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Fußball, Frösche und fliegende Opas

In seinen Kinderbüchern hat Philip Waechter einen bunten Kosmos heimischer Gestalten entworfen. Im "Büchermarkt" spricht der Zeichner und Texter über Fußball, über seine Vorbilder, seine Herzenstiere und Lieblingsgeschichte, aber auch über Sohnsein und Vatersein.

Mit Ute Wegmann | 12.05.2012
    Ute Wegmann: Ich mag das Hasenmädchen Rosie, das sich vor Monstern fürchtet. Und das Trompete spielende Katzenmädchen Helene. Ich mag auch die Lämmer, Frösche, Bären, Hühner und Vögel. Vor allem aber diese Jungs mit Mützen oder Strubbelhaaren und Babies klein wie Brote und all die Menschen, ob alt oder jung, die er auf grünen Wiesen, in kleinen Städten, auf Seen und Spielplätzen zum Leben erweckt hat.

    Die Rede ist von Philip Waechter und seinem bunten Kosmos heimischer Gestalten. Philip Waechter ist heute Gast im Büchermarkt und spricht mit mir über Fußball, über seine Vorbilder, seine Herzenstiere und Lieblingsgeschichten, aber auch über Sohn sein und Vater sein.

    - Philip Waechter, was ist ihr Lieblingstier?

    Philip Waechter: Das wurde ich letztens schon mal gefragt. Und wusste keine rechte Antwort. Pinguine waren lange meine Lieblingstiere, die mag ich immer noch sehr. Katzen mag ich. Ich mag eigentlich fast alle Tiere.

    Ute Wegmann: Es gibt ja viele Lämmer in ihren Geschichten.

    Philip Waechter: Das lag eher daran, dass ich Geschichten illustriert habe, die von Lämmern handelten, aber die ich nicht selber geschrieben habe, das wurde mir zugetragen.

    Ute Wegmann: Es gibt in Ihrem neuen Buch "Der fliegende Jakob" eine Doppelseite, fast ein Wimmelbild mit ganz vielen Vögel. Hat man als Illustrator eine Idee, wie viele Tiere man schon gezeichnet hat?

    Philip Waechter: Nein, tatsächlich nicht. Es sind wahrscheinlich Tausende.

    Ute Wegmann: Philip Waechter hat Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Mainz studiert, ist freier Illustrator, lebt in Frankfurt, arbeitet dort in einer Ateliergemeinschaft mit dem Namen Labor, zusammen mit den Kollegen und Kolleginnen Anke Kuhl, Alexandra Maxeiner, Jörg Mühle, Moni Port, um nur einige zu nennen. Es ist eine Gemeinschaft von Grafikern, Textern und Gestaltern, die auch ein gemeinsames Projekt haben, nämlich die Kinder-Künstler-Mitmach/Kritzel/Abenteuer-Bücher. DIN A4 groß, circa 170 Seiten, jede Doppelseite von einem Künstler gestaltet. In Schwarz-Weiß und von den Kindern weiter zu gestalten durch Text oder überwiegend durch Zeichnungen, für die reichlich Platz und Anregung geschaffen wird.

    - Philip Waechter, in diesen Büchern geht es ja um alle möglichen Lebensbereiche, um Alltag, um das tägliche Abenteuer des Lebens mit Glück und Träumen und Krankheiten. Wie muss man sich die Entstehung eines solchen Gemeinschaftsprojektes vorstellen?

    Philip Waechter: Das Schöne an diesen Gemeinschaftsprojekten ist, dass wir alle, die wir dort in der Ateliergemeinschaft zusammensitzen, einmal an einem gemeinsamen Projekt gearbeitet haben. Man kann sich das so vorstellen: Wir haben eine Etage gemietet, da hat jeder seinen Arbeitsplatz. Und es ist relativ selten, dass wir an einer Sache arbeiten und die Kritzelbücher waren eine Gelegenheit, zusammen mal was zu machen. Und das Schöne ist, wenn man ein solches Buch zu acht oder zu neunt bearbeitet, dass man relativ schnell ein dickes Buch voll kriegt. Jeder zeichnet ein paar Seiten, jeder bringt seine Ideen ein und in wenigen Wochen hat man das Buch voll, was man alleine nicht hinkriegen würde.

    Ute Wegmann: Sind denn alle thematisch frei? Jeder kann machen, was er will?

    Philip Waechter: Ja, eigentlich ja. Das erste Kritzelbuch, das hatte gar kein Thema, da ging es nur darum, Seiten zu schaffen, die inspirierend sind für Kinder, wo Kinder weiterarbeiten können. Thematisch gab es keine Vorgabe.

    Ute Wegmann: Ist das Labor so etwas wie eine zweite Familie?

    Philip Waechter: Irgendwie schon. Wir sehen uns jeden Tag. Wir reden miteinander, wir essen zusammen Mittag. Wir tauschen uns aus. Es hat schon was von Familie.

    Ute Wegmann: Sie haben Bücher illustriert von Gert Loschütz, Kirsten Boie oder in Anthologien Geschichten von Jürg Schubiger, Franz Hohler, Christine Nöstlinger, Peter Härtling. Aber es gibt eine nicht weniger spannende Anzahl eigener Texte. Begonnen hat das alles mit Fußball.
    "Heimspiel" hieß Ihr erstes Buch. 2006 erschien dann "Sehr berühmt", die hochamüsante Auseinandersetzung eines Jungen mit dem Fußballerdasein.

    - Wie wichtig war und ist Fußball?

    Philip Waechter: Ja, Fußball war wichtig und Fußball ist immer noch wichtig. Ich spiele Fußball, ich gucke Fußball, ich unterhalte mich über Fußball. Das ist ein Thema, das zu mir gehört und mich nicht loslässt.

    Ute Wegmann: Welcher Verein?

    Philip Waechter: Eintracht Frankfurt natürlich. Als Frankfurter!

    Ute Wegmann: Und Sie gehen auch zu Spielen.

    Philip Waechter: Ich geh zu Spielen. Ab und an. Früher, als Jugendlicher, war ich bei jedem Heimspiel. Jetzt beschränkt sich das auf zwei, drei Spiele pro Saison.

    Ute Wegmann: Tiere spielen eine große Rolle in Ihren Büchern. Ich nenne ein paar Titel, die Sie illustriert haben:
    • Was war zuerst da? (Boie/Waechter)
    • Josef Schaf will auch einen Menschen (Boie/Waechter)
    • Schaf Ahoi (Dorothee Haentjes/Waechter)
    • Die kniffeligen Fälle von Meisterdetektiv Rattiko (Fanny Joly)

    - Stellt die Vermenschlichung von Tieren eine besondere Herausforderung dar?

    Philip Waechter: Das ist ein großes Thema. Denn es gibt ja Geschichten, da ist es klar, dass es um Tiere geht. In anderen Geschichten bleibt es offen, ob die Personen als Menschen gezeichnet werden oder als Tiere. Also, Tiere holen eine Geschichte ja in eine andere Ebene. Wenn ich Tiere zeichne, die Menschliches tun, hab ich gleich so eine fantastische Ebene, die einer Geschichte oft gut tut. Ich muss dann nicht fragen, ist es realistisch, dass ein kleines Mädchen sein Elternhaus verlässt. Sobald es ein Tier ist, ist es auf einmal möglich, denn wer weiß denn, was Tiere, die Klamotten tragen, alles tun können.

    Ute Wegmann: Sprechen wir über die eigenen Bücher. "Rosie in der Geisterbahn", ein Buch über Angst. Jeden Tag wird Rosie durch den gleichen Traum geweckt: Ein Monster will sie fressen. Da hilft kein Yoga und kein Nachdenken, sondern ein Besuch beim Psychologen und das Studieren eines Monsterbuches. Konfrontation ist das Schlüsselwort. Rosie beschließt, der Angst ins Auge zu sehen, geht zur Kirmes, fährt in die Geisterbahn, setzt dort alle Monster außer Gefecht und bekommt nun Geisterbahnverbot, ist aber von ihrer Angst geheilt. In einer Kleinstadt mit Kirmes und Riesenrad und Karussell erleben wir die Geschichte Rosie, die unter all den Menschen ein kleines Hasenmädchen ist.

    - Warum haben Sie ein Hasenmädchen gewählt?

    Philip Waechter: Das ist ein gutes Beispiel, für das, was ich eben sagen wollte. Bei einem Hasen, der in eine Geisterbahn geht, fragt man sich nicht, wie realistisch das ist. Es ist natürlich nicht realistisch, dass ein Hase mit rotem Mantel in die Geisterbahn geht. Wenn ich aber ein menschliches Mädchen gezeichnet hätte, dann hätte man sich das gefragt oder hätte gesagt: Das kann doch gar nicht sein. Sobald es ein Hase ist, funktioniert es, glaube ich.

    Ute Wegmann: Wie entsteht die Entscheidung, einen Hasen zu wählen und nicht einen Pinguin oder einen Hund?

    Philip Waechter: In den meisten Fällen ist es so, dass ich ganz viel probiere. Ich fang an mit Skizzen. Ich zeichne verschiedene Tiere und hab dann irgendwann das Gefühl: Jawohl, es ist der Hase. Bei Rosie in der Geisterbahn - der Hase im Kontrast zu diesen Monstern, da ich das Gefühl, das passt einfach ganz gut.

    Ute Wegmann: "Die Geschichte meines Opas", erzählt aus der Perspektive eines kleinen Jungen, der seinen klugen Opa als besten Freund bezeichnet. Ein Superopa, der sogar fliegen kann. Und die Abenteuer, die der Superopa, gekleidet wie Supermann, erlebt, sind im Comicstil gehalten. Opa ist hin und wieder gelangweilt vom Alltagstrott, und wie er damit umgeht, ist sehr witzig. Mal bewirbt er sich als Babysitter, mal versucht er es mit ner neuen Frisur oder einem Besuch im Museum. Aber was auch immer er tut, es sind die Kinder, die ihm das Leben verschönern, die ihm zeigen, dass Alltäglichkeiten spannend sein können. Mich interessiert an dieser Geschichte die Parallele zu ihrem neuen Buch "Der fliegende Jakob".

    - Ist der kleine Jakob der Enkel des fliegenden Opas? Superboy?

    Philip Waechter: Die Verbindung hab ich noch gar nicht gesehen, ja, es stimmt, es sind fliegende Menschen. Den Opa hab ich vor einigen Jahren gezeichnet, das ist schon ein bisschen her. Der fliegende Jakob ist dadurch entstanden, dass mein Sohn eine Phase hatte, wo er viel vom Fliegen träumte oder über das Fliegen nachdachte und den Wunsch hatte, fliegen zu können und ich das aufgegriffen habe. An den Opa hab ich gar nicht gedacht.

    Ute Wegmann: Es ist der alte Menschheitstraum vom Fliegen, der ja bei Kindern sehr ausgeprägt ist. Der fliegende Jakob ist ein Junge, der von Geburt an fliegen kann, sehr selbstständig und unabhängig von seinen Eltern, sein Leben meistert, sogar alleine bis nach Italien in Urlaub fliegt und dabei ein Abenteuer erlebt.

    Philip Waechter: Nach Italien, das ist ja interessant!

    Ute Wegmann: Zumindest macht er sich auf den Weg in den Süden. Ist das Thema des Buches denn auch Freiheit und Selbstbestimmung und das Flügge-Werden der Kinder?

    Philip Waechter: Ja, denk ich schon. Es geht darum, dass der Junge den Wunsch verspürt, die Reise alleine anzutreten. Und die Eltern sind so weise oder haben soviel Vertrauen, dass sie das zulassen und er macht sich alleine auf den Weg und es geht gut.

    Ute Wegmann: Die Titel der Bücher nenne ich am Schluss der Sendung, bibliografische Angaben zu allen Bücher finden sie im Internet unter www.dradio.de/literatur. Gast ist heute der der Bilderbuchkünstler Philip Waechter.

    Eine Lebensveränderung, Philip Waechter: Unfassbares Glück wechselt mit schrecklichen, plötzlich auftretenden Unsicherheiten, auf Spaziergänge voller Freude folgen Nächte mit Krankheiten, Müdigkeit im Alltag und ätzende Sandkastengespräche muss ertragen, auf erste Schuhe folgt ein erstes Auto. Immer wieder die Auseinandersetzung: Was macht man richtig, was macht man falsch? Momente und Fragen aus dem Leben eines Vaters. Festgehalten in Bild und Text in "Sohntage".

    - Ich vermute, das ist das autobiografischste aller Bücher?

    Philip Waechter: Exakt. Dieses Buch ist entstanden aus Tageskartenzeichnungen, die ich seit einigen Jahren zeichne. Ich zeichne jeden Tag eine Karte, das funktioniert wie ein Tagebuch. Als unser Sohn auf die Welt kam, drehten sich diese Karten nur noch um das Leben mit Kind. Und irgendwann waren die Karteikästen voll mit Erlebnissen. Und daraus ist dann das Buch entstanden.

    Ute Wegmann: Das erklärt vielleicht auch das Format. Es hat Postkartengröße.

    Philip Waechter: Ja, genau. Das ist alles erlebt, nichts erfunden.

    Ute Wegmann: In diesem Buch fällt es natürlich besonders auf, aber auch in anderen Büchern ist es mir aufgefallen. Ihre Figuren zeichnen sich aus durch große Zugewandtheit. Sie sind sehr körperlich miteinander, sind aber auch der Natur zugewandt: Sie lehnen an Bäumen, liegen in Wiesen, stehen im Blütenregen. Ich spreche vor allem von den menschlichen Figuren.

    - Sind Sie ein naturverbundener Mensch? Sind Sie ein Menschenfreund?

    Philip Waechter: Das will ich doch hoffen. Ich weiß nicht, ob es jemanden gibt, der von sich behauptet, kein Menschenfreund zu sein. Aber ich bin auch ein Stadtmensch. Ich lebe, seitdem ich lebe, in Städten, hauptsächlich in Frankfurt. Brauch aber auch Natur, bin gern draußen, bin gern im Wald, hab Spaß an der Pflanzenwelt, an der Tierwelt. Beobachte. Also, das ist ein richtiger Eindruck, den Sie da haben.

    Ute Wegmann: Eins meiner Lieblingsbücher: "Der Krakeeler", das Buch ist in Zusammenarbeit mit Ihrer Frau Moni Port entstanden. "Helene besaß Talent, ihr kleiner Bruder hatte Geduld und ihre Mutter hatte Humor. Einzig und allein Helenes Vater störte die Idylle." Er war immer zu laut, sprach keinen Satz normal, brüllte nur. Die Mutter erklärte Helene, dass er nichts dafür könne, weil er aus einer Krakeeler-Familie käme. Helene will nicht werden wie der Vater und geht weg. Die Familie sucht sie vergeblich, dabei entdeckt der Vater das Plakat mit ihrer Konzertankündigung. Als er voller Stolz am Ende des Konzertes das lautestes Bravo schreit, kann Katzenmädchen Helene damit gut leben und sich freuen. Ein Bilderbuch über Abstand zu den Eltern und Toleranz ihrer Eigenheiten. Nun sind Katzen ja weniger laute Tiere.

    - Woher kam die Idee, diese Geschichte mit Katzen zu erzählen?

    Philip Waechter: Auch in diesem Fall war es so, dass ich vorher ganz viel skizziert habe, unterschiedliche Figuren ausprobiert habe. Es gab auch eine Variante mit Menschen. Aber die Geschichte wurde dadurch zu ernst, zu schwer. Ich hatte das Gefühl, das tut der Geschichte einfach gut, wenn man sie aus der realitätsnahen Umgebung herausholt und mit Tieren erzählt. Also, ähnlich dem Beispiel, das wir hatten.

    Ute Wegmann: Wie kann ich mir die Zusammenarbeit mit Moni Port vorstellen?

    Philip Waechter: Moni hatte den Text geschrieben und wir haben überlegt, wer könnte das illustrieren. Moni wollte das nicht selber machen. Während wir darüber nachdachten, bekam ich Lust, die Bilder zu zeichnen. Und ich hab dann angefangen, hab probiert und irgendwann war ich so drin, dass ich das unbedingt machen wollte.

    Ute Wegmann: Hat sich dann der Text noch mal geändert?

    Philip Waechter: Im Detail, aber nicht grundlegend.

    Ute Wegmann: Sprechen wir über Eltern, über ihren Einfluss und über notwendige Distanz. Ihr Vater ist F. K. Waechter, der im Jahr 2005 mit nur 67 Jahren verstarb, der mit Robert Gernhardt, Chlodwig Poth und Hans Traxler und anderen zur "Neuen Frankfurter Schule" gehörte. Bekannt wurde er als Layoutchef von "Pardon" und später als Gründungsmitglied des Satiremagazins "Titanic". F. K. Waechter schrieb eine Vielzahl Kindertheaterstücke, aber auch Kinderbücher: "Wir können noch viel zusammen machen", "Der rote Wolf", "Prinz Hamlet" - ein paar Titel.

    - Wie war das als Kind damals bei Ihnen zuhause?

    Philip Waechter: Ich kann mich erinnern, dass wir Kinder, meine zwei Brüder und ich, oft an seinem Schreibtisch standen oder saßen und geguckt haben, was er da macht. Mich hat das immer wahnsinnig fasziniert. Ich erinnere mich auch, dass wir einige Bücher fast zusammengemacht haben. Ein Buch, Opa Huckes Mitmachkabinett, da haben wir sämtliche Geschichten und Spiele, die da drin sind, als Familie durchgespielt, erprobt und getestet. Und er hat die Sachen umgesetzt. Da habe ich stark das Gefühl, dass wir dabei waren, dass das auch unsere Bücher sind.

    Ute Wegmann: Was haben Sie im Rückblick durch Ihren Vater gelernt? Was haben Sie sich abgeschaut?

    Philip Waechter: Ich hatte bei meinem Vater das Gefühl, dass er ein großartiges Leben hatte. Soweit ich mich erinnern kann, hat er immer das gemacht, wozu er Lust hatte. Er hat seine eigenen Sachen machen können. Er hat immer genug verdient, er hatte nicht diese existenziellen Ängste. Und das war für mich ganz wichtig, zu sehen, wie das Leben als Zeichner sein kann. Und ich hab natürlich gesehen, wie er gezeichnet hat. Hab da bestimmt auch viel abgeguckt, aufgesogen und mitgenommen.

    Ute Wegmann: Wenn ich nun Ihren Stil betrachte, Philip Waechter, die Figürlichkeit ihres Personals, Gestik und Mimik, die Bildgestaltung und Komposition generell, dann erscheint mir der Einfluss eines anderen Künstlers auf Ihr Werk weitaus größer. Ich spreche von dem französischen Künstler Jean-Jacques Sempé, der neben vielen herausragenden Kunstwerken und Büchern auch Titelblättern für den "New Yorker" gestaltet hat und bei uns bekannt wurde durch die Illustrationen in den Kinderbücher "Der kleine Nick", Geschichten von René Goscinny, die zwischen 1959 und 1964 entstanden sind.

    - Ich würde Sie als Adoptivsohn von Sempé bezeichnen.

    Philip Waechter: Ja, ja. Für mich ist es schwierig, den eigenen Zeichenstil zu analysieren oder zu sagen, da seh ich dieses oder jenes Vorbild. Richtigerweise ist Sempé ein Vorbild. Und je älter ich werde, desto größer wird meine Liebe zu den Zeichnungen.

    Ute Wegmann: Was ist das genau, was den Reiz ausmacht? Was fasziniert Sie an Sempé?

    Philip Waechter: Einerseits ist es die Leichtigkeit. Die Zeichnungen kommen sowas von leicht und gekonnt daher und haben eine Freundlichkeit und einen Witz auch, der mir sehr gefällt.

    Ute Wegmann: Haben Sie die Ausstellung gesehen in Paris?

    Philip Waechter: Ja, wir waren dort. Das war einfach ein großes Erlebnis, diese Menge, diese Bandbreite zu sehen. Und die Originale zu sehen: Er zeichnet ja sehr großformatig mit winzigen Figuren in einem riesigen Umfeld. Ja, einfach toll.

    Ute Wegmann: "Hausbuch der Liebe" mit dem Titel: "Funken in den Augen", "Rosinen im Kopf", herausgegeben von Arnhild Kantelhardt, mit neuen und alten Gedichten von Kurt Schwitters, Ernst Jandl, Robert Gernhardt, Sarah Kirsch, Rose Ausländer, Heinrich Heine und vielen anderen. Und mit Erzählungen von Andreas Steinhöfel, Jutta Richter, Rafik Schami, auch hier nur ein paar wenige genannt.

    Interessant an der Zusammenstellung ist, dass es sich nur um die Liebe zwischen Menschen handelt. Die Liebe für etwas anderes wie Haustiere, Sport, Kunst oder Literatur sind nicht berücksichtigt. Natürlich geht es auch um Liebesschmerz.

    - Was war Ihr Lieblingstext?

    Philip Waechter: Kann ich so gar nicht sagen. Das Buch ist voll mit Liebesgeschichten, die sehr unterschiedlich sind. Es geht ja nicht nur um die glückliche, um die erfüllte Liebe, sondern auch um Herzschmerz, um Enttäuschung. Ich finde die Bandbreite und die unterschiedlichen Formen von Liebe in der gesammelten Form sehr schön.

    Ute Wegmann: Es gibt Vignetten, kleine Einzelbilder, ganzseitige Bildtafeln, die Gedichte sind oft aufs Bild gesetzt. Fühlt man sich als Künstler bei einem solchen Projekt frei oder unfrei?

    Philip Waechter: Ich hab mich frei gefühlt. Ich hatte von Verlagsseite keinerlei Vorschriften, wie die Geschichten zu illustrieren seien. Ich hatte freie Auswahl, ob ich ein Bild über eine ganze Seite zeichne oder ob ich mit Vignetten arbeite. Nein, ich hab mich frei relativ gefühlt.

    Ute Wegmann: Mein Lieblingsgedicht ist von Ulla Hahn:

    Blauer Himmel.
    Sanft wiegt die Wiese mich in ihrem Gras
    Ich lieg allein
    Ich denk an dich
    Und sollte traurig sein

    Ich spiegle mich im hohen Himmelsblau
    In deinen Augen nicht
    Mitunter such ich in den Wolken
    Noch dein Gesicht

    Das mir der Wind verweht: bewegte Skizzen,
    die ich verwischen kann,
    Ich denk an dich und halte das Vergessen
    noch einmal an.

    Das ist wunderschön, dieses Gedicht von Ulla Hahn. Da haben sie eine ganzseitige Bildtafel gemalt, diese Tafel besteht zu zwei Dritteln aus Himmel und einem Drittel unten, die linke Ecke, ist ein Hügel, eine Wiese. Dort liegt ganz klein eine weibliche Person.

    - Wie gehen Sie vor? Lesen Sie die Gedichte 20-mal, gehen Sie damit spazieren oder entwickelt sich sofort eine Idee, wie man das umsetzt?

    Philip Waechter: Bei den Gedichten dauert es ein bisschen, bis sich eine Idee einstellt. Da geht es ja eher mehr um Stimmungen, nicht um konkrete Szenen, die es zu zeichnen gilt. Ein Gedicht löst ja ein Gefühl aus und dieses Gefühl mit einer Illustration zu unterstützen, darauf kommt es an.

    Ute Wegmann: Es ist eine große Vielfalt. Große Bildtafel, kleine Vignetten, mal sind zwei Gedichte auf einer Seite, dann sieht man zwei Figuren, die durch die Luft fliegen, rundherum sind Vögel, mal steht ein Hochzeitspaar auf einer Seite, wobei die Braut gar nicht glücklich aussieht, das ist bei dem Heinrich-Heine-Gedicht der Fall. Ein Jüngling liebt ein Mädchen.

    Ein Gedicht von Robert Gernhardt seh ich hier noch, das Liebesgedicht:

    Kröten sitzen gern vor Mauern,
    wo sie auf die Falter lauern.
    Falter sitzen gern an Wänden,
    wo sie dann in Kröten enden.
    So du, so ich, so wir.
    Nur - wer ist welches Tier?

    Da sehen wir eine Kröte, mit einem Rotweinglas, das ist eine Dame, die hat eine Zigarette in der Hand. Ah, sehr gefährlich, Alkohol und Zigaretten im Kinderbuch.

    Philip Waechter: Eine Sache fällt mir ein zu diesem Buch: Ich hab noch nie in einem Buch so viel Himmel zeichnen müssen und hab mich da sehr mit Himmeln auseinandergesetzt. Und hab für mich gemerkt: Liebesgeschichten brauchen Himmel, Weiten und das Sonnenlicht wird wichtig, die Stimmung wird wichtig. Offensichtlich braucht die Liebe Raum zum Atmen und etwas Luft.

    Ute Wegmann: Das wäre ein schönes Schlusswort, aber ich habe noch eine Frage. Gibt es ein Illustrationswunschprojekt?

    Philip Waechter: Nein. Nein, das werde ich manchmal gefragt, "Moby Dick" oder "Die Schatzinsel". Nein, ich möchte gerne eigene Geschichten illustrieren, das merk ich immer wieder. Das ist sehr, sehr spannend und sehr beglückend, in sich hineinzuhorchen und zu gucken, was ist denn da, wovon möchte man erzählen und dann langsam Geschichten zu entwickeln. Das interessiert mich im Moment.

    Ute Wegmann: Das ist ein mindestens genau so gutes Schlusswort.

    Ich bedanke mich sehr bei Philip Waechter für das Gespräch.
    Wir sprachen über:
    • Rosie in der Geisterbahn, 32 Seiten
    • Die Geschichte meines Opas, 32 Seiten
    • Sehr berühmt, 64 Seiten
    • Sohntage, 56 Seiten
    • Was war zuerst da? Text: Kirsten Boie, 32 Seiten
    • Die kniffligsten Fälle von Meisterdetektiv Rattiko, Text: Fanny Joly, 32 Seiten
    • Der Krakeeler, zusammen mit Moni Port, 40 Seiten
    • Kinder-Künstler-Mitmach/Abenteuer/Kritzel–Bücher, zusammen mit den KollegInnen der Ateliergemeinschaft Labor

    Alle Bücher erschienen im Verlag Beltz & Gelberg.
    • Funken in den Augen, Rosinen im Kopf, herausgegeben von Arnhild Kantelhardt, 144 Seiten, erschienen im Gerstenberg Verlag.

    Alle genannten Titel sind illustriert von Philip Waechter.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.