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Fußmarsch mit Gebrüll

Der dänische Landinspektor Palle Grønlund versetzt sich in die Welt der Viehtreiber: Wie sie zwischen März und April insgesamt 50.000 Ochsen durch Jütland nach Hamburg trieben. Wie sich der Ochsenhandel im Mittelalter zu einem florierenden Geschäft entwickelte und die Viehtreiber den Widrigkeiten des rund 350 Kilometer langen Weges trotzten. Ende des 19. Jahrhunderts wurde ihre Arbeit überflüssig und der Ochsenweg verlor an Bedeutung.

Von Silke Häußler | 22.04.2007
    " Wie war es eigentlich? Ein bisschen windig, ein bisschen regnerisch, man muss als Fußwanderer dass mit ... hm .. ja, wie war es eigentlich. Die Stimmung, die Düfte, die verschiedenen Jahreszeiten. Ein Schneesturm, aha, das war nicht so gut, ah, deswegen sind sie erst im März gegangen. Und wenn so ein Osterschneesturm kommt, hm, da hat man Pech. Oder musste so einen Tag warten. "

    "Ich bin seit meiner Schulzeit mit dem Ochsenweg nicht Vertrauen, aber ich hab in der Schule davon gehört, weil in Dänemark heißt es Hærvejen. Und viele Busreisen haben das immer besucht. Man muss einmal auf den Heerweg sein. Nachher bin ich mit Pfadfinder dort gewandert, es ist eine wunderschöne Gegend in Mitteljütland: Heide, Wald, nicht so viele Menschen, fast wie in Schweden. Und später habe ich das als Fahrradfahrer gelernt, wo man so kreuz und quer durch Jütland fahren konnten. Als wir in Dänemark die beschilderten Fahrradrouten gemacht haben wurde den Ochsenweg, Hærvejen, eine der Nationalrouten, weil die Kulturgeschichte eigentlich so lebendig war."

    An dem Weg von Nord nach Süd finden sich Grabhügel aus der Stein- und Bronzezeit, Verteidigungswälle wie das berühmte Dannewerk, Runensteine der Wikinger und zahlreiche Kirchen, die von der Christianisierung der Dänen erzählen. Bevor die Ochsendrift die deutsche Bedeutung des Weges prägte, wanderten auf ihm zahlreiche Pilger in den Süden. Den dänischen Namen Hærvej legte der Wissenschaftler Hugo Matthiessen in seinem 1930 erschienen Buch fest.
    Im Mittelalter führte der Weg ausschließlich durch das Königreich Dänemark, später querte er die Grenze nach Holstein hin und ab 1871 verlief der Weg durch Schleswig und Holstein als Teile des deutschen Reiches. So wundert es kaum, dass viele Dänen den Weg kennen, in Deutschland jedoch nur wenige. Denn: Ende des 19. Jahrhunderts gab es die Ochsendrift schon nicht mehr. Die Eisenbahn hatte den Transport der Tiere übernommen.
    "Jemand muss ein Wissen gehabt haben, was brauchen die Leute 500 Kilometer weg. Es gibt kein Satellitentelefon, man muss es auf die Beine bringen, so heißt es auch in deutsch, vielleicht kommt es auch von so etwas, man muss es auf die Beine bringen ... Die Leute mit den Beinen wandern und zurückkommen, die haben das geschafft."

    Die Dänen erfuhren, dass die Hamburger wie auch die Niederländer ihren Bedarf an Fleisch nicht mehr selbst decken konnten. Ochsen hatten die Dänen mehr als genug. Die Bauern nutzten sie für die Feldarbeit und den Verzehr. Die Adeligen kauften ihnen die Ochsen im Herbst ab und bauten einen lukrativen Handel auf. Denn im Unterschied zu den Bauern durften die Adeligen Futter hinzukaufen und konnten daher bis zu 200 Ochsen aufstallen. Fünf Monate lang bekamen die Tiere vier Fütterungen täglich. Pro Ochse entsprach das acht Wagenladungen Heu - ein enormer Bedarf. War die Ernte schlecht, scheuten die Grundherren kein Mittel, um das notwendige Futter zu beschaffen. Im Frühjahr dann machten sich Viehtreiber mit den gemästeten Ochsen auf den Weg.

    "Die Breite ist abhängig von der umgebenden Landschaft. Da wo es möglich ist breit zu gehen, da gehen die Tiere auf breiter Front. Da wo eine Furt ist, da muss man natürlich einen Engpass einhalten. Da wo Bereiche sind, die bei Tauwetter auftauen und matschig werden, da geht man dann im weiten Bogen drum herum. So gibt es dann eben so mäandernde Wege. "

    Geschickt weicht der Biologe Michael Floors während der Autofahrt auf einem Originalstück den zahlreichen Schlaglöchern aus. Der Ochsenweg beziehungsweise Hærvej hat keinen eindeutigen Anfangspunkt. Zwar wird das jütländische Viborg zumeist als nördlichster Punkt genannt, doch strömten die Herden wie ein Delta von allen Seiten zusammen, um dann den Weg über die von Gletschern geformten, ebenen Sanderflächen, die sogenannte "Geest", einzuschlagen.

    "Hier wäre da nun wirklich schön, wenn hier noch mal so ein kleiner Viehtrieb stattfinden würde. Um das auch noch mal so zu sehen. 50.000, dass muss man sich mal vorstellen. Der Staub, der sich hier auf die Pflanzen setzt. Das ist ja eine riesige Tierherde, die sich da durch die Landschaft wälzt."

    Aufwändig renaturiert vermittelt das breite sandige Originalwegstück kurz vor Rendsburg die damalige Atmosphäre: Im Schritt-Tempo bewegten sich die Ochsenherden vorwärts. Sie waren nach drei Viertel des Weges schon reichlich entkräftet. In Tagesetappen von 20 Kilometer bewältigten sie die Strecke, nachts ruhten sie. Fast drei Wochen waren sie insgesamt unterwegs.

    Den Ruheplatz organisierten Futtermacher, die den Herden vorausgingen. Bei den Krügen kauften sie Stroh für die Tiere. Bis heute heißen viele Gaststätten in Schleswig-Holstein so. Über dem Eingang des am Weg gelegenen Kruges "Kropper Busch" erinnert ein Schild mit grüner Schrift an die Zeiten des Viehtriebes. Vivian Floors übersetzt:

    ""Du bist Kropper Busch noch ni vörbi", jo das soll heißen: Freu dich nicht zu früh, du hast deine Ochsen noch nicht durch den Sand getrieben gekriegt. Das ist noch weiter Weg durch die Dünen."

    Neben der Beschaffenheit des Weges konnten auch Wegelagerer Probleme bereiten. Die Futtermacher vermieden daher Bares und schrieben in den Krügen die Kosten einfach an. Wie diese offenen Rechnungen mit dem Ausdruck "etwas auf dem Kerbholz haben" zusammenhängen, erzählt der Künstler Thomas Jaspert:

    "Das Kerbholz gehört zum Ochsenweg mit dazu. Man muss sich vorstellen, dass das einfach eine Quittung war. Das heißt also in den Gasthöfen am Ochsenweg kehrte man dann ein, das ganze war natürlich auch sehr räuberisch belagert, so dass man Bargeld nicht unbedingt dabei hatte oder eben nur in einer gesicherten Gruppe mit Bargeld durch die Gegend reiste. Und wenn dann so ein Treiber vorneweg ging und Unterkünfte und Ähnliches klar machte, dann kriegte er ein Kerbholz. Und dieses Kerbholz wurde in der Mitte durchgeschnitten, der Wirt behielt eine Hälfte und der Treiber die andere Hälfte und dann konnte man hinterher genau vergleichen, was an Kosten eben aufgelaufen war an Hand dieses Kerbholzes und pfuschen konnte man auch nicht. Weil eine Kerbe mehr reinmachen, ging nicht, weil der andere hatte ja die Gegenquittung. Das heißt das war wesentlich fälschungssicherer als unsere heutigen Euroscheckkarten."

    Dem Kerbholz widmete der Bildhauer eine vier Meter hohe Holzskulptur. Gemeinsam mit dem Metallkünstler Micha Harder entwickelte er auch ein Symbol für den Ochsenweg: Zwei mannshohe Hörner, deren Kupferspitzen sich kreuzen. Mal stehen sie mitten auf einer Verkehrsinsel, mal am Rand eines Sandweges, mal an der Autobahn. Dafür sorgte die Arbeitsgemeinschaft Ochsenweg. Seit über zehn Jahren ist sie aktiv, um den Weg in Deutschland touristisch zu beleben.

    "Ich wohne ja selber am Ochsenweg und am Wochenende kommen hier 200 bis 250 Leute vorbei. Und wenn man mal absieht von denen, die mit Alien-Helmen auf den Kopf und mit ihren Rennrädern hier durchjagen und nicht anhalten, dann gibt es doch relativ viel Leute mit denen man ins Gespräch kommt. Das ist für die Dörfer schon ganz spannend, wenn sie Angebote haben, dann ermöglicht der Ochsenweg Museen, Geschäften und kleineren Einrichtungen das Überleben auf dem Dorf."

    Mutiert der Ochsenweg damit zur Marketingmarke? Wohl kaum. Anliegen der Wiederbelebung des Weges ist es, die Aufmerksamkeit auf die Landschaft und auf deren Veränderungen zu lenken. Renaturierungen und Naturschutzgebiete ermöglichen es, den Blick zurück zu schärfen.

    "Also was mich fasziniert am Ochsenweg sind diese Wegedünen. Wenn man mit Tieren da lang treibt und sozusagen der Wind jeweils auf der Ostseite durch den Westwind eine Wegdüne aufschüttet, die zum Teil zwei Meter hoch ist, dann ist das eine Geschichte, die man sich gedanklich auch mal vorstellen kann, dass der Weg dann selber, also das Begehen des Weges solche Spuren hinterlassen hat."

    Heute rasen Viehtransporter quer durch Europa. Sie hinterlassen Spuren von Abgasen und verursachen Ängste vor Seuchen wie BSE. Vor diesem Hintergrund ist die alte Ochsendrift noch eine organisch gewachsene Form der Landwirtschaft sowie der Ernäherung, so Michael Floors:

    "Wir haben noch einen naturnahen Aufwuchs von Tieren. Die noch auf ihren eigenen Beinen in die Gebiete getrieben werden, wo sie einmal verspeist werden sollen. Und das in einem einigermaßen nahen Umfeld, ohne irgendwelche energieträchtigen Transportmittel. Und wir haben verschieden Facetten: Die Aufzucht dauert lange, dann müssen die Tiere über den Winter gebracht werden, dann müssen sie runtergetrieben werden in die Nähe der Städte, dann müssen sie erst wieder aufgemästet werden und dann kommt der Zeitpunkt, wo es am sinnvollsten ist sie zu schlachten. Dann werden sie aufgegessen und der wirtschaftliche Kreis schließt sich wieder."
    An den Elbufern vor Hamburg hatten die Ochsen ihr Ziel erreicht. Erst einmal. Auf den "Fettweiden" der Marsch wurden sie bis in den Herbst hinein gemästet, für einige ging es dann weiter über die Elbe in die Niederlanden.

    Nicht allein die Bauern, Händler, Treiber, Futterbeschaffer und Krugbesitzer profitierten von der Ochsendrift, sondern auch die Grenzstellen, die pro Ochse Wegezoll erhoben. Bis heute zeugt der Name eines Hamburger Stadtteils und einer stadtbekannten psychiatrischen Klinik davon: Ochsenzoll. In der Langenhorner Heimatwoche beschreibt Karl Schlüter seine Gründung:

    Der Graf von Holstein-Schauenburg-Pinneberg richtete 1612 auf der Harksheide an der Langenhorner Grenze eine neue Zollstelle ein, den Ochsenzoll, und erhob hier nun den Zoll und das Fährgeld, das in Wedel hätte entrichtet werden müssen. Dies brachte den hitzigen Dänenkönig Christian IV sehr in Harnisch. Er beauftragte im März 1615 seinen Amtsmann Pentz die Zollstelle zu beseitigen. Das besorgte Herr Pentz gründlich. Dann einigte man sich dahin, dass der Graf in der Harksheide keine ständigen Zollgrenze einrichten, sondern in jedem Jahr nur drei Wochen lang während der Ochsendrift Zoll erheben durfte.

    So wie heute markierten schon damals Schlagbäume die Zollstellen. Dazu der Däne Palle Grønlund:

    "Juitland war ja damals, zu Königreich Dänemark der Nordjuidland, dann kommt man zum Herzogtum Schleswig und da kamen die vielen Zollstellen. Und da waren so Bommhus, Schlagbaumhaus. Und Bomm ist auch Süßigkeiten im Dialekt und das verstehen die Kinder nicht, warum es keine Süßigkeiten gibt, bei der Bommhus."

    Einige Schlagbäume der deutsch-dänischen Grenze blieben bis 2003 geschlossen - sehr zum Ärgernis der Wanderer und Fahrradfahrer auf dem Ochsenweg. Was früher zum Königreich Dänemark gehörte, teilen sich nun zwei Länder. Der Ochsenweg verbindet sie heute.

    "In der Zeit als Heide Simonis und unser Kreisbürgermeister Kresten Philippsen so Freunde waren und diese grenzüberschreitende Projekte befördert hatten. Nicht nur mit Geld, aber auch mit positiven Willen. Und damit ist es eigentlich eine gemeinsame Geschichte für ganz Schleswig-Holstein: Die Geschichte und Erzählungen von, was Ochsenweg eigentlich war."