum Anlass, um über Vielfalt zu diskutieren, prominenter Gast: der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger. So setzten sich erstmals viele Funktionäre, Trainer und Betreuer aus der Hansestadt intensiv mit dem Thema auseinander. Auch in der lokalen Politik hat sich vor der EM ein Netzwerk gebildet, das den Sport mehr ins Zentrum von Antidiskriminierung rücken möchte. Die Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank von den Grünen lenkt den Blick auf die Bewerbung Hamburgs für Olympia 2024.
    "Das Thema Vielfalt wird ein ganz entscheidendes Thema auch sein, zum einen mit Blick auf das Referendum, alle möglichen gesellschaftlichen Kräfte auch anzusprechen. Und zum anderen ist es dann im Wettbewerb der Städte sicherlich ein Pfund, mit dem Hamburg wuchern kann. Hamburg ist eine bunte, ist eine offene, ist eine internationale, sehr tolerante Metropole. Und das sollte auf jeden Fall einen großen Stellenwert im Bewerbungsprozess auch einnehmen."
    Gesellschaftlicher Wandel muss an der Basis entstehen
    Ob Gay Games, Welt- oder Europameisterschaften: die großen schwullesbischen Sportereignisse fanden in Westeuropa, in Nordamerika oder Australien statt. In der Türkei müssen kleinere Wettbewerbe im Verborgenen organisiert werden, berichtet Halil Ibrahim Dincdag. In seiner Heimat wurde der schwule Schiedsrichter an den Rand gedrängt, seit sieben Jahren darf er nicht mehr pfeifen. Mehrfach hatte er zuletzt in Deutschland seine Geschichte erzählt, nun auch in den Fanräumen des FC St. Pauli.
    "Es ist wichtig, über Toleranz zu sprechen, immer und immer wieder. Ein gesellschaftlicher Wandel muss an der Basis entstehen, er kann nicht von der Spitze des Fußballs verordnet werden. Ich bin auch als Beobachter nach Hamburg gekommen. Hier kann ich viel lernen, was die Organisation betrifft und die Suche nach Partnern. Das gibt mir Kraft für meine Arbeit in der Türkei."