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Georgien
Mythos Eduard Schewardnadse

Nach dem Tod Eduard Schewardnadses kritisieren Kulturschaffende in Georgien eine Verklärung ihres ehemaligen Präsidenten. Zwar habe dieser die Meinungsfreiheit gefördert und sich als sowjetischer Außenminister verdient gemacht. Doch ein Demokrat sei er nicht gewesen.

Von Edita Badasyan und Mirko Schwanitz | 13.07.2014
    Der frühere sowjetische Außenminister und spätere georgische Präsident Eduard Schewardnadse, aufgenommen beim ZDF-Polit-Talk "Maybrit Illner Spezial" am 05.11.2009 zum Thema "20 Jahre Mauerfall - Einheit ja, Gerechtigkeit nein?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden.
    "Ich bin 1977 geboren. Schewardnadse war Chef der Kommunistischen Partei in Georgien, dann sowjetischer Außenminister, dann Präsident. Mein Leben, meine Kindheit und meine Jugend sind mit dem Lächeln von Schewardnadse verbunden."
    Erinnert sich Lasha Bugadse, einer der bekanntesten Schriftsteller Georgiens. Zu beurteilen, was Eduard Schewardnadse für die Kulturlandschaft der kleinen Kaukasusrepublik bedeutet hat, falle ihm aber schwer. Zu widersprüchlich sei dessen Verhalten gewesen. Tatsache sei, dass er sich immer wieder für Künstler eingesetzt habe, deren Werke von der Zensur verboten werden sollten.
    Ohne seine Hilfe wären Filme wie Tengiz Abuladzes "Die Reue", der kompromisslos mit dem Stalinismus abrechnete, nie möglich gewesen. Ohne ihn hätte es kritische Theaterinszenierungen, etwa von dem bei uns sehr bekannten Robert Sturua nicht gegeben. Und kein einziger Kulturschaffender wird vergessen, dass er es war, der 1978 das in Moskau geplante Verbot unserer Sprache verhinderte und dafür sorgte, dass das Georgische als Staatsprache in der sowjetischen Verfassung blieb.
    Schewardnadse als Sprachrohr für die Meinungsfreiheit
    20 Jahre später musste Schewardnadse im georgischen Parlament immer noch klar machen, dass die Zeiten der Bevormundung von Kunst und Kultur endgültig vorbei sind. Diesmal ging es um Lascha Bugadse. Ein Roman, in dem er satirisch über eine in Georgien verehrte Königin schrieb, hatte dazu geführt, dass Parlamentsabgeordnete und Orthodoxe Kirche verlangten, der Autor solle sich öffentlich entschuldigen.
    "Das war der Höhepunkt. Aber Schewardnadse machte klar, dass wir in einem demokratischen Land leben und jeder schreiben könne, was er will und wie er will. Zu entscheiden, was gut und was schlecht ist, sei Sache der Leser und nicht die von Politikern, geschweige denn der Kirche. In diesem Moment begriff ich urplötzlich, warum ihn in der sowjetischen Zeit so viele Kulturschaffende mochten. Nämlich, weil er wusste wie man die Kunst beschützt. Und in diesem Moment war ich ihm sehr dankbar. "
    Mythos eines demokratischen Politikers?
    Was Schewardnadse jedoch bis heute nicht verziehen wird, ist die Bestätigung von Todesurteilen an acht Studenten, darunter auch Kinder von Künstlern, die 1983 versuchten, ein Flugzeug in die Türkei zu entführen. Dato Turaschwili hat darüber einen im Land kontrovers diskutierten Bestseller geschrieben.
    "Für mich war Schewardnadse nicht mehr als ein typischer sowjetischer Politiker. Es ist ein Mythos, dass er ein demokratischer Politiker war. Viele sagen, dass er beim Fall der Berliner Mauer eine große Rolle gespielt habe. Ich finde das lächerlich. Ich glaube dass etwa die westliche Rockmusik, zum Beispiel David Bowie eine viel größere Rolle dabei gespielt hat, als Schewardnadse."
    Ambivalente 1990er-Jahre
    Es sei doch absurd, einen Politiker als Demokraten zu bezeichnen, der Todesurteile bestätigt, wenn er auch eine Begnadigung hätte aussprechen können, meint Turaschwili. Schewardnadse hätte schließlich die Macht dazu gehabt. Absurd seien auch die Jahre seiner späteren Präsidentschaft gewesen, meint die Schriftstellerin Ana Kordsaia-Samadischwili. Auf der einen Seite habe unter ihm die Korruption ein unerträgliches Ausmaß erreicht, mussten auch Künstler ihr Hab und Gut verkaufen, um zu überleben. Auf der anderen Seite aber gab es in diesen verrückten 90er-Jahren...
    "Eine große Renaissance von georgischer Kunst. Die besten Ausstellungen in Georgien, die ich erlebt habe, waren in den Neunzigern, die beste Musik, unsere Künstler machten Performances, die man jetzt mit nichts vergleichen kann. So etwas könnte heutzutage in dem hoch orthodoxen Georgien niemals passieren. Etwas explodierte. ... Irgendwie dieses Volle, Absurde, ist für mich mit der Zeit von Eduard Schewardnadse verbunden."
    Auch der Direktor der Georgischen Nationalbibliothek, der Dichter Giorgi Kekelidse spricht von sehr ambivalenten Gefühlen, wenn er an die Zeit der Präsidentschaft des von den Deutschen so verehrten Staatsmannes zurückdenkt."
    "Ich wohnte damals in der Provinz und erinnere mich an diese Zeit nur als eine einzige große Depression und unbeschreibliche Not. Zum Dichter bin ich erst damals, also gewissermaßen unter den Händen von Schewardnadse geworden. Dennoch: Was er außenpolitisch geleistet hat, der Beginn unserer Gespräche mit der Europäischen Union, der NATO, das bleibt als sein großer Verdienst. Sicher wird er in die Geschichte als ein großer Politiker eingehen, für uns Georgier aber wird er nur als eines im Gedächtnis bleiben – als negative Figur."