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Gender und Videospielindustrie
"Sobald Sie eine Frau ins Team setzen, wird die Perspektive erweitert"

Frauen daddeln heute genauso gerne digitale Spiele wie Männer. Aber weibliche Entwickler sind immer noch die Ausnahme. "Die Industrie hat ein Sichtbarkeitsproblem", sagte Games-Expertin und Insiderin Sabine Hahn im Dlf. Sie hat die Szene in der Studie "Gender und Gaming" untersucht.

Sabine Hahn im Corsogespräch mit Christoph Reimann | 21.06.2017
    Sie war bei einigen Unternehmen der Spiele-Industrie tätig: Die Medienwissenschaftlerin Sabine Hahn
    Sie war bei einigen Unternehmen der Spiele-Industrie tätig: Die Medienwissenschaftlerin Sabine Hahn (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Christoph Reimann: Hallo, Frau Hahn.
    Sabine Hahn: Hallo.
    Reimann: Frau Hahn, der typische Gamer ist heute nicht mehr weiß, männlich und jugendlich, stattdessen zocken Frauen etwa zu gleichen Teilen Videospiele. Aber bei den Entwicklern, da sieht es anders aus. Sie zitieren da in Ihrem Buch den CEO eines Gaming-Unternehmens, der sagt, dass der Anteil körperbehinderter Mitarbeiter in der Branche mit sieben Prozent größer sei als der Anteil weiblicher Mitarbeiter. Wie passt denn das zusammen, das Interesse von Frauen an Videospielen, aber der geringe Anteil von Frauen in der Videospielbranche?
    Hahn: Das Zitat ist von 2013, das ist insofern ein bisschen überaltet, als dass die Zahlen nicht mehr ganz stimmen.
    Reimann: Haben Sie aktuelle Zahlen?
    Hahn: Die Zahlen, die vorliegen - interessanterweise gibt es für den Status quo für den Moment für Deutschland keine aktuellen Zahlen, wie viele Frauen in der Industrie arbeiten. Wir reden von ungefähr 13 bis 15.000 Mitarbeitern in Unternehmen der deutschen Spieleindustrie. Wie viel davon Frauen sind, in Prozent, wissen wir leider nicht, es gibt internationale Zahlen vom IGA, dem internationalen Game-Developer-Verband, die sagen, ungefähr 22 Prozent der Beschäftigten, der Entwickler allerdings, sind weiblich. Um noch mal die Relevanz dieser Fragestellung zu verdeutlichen: Wir wissen, dass in Deutschland in vergleichbaren Medienteilbranchen, wie zum Beispiel dem Verlagswesen oder dem Film, über 40 Prozent Frauen arbeiten.
    Frauen fühlen sich nicht willkommen
    Reimann: Und wie erklären Sie sich jetzt diese Lücke - also Frauen zocken gerne, aber in der Branche sind sie eben nur in einem geringen Anteil vertreten?
    Hahn: Es werden unterschiedliche Dinge benannt: zum Beispiel, dass die Industrie ein sogenanntes Sichtbarkeitsproblem hat. Das heißt, dass junge Mädchen und Frauen gar nicht so sehr auf die Idee kommen, in die Spieleindustrie zu gehen, selbst wenn sie spielen. Natürlich werden auch die Spielerzahlen zitiert oder bemüht, um das zu erklären. Das heißt, die Entwicklung, dass die Hälfte aller Spieler weiblich ist, die ist noch gar nicht so alt. Vor zehn Jahren sahen die Zahlen tatsächlich noch anders aus. Damals vor zehn, fünfzehn Jahren waren Computerspiele noch eher als sogenannte Boystoys bekannt. Darüber hinaus gibt es auch tatsächlich das Problem, dass in vielen Unternehmen, dadurch, dass da so viele junge Männer arbeiten, Frauen vielleicht tatsächlich nicht willkommen fühlen oder nicht auf die Idee kommen, sich dort zu bewerben.
    Reimann: Haben Sie das selbst erlebt? Sie haben ja auch in der Spieleindustrie gearbeitet.
    Hahn: Ich habe unterschiedliche Szenarien erlebt. Ich habe viele Jahre kleineren Unternehmen erlebt, wo die Quote oder der Anteil an Frauen tatsächlich nie im zweistelligen Prozent gewesen ist. Und da fing es an tatsächlich, dass ich mir überlegt habe: Warum ist mein eigenes Geschlecht immer Thema? Ich wollte es nicht zum Thema machen, aber es ist mir immer wieder begegnet.
    Reimann: Haben Sie ein Beispiel?
    Hahn: Zum Beispiel, dass ich die einzige Frau in Meetings war, dass ich die einzige Frau im Büro war, dass ich immer nur mit Männern auf Abendveranstaltungen, auf Konferenzen, auf Messen usw. gewesen bin. Ein sehr illustres Beispiel ist, als ich 2005 mal die Games Convention - damals noch in Leipzig - verantwortet habe für meine damalige Londoner Firma. Ich hab den Stand organisiert, hab Presseinterviews gegeben, aber ich bin für das Booth Babe, für die Hostess gehalten worden, aufgrund der Tatsache, dass ich eben eine Frau war.
    Derartige Begegnungen habe ich einige gehabt, ich habe aber auch andere Situationen erlebt. Ich hab zum Schluss relativ lange beim Publisher Electronic Arts gearbeitet, da hatten wir andere Verhältnisse, da gab es sehr viele Frauen. Da gab es allerdings das Phänomen, das man auch in der Literatur findet: die Job-Segregation, das heißt, 75 Prozent der Frauen, die in der Industrie sind, in nicht-technischen Abteilungen arbeiten, das heißt klassischerweise Marketing, Personal, Finanzen usw. Was insofern interessant ist, dass sie dann mit den Produkten schlicht und ergreifend nicht in Berührung kommen.
    Wir haben noch länger mit Sabine Hahn gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Reimann: Frauen wurden so Mitte der 90er Jahre als Zielgruppe von Videospielen richtig entdeckt. Zum Beispiel bei der Entwicklung des Alltagssimulators Die Sims, ein paar Jahre später, eines der bis heute erfolgreichsten Spiele überhaupt, wurde dezidiert darauf geachtet, dass eben der Anteil im Team von Frauen hoch ist. Lässt sich denn der Rückschluss ziehen, Spiele, die von Frauen entwickelt werden, werden auch eher Frauen gefallen?
    Hahn: Aus meiner Wahrnehmung: ja. Ich habe viele Gespräche gehabt mit Frauen, die in Unternehmen arbeiten, die immer wieder geschildert haben, die Tatsache, dass Frauen in der Entwicklung beteiligt waren, in den Entwicklerteams vertreten waren, eine Perspektivenvielfalt ermöglicht hat. Es gibt viele Gamedesigner, die sagen, dass durch mehr Frauen oder überhaupt durch mehr diverse Teams - wir müssen nicht nur über die Kategorie Geschlecht reden - sich die Produkte dadurch ändern, dass mehr Charakter dazu kommt und tatsächlich auch der Einbezug von weiblichen Charaktern mit in Erwägung gezogen wird. Oftmals ist es keine böse Absicht, die weiblichen Charaktere zu vergessen. Wenn sie allerdings ein Team nur aus Männern oder männlichen Designern bestehend haben, die können das durchaus vergessen. Sobald sie eine Frau ins Team setzen, werden die Perspektiven erweitert.
    Dezidierte Frauenspiele sind genauso diskriminierend
    Reimann: Perpetuiert die Spieleindustrie Geschlechterklischees, wenn man Spiele entwickelt, die auf einen weiblichen Markt zugeschnitten sind, auf eine weibliche Zielgruppe oder auf eine männliche? Oder arbeitet die Spieleindustrie vielleicht auch manchmal daran, diese Schranken, diese Grenzen aufzuweichen?
    Hahn: Aus meiner Wahrnehmung ist tatsächlich das Angebot an Spielen und Produkten für weibliche oder männliche Zielgruppen seitens der Industrie lange Zeit gar nicht so ein Thema gewesen, aufgrund der Tatsache, dass die meisten Spieler einfach männlich gewesen sind. Das heißt: Ich selber habe in einem Unternehmen erlebt, als Versuche lanciert wurden, Produkte für die weibliche Zielgruppe auf den Markt zu bringen, auf welcher Vorannahmen ohne valide Marktforschung Überlegungen angestellt wurden, was könnte Frauen denn so gefallen, das ist das eine.
    Und das zweite ist, dass, wenn wir über digitale Spiele reden, deren Produktionskosten mitunter in die Millionen gehen, dann kann ich nicht sagen, ich mache ein Spiel nur für Frauen oder nur für Männer. Ich muss schon immer den gesamten Markt im Auge haben. Was im übrigen ein Argument ist, was ich in meinen Gesprächen oft gehört habe, dass mir gesagt wird: Spiele dezidiert nur für die weibliche Zielgruppe machen eigentlich nicht nur kommerziell keinen Sinn, sondern sind eígentlich genau so diskriminierend.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Sabine Hahn: "Gender und Gaming. Frauen im Fokus der Games-Industrie"
    Transcript Verlag. 2017. 226 Seiten